Der Einstieg in diesen Roman ist ein literarisches Versprechen. Eine allwissende Stimme wendet sich an den Familienvater Hüseyin Yilmaz und spricht über sein Leben: In den 1970er-Jahren war er aus der Türkei nach Deutschland gekommen, auf der Flucht vor Armut und politischer Verfolgung. Fast dreißig Jahre hat der wortkarge Mann in Fabriken geschuftet, zusammen mit seiner Frau Emine vier Kinder aufgezogen und in sehr bescheidenen Verhältnissen gewohnt.

Anstrengendes Miteinander: Fatma Aydemir.
Foto: Bradley Secker

Hüseyin hätte vielleicht schon früher umziehen, den gesichtslosen Ort namens Rheinstadt verlassen können, aber er verfolgte ein anderes Ziel. Mit den Ersparnissen aus Jahrzehnten hat er sich, gegen den Willen der Gattin, in Istanbul eine Dreizimmerwohnung mit Balkon gekauft. Beschwingt und melancholisch streift er nun durch die Wohnung, schaut über die Dächer, verfolgt von jener Stimme, die sich in seinem Leben so gut auskennt.

Das schlechte Gewissen

Ist es das schlechte Gewissen, das zu ihm spricht? Dabei möchte er nicht hadern, sondern mit den schlimmen, aber zunächst nicht weiter benannten Erlebnissen in der Vergangenheit endlich abschließen. Doch die Dämonen, die hier Dschinns heißen, bleiben hartnäckig, quälen ihn mit der Frage: "Weißt du, wer du bist, Hüseyin, wenn du die glänzenden Konturen deines Gesichts im Glas der Balkontür erkennst?"

Damit ist das Thema gesetzt. Die 1986 in Karlsruhe geborene Journalistin und Schriftstellerin Fatma Aydemir hat mit Dschinns einen Roman geschrieben, in dem alle Figuren auf der Suche nach ihrer Identität sind. Ein Modethema gewiss, aber anfangs rasant umgesetzt, in abreißenden Sätzen, in der zweiten Person vorgetragen, fast wie eine Anklageschrift. Die Hoffnung Hüseyins nach einem Neuanfang erfüllt sich nicht. Er stirbt.

Die folgenden Tage, in denen die Familie nach Istanbul reist, um den Vater zu beerdigen, schildert Aydemir aus der Sicht der vier Kinder Ümit, Sevda, Peri und Hakan, und zwar erstaunlich konventionell. Statt das angespannte Verhältnis der Kinder zum Verstorbenen auszuloten, steht die Heimatlosigkeit der Nachgeborenen im Mittelpunkt, ein Gefühl, das die Familie, die nur noch aus Einzelpersonen zu bestehen scheint, verbindet.

In zerrütteten Verhältnissen

Die Geschwister haben alle ebenfalls mit traumatischen Erfahrungen und Entscheidungen zu kämpfen, die sie verfolgen. Die Dschinns, die gemeinen Geisterwesen, lauern überall. Für Sevda etwa fühlt sich die Nachricht vom Tod des Vaters wie eine "unmissverständliche Botschaft von oben" an, als wolle "Allah sie bestrafen". Sie hatte den Kontakt zu den Eltern abgebrochen, weil die nicht akzeptieren wollten, dass sich ihre älteste Tochter von ihrem dauerbetrunkenen Ehemann trennte. Statt sie zu unterstützen, musste Sevda ihre existenziellen Nöte allein meistern.

Alle Figuren dieses Romans leben in zerrütteten Verhältnissen, die von menschlichem Versagen, aber auch von gesellschaftlichen und politischen Zumutungen geprägt sind. Leider sind vor allem die Brüder Ümit und Hakan recht schematisch angelegt, wirken wie Platzhalter für die Kritik der Autorin an Rassismus, Sexismus und Kapitalismus.

So verliert der Text auch seinen Fokus, der mal mehr Migrationsgeschichte, dann wieder Familienroman ist, in dem allerlei wichtige Themen anhand der Hauptfiguren durchdekliniert werden.

Fremdbestimmte Identität

Dschinns lässt sich als Anklage gegen gesellschaftliche Verhältnisse lesen, in denen die eigene Identität immer fremdbestimmt bleibt. So einleuchtend die These, die literarische Umsetzung wird von Kapitel zu Kapitel schwächer – auch weil auf Klischees gesetzt wird. Identität, so scheint die Autorin zu suggerieren, beinhaltet immer auch die Suche nach dem politisch korrekten Standpunkt im Weltgeschehen.

Anstatt etwas über das anstrengende Miteinander der Familie zu erfahren, statt den herausfordernden Alltag in bildstarken Szenen aufzulösen, die Reibungen zwischen Migranten und einheimischer Bevölkerung einmal ohne Schwarz-Weiß-Malerei zu beschreiben, ergeht sich die Rollenprosa oft in Vorurteilen.

Fatma Aydemir, "Dschinns". 24,70 Euro / 376 Seiten.Hanser, 2022
Cover: Hanser Verlag

Auch die titelgebenden Dschinns spielen im Mittelteil des Romans kaum eine Rolle. Statt die Geister zwischen den Zeilen und in den Köpfen der Protagonisten herumspuken zu lassen, werden sie zwischendurch kurz als Phänomen erklärt und dann kaum noch erwähnt.

Das Romanende entwickelt sich zu allem Überfluss zu einer Rachesuada, in der Sevda der trauernden Mutter zunächst Lieblosigkeit vorwirft und ihr einen feministischen Grundsatzvortrag hält: "Es mag stimmen, dass Männer das Sagen haben, ja (...). Aber damit sie das können, damit sie für immer alles bestimmen, dafür brauchen sie Leute wie dich. Frauen, die andere Frauen für immer kleinhalten."

Vielleicht richten sich solche Sätze auch nicht an die Mutter im Roman, die nach solchen Belehrungen die Dschinns und andere Dämonen nicht mehr zu fürchten braucht. Vermutlich wendet sich hier eine meinungsstarke Kolumnistin an die eigene Fanbasis, die solche Zitate schon vor Erscheinen des Buchs auf Twitter gefeiert hat. Der Roman allerdings, der so stark begann, endet in einem wilden und wirren Meinungsstrudel. (Carsten Otte, 20.2.2022)