Ein ukrainischer Soldat in einem Schützengraben nahe der Front zu den Separatistengebieten im Donbass. Der Konflikt dauert bereits seit sieben Jahren an, die jüngsten Spannungen verleihen ihm neue Bedeutung.

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Kurz bevor die EU-Staats- und -Regierungschefs am Donnerstag mit Vertretern der Afrikanischen Union konferierten, war in Brüssel einmal mehr der aktuelle Konflikt mit Russland Thema. Die Gesprächsrunde stand allerdings im Schatten einer Meldung aus dem Konfliktgebiet selbst: Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die mit Beobachterinnen und Beobachtern vor Ort ist, berichtete nach Angaben aus Diplomatenkreisen von Artilleriefeuer in der Ostukraine.

Groß ist auch die Anspannung auf der anderen Seite des Atlantiks: US-Präsident Joe Biden bezeichnete am Donnerstag das Risiko eines bevorstehenden russischen Angriffs auf die Ukraine als "sehr hoch". Sein Außenminister Antony Blinken äußerte sich am Abend vor der Uno ähnlich. Die USA würden davon ausgehen, dass Russland eine Aktion unter falscher Flagge plane, die man Kiew in die Schuhe schieben wolle, um einen Vorwand zum Einmarsch zu haben. Blinken sprach konkret von einem Angriff mit chemischen Waffen.

Frage: Besteht ein Konnex zwischen den Gefechten vom Donnerstag und dem russischen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze?

Antwort: Ein solcher Zusammenhang besteht schon allein deshalb, weil in der angespannten Lage zwischen Russland und der Ukraine auch ein kleiner Funke eine militärische Eskalation auslösen kann. Zunächst war nicht klar, ob es sich bei den gemeldeten Zwischenfällen bereits um Anzeichen für eine größere Operation handelt oder um Waffenstillstandsverletzungen, wie sie in dem seit 2014 andauernden Konflikt immer wieder auftreten. Beide Seiten haben einander jedoch beschuldigt, ein Szenario aufzubauen, das einen bevorstehenden Angriff rechtfertigen solle.

Frage: Wie sehen diese Vorwürfe konkret aus?

Antwort: Das ukrainische Militär gibt an, dass aus dem Territorium der prorussischen Separatisten in der Region Luhansk auf eine Ortschaft in den von der Kiewer Regierung kontrollierten Gebieten geschossen worden sei. Dabei sei unter anderem auch eine Schule getroffen worden. Umgekehrt warfen die von Russland unterstützten Rebellen in der selbsternannten "Volksrepublik" Luhansk den ukrainischen Streitkräften vor, ihr Gebiet mit Mörsern, Granatwerfern und einem Maschinengewehr beschossen zu haben. Das wiederum wird von der ukrainischen Armee dementiert.

Frage: Welche Rolle spielen die seit Jahren andauernden Kämpfe im Donbass im aktuellen Konflikt?

Antwort: Der Krieg im Donbass begann bereits 2014, als Russland auch die Schwarzmeerhalbinsel Krim annektierte, und führte zur Ausrufung der sogenannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk. Schätzungen zufolge sind bereits mehr als 14.000 Menschen getötet worden. Der Konflikt gehört zum politischen Hintergrund der jüngsten Spannungen und gilt gleichzeitig als Brennpunkt möglicher weiterer Gewalteskalationen. So hat etwa der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Donnerstag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seiner britischen Amtskollegin Liz Truss von Panzerbeschuss aus den Separatistengebieten gesprochen, die "unter der Kontrolle Russlands" stünden.

Frage: Zu welchen Schlüssen kam das Brüsseler EU-Treffen?

Antwort: Hier kam es zu keiner Änderung der bereits bekannten Positionen. EU-Ratspräsident Michel betonte einmal mehr, dass die EU-Staats- und -Regierungschefs ihre "Solidarität mit der Ukraine" ausgedrückt hätten und bereit seien, "alles für Frieden, Sicherheit und Stabilität" zu unternehmen. Weiterhin sei es wichtig, alle diplomatischen Möglichkeiten zur Beilegung des Konflikts auszunützen.

Frage: Welche Position nimmt Österreich dabei ein?

Antwort: Ähnlich wie andere Vertreterinnen und Vertreter des Westens schenkt Bundeskanzler Karl Nehammer der jüngsten Ankündigung Russlands, Truppen von der ukrainischen Grenze abzuziehen, keinen Glauben. "Wir gehen nach wie vor davon aus, dass auf Knopfdruck eine Invasion in die Ukraine möglich ist." In einem solchen Fall sei eine "klare, entschiedene und nachhaltige Reaktion" seitens der EU gegenüber Russland "notwendig und wichtig", so der Kanzler. Die EU-Kommission bereite ein entsprechendes Sanktionspaket vor.

Frage: Wie sieht Moskau eigentlich die bisherigen Antworten des Westens auf seine Forderungen?

Antwort: Moskau hat am Donnerstag auf die schriftliche Reaktion der USA auf die geforderten Sicherheitsgarantien geantwortet. In dem Schreiben werden die USA zum Abzug ihrer Streitkräfte aus Zentral-, Ost- und Südosteuropa sowie aus dem Baltikum aufgefordert. Russland betont einmal mehr, keinen Überfall auf die Ukraine zu planen. Zugleich droht es mit "militärisch-technischen Maßnahmen", sollte eine Einigung über Sicherheitsfragen nicht möglich sein. Was genau gemeint ist, lässt man offen. Belarus’ Präsident Alexander Lukaschenko gab am Donnerstag womöglich einen Hinweis: Er sei bereit, russische Atomwaffen auf seinem Territorium stationieren zu lassen. Den Vize-Botschafter der USA verwies der Kreml am Donnerstag ohne Angabe eines Grundes des Landes. (Gerald Schubert, 17.2.2022)