Elisabeth Köstinger wollte für das jüngste Wien-Bashing – es war gefühlt das 57. seiner Art – nicht alleine geradestehen. Als die türkise Tourismusministerin auf Puls 24 die sozialdemokratisch dominierte Stadtregierung für das Festhalten an der 2G-Regel in der Gastronomie kritisierte, berief sie sich auf "Expertinnen und Experten". Wer genau da Ratschläge in ihrem Sinne gegeben hat, sagte Köstinger nicht dazu. Eine Nachfrage in ihrem Büro aber ergibt: Die Gecko soll‘s gewesen sein.
Seltsam ist nur: Bei der angesprochenen Krisen-Kommission ist eine derartige Empfehlung unbekannt. Leiterin Katharina Reich selbst stellte im Ö1-"Morgenjournal" auf die Frage nach dem Wiener Sonderweg klar, dass Gecko der Politik zwar Szenarien und andere Entscheidungsgrundlagen liefere, aber keine konkreten Maßnahmen vorschlage.
So läuft das immer wieder. Erst zu Wochenbeginn verschanzte sich Bildungsminister Martin Polaschek hinter einer angeblichen Gecko-Meinung, als er die Maskenpflicht in den Schulen aufkündigte. Via Twitter wehrten sich mehrere Wissenschafter gegen die Vereinnahmung: Nicht in unserem Namen!
Worin die Zumutung besteht, brachte der Virologe Andreas Bergthaler auf den Punkt. Es sei das gute Recht gewählter Volksvertreter, nach rechts abzubiegen, obwohl die Fachwelt den Weg nach links empfehle. Aber die Politik dürfe nicht verschleiern, dass sie in eigener Verantwortung handle.
Wissenschaftlicher Anstrich
Dient Gecko der Regierung also nur dazu, um populistisch geleiteten Entscheidungen einen wissenschaftlichen Anstrich zu verpassen? Von der Masken-Episode darf nicht automatisch auf ein generelles Muster geschlossen werden. Gerade die nun für 5. März verkündete Generalöffnung taugt als Gegenbeispiel. Der jüngste Gecko-Bericht nennt Lockerungen für die Zeit nach dem Omikron-Peak "sehr gut möglich", und diesen Turnaround erwarten die Prognostiker für die erste Märzwoche. Man kann nun über ein paar Tage auf und ab streiten, doch dass die Regierung hier gegen die Expertenmeinung entscheidet, lässt sich nicht behaupten.
Eine andere Frage ist jene nach dem Ausmaß der Öffnungen. Doch dazu steht in der Gecko-Einschätzung kein Wort, was die Regierung in eine undankbare Rolle bringt. Denn nach gefallenen Entscheidungen unterziehen manche Fachleute die konkreten Schritte sehr wohl einer kritischen Würdigung.
Dass Meinungen aus der Wissenschaft oft nicht nur vage, sondern auch einander widersprechen, zeigt: Die angesichts erratischer Politik verlockende Idee, eine Handvoll Gurus zum alleinigen Maßstab der Corona-Bekämpfung zu machen, ist illusorisch – und verletzt das Prinzip des demokratischen Interessensausgleichs. Das Management der Pandemie darf nicht nur aus virologischer Sicht erfolgen, stets gilt es, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kollateralschäden gegen den Nutzen von Restriktionen abzuwägen.
Um die Rollen sauber zu trennen, braucht es jene Transparenz, die sich Gecko nach den jüngsten Erfahrungen verordnen will: In den Berichten muss ausgewiesen werden, welche Expertin, welcher Experte was empfohlen hat. Dann lässt sich besser nachvollziehen, wie sehr die Regierung ihre Beschlüsse auf wissenschaftlichen Einschätzungen aufbaut – und etwaige Versuche des gegenseitigen Abputzens fallen flach. (Gerald John, 18.2.2022)