Die Akustische täuscht: Eddie Vedder macht auf seinem Soloalbum "Earthling" ziemlich Tempo und Lärm.

Danny Clinch

Für den Song Try gebührt ihm echt Respekt. Stevie Wonder und Punkrock? Eddie Vedder macht’s möglich. Der Soul-, Funk- und Pop-Held Wonder ist einer der Gäste auf dem zweiten Soloalbum Vedders. Das war vorab bekannt und ließ ein gediegenes Duett zu einem ernsten Thema erwarten, aber nicht das, nicht einen Song wie Try. Der ist einer der drei ruppigsten auf dem eben erschienenen Earthling, stürzt sich mit 150 ins Rennen und lässt Wonder die Harmonika blasen. Atemlos durch die Nacht auf super.

Eddie Vedder kennt man als Sänger von Pearl Jam. Das ist mehr oder weniger gleichauf mit Nirvana die erfolgreichste Band aus Seattle, die in der Grunge-Ära berühmt wurde – mit vergleichsweise schwerfälligem Hardrock. Damit zählt sie zu den großen Mainstream- und Stadion-Rockern, wie sie seit den 1970ern immer wieder auftauchen.

EddieVedderVEVO

Vedder gilt als jemand, der sich gerne die Bürden der Welt schultert. Das letzte, teilweise ziemlich lässige Pearl-Jam-Album Gigaton vor zwei Jahren widmete sich unpeinlich und erstaunlich vital dem ökologischen Zustand unseres Planeten, ohne wie eine Gruppe Wanderprediger zu klingen.

Duette-Panini-Buch

Umso erstaunlicher ist, dass Earthling ein nachgerade fröhliches Werk ist. Neben der verwegenen Überraschung mit Stevie Wonder erfreut es mit einer ebenfalls recht forschen Nummer mit Elton John, der nun auch den Vedder in sein Duette-Panini-Büchlein kleben darf, viele Pickerln dürften ihm nicht mehr fehlen.

Natürlich klimpert Sir John in Picture artgerecht, es wird aber kein Schmalzfass aufgemacht, die beiden rocken breitbeinig durch den Song, der auf jedem neuen Bruce-Springsteen-Werk als Sensation gehandelt würde.

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Als letzter Gast muss Ringo Starr erwähnt werden; der trommelt auf Mrs. Mills, einem Stück, das dann auch nicht zu wenig nach der Beatles-Reichshälfte des Paul McCartney klingt, ein hübsches Kleinod.

Gütiger Freund

Earthling ist das zweite Soloalbum Vedders, 2011 erschien Ukulele Songs, auf dem er in wenig mehr als einer halben Stunde 18 Songs, manche davon ziemliche Bonsais, auf der Ukulele herunterschrubbte. Originell gedacht, im Resultat aber ziemlich öde, wenn man bedenkt, was ein Carmaig de Forest im Vergleich mit der Ukulele zustande gebracht hat, von den besseren Texten de Forests ganz zu schweigen. Lässt man diese vernachlässigbare Arbeit beiseite, ist Earthling so etwas wie das ernstzunehmende Solodebüt. Ganz anders und um Ecken besser als Ukulele Songs.

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Mainstream zwar, aber durchzogen von einer Leichtigkeit, die sich mit den länger werdenden Tagen gut verträgt. Vedders Tonfall schwenkt stellenweise auf gütiger, lebensbegleitender Freund wie am Beginn von Fallout Today. Das verströmt eine versöhnliche Note und hält trotzdem das Tempo, versinkt nicht in Selbstzerfleischung oder Arenarock-Expressionismus.

Good and Evil sowie Rose of Jericho bilden mit dem erwähnten Try so etwas wie das Herz der Finsternis dieses sonnigen Werks: drei in den Punkrock reichende, kurze und furztrockene Songs, die dort anziehen, wo es auf Alben oft länglich wird. In Summe ergibt das ein ausnehmend einnehmendes Werk. (Karl Fluch, 20.2.2022)