Nach Lissabon ist Schluss. An einem normalen Mittwoch landet der letzte Personenflieger, aus Portugal kommend, um 23.10 Uhr am Flughafen Wien. Die letzten Abfluggäste sind da schon 50 Minuten in der Luft Richtung Bangkok, zumindest wenn alles nach Plan läuft. Danach senkt sich die Nacht über Schwechat. Der Flughafen gehört dann den Securitys, der Leere und den Menschen, die dort zwischen zwei Flügen übernachten. Das sind gar nicht so wenige. Und seit Mitte Jänner hat der Flughafen ein neues Angebot für sie.

Ein wenig haben die Schlafboxen den Charme eines Dixie-Klos.
Foto: Niko Ostermann

Im zweiten Stock des Terminal 3, wo sich auch der Gebetsraum und der Aufgang zum Beobachtungsdeck finden, stehen 16 Boxen nebeneinander. "Smart Lounges" heißen sie, und man kann sie mieten. Inspiriert ist das Ganze wohl von den Röhren- oder Wabenhotels in Japan. Rechts ein Bildschirm. Links eine schmale Tür mit Fenster. Dahinter: ein "Arbeitsplatz, Chillout-Lounge oder vollausgestatteter Schlafplatz", wie es der Flughafen in einer Aussendung beschreibt.

Ein Nap in der Cap

Die Flughafen Wien AG betreibt die Schlafboxen nicht selbst, sondern stellt den Raum dafür zur Verfügung. Betrieben werden sie von einem italienischen Start-up, dessen Name sich erstmal wie ein Schlaganfall liest ("Zzzleepandgo"). Das ist alles nicht ganz neu (unter anderen Firmennamen wie "Nap Caps" gibt es ähnliche Kapseln schon länger) und auch nicht böse, faktisch alle Getränke- und Snackautomaten im halböffentlichen Raum funktionieren nach diesem Prinzip. Aber es hat halt den Nachteil, dass bei Problemen niemand vor Ort zuständig ist. Hilfe gibt es nur per Whatsapp von einer italienischen Nummer.

So eine Smart Lounge ist knapp 2 x 1,5 Meter groß. Darin befinden sich ein Bett, ein kleiner Klapptisch und etwas Platz, damit man neben dem Bett stehen kann. Die Wände sind mit Plastik, Holz und Spiegelfolie verkleidet. Es sieht ein wenig so aus, als hätte ein Schlafwagen der ÖBB mit einer Kulisse eines Science-Fiction-Films ein Kind gezeugt, das sich dann als Gefängniszelle verkleidet hätte. Das Dach lässt sich öffnen, wobei man dann auf ein Gitter und ein zweites Dach einen halben Meter darüber schaut. Man ist schließlich im Inneren eines Gebäudes.

So eine Smart Lounge ist knapp 2 x 1,5 Meter groß. Man kann sie auch stundenweise beziehen.
Foto: Niko Ostermann

Man kann so eine Box für eine Nacht buchen. Das geht dann einfach wie ein Hotel über Plattformen wie Booking.com. Check-in und Check-out funktionieren über den Bildschirm. Knapp 62 Euro kostet eine Smart Lounge zum Zeitpunkt der Buchung pro Nacht. Das ist zumindest günstiger als in den Flughafenhotels. Dort zahlt man als Alleinreisender meist doppelt so viel.

Darüber hinaus gibt es auch die Möglichkeit, eine Box stundenweise zu bezahlen, jede einzelne kostet dann neun Euro. Auf den Booking-Plattformen laufen sie in der Kategorie "Badezimmer am Gang", was ein Euphemismus für "Es gibt öffentliche Toiletten" ist.

Flughafenschläfer

Auf Flughäfen wird viel geschlafen. Nicht wenige Passagiere haben einen "Sleepover", also ihren Anschlussflug erst am nächsten Tag. Weil es der Flugplan nicht anders zulässt oder um zu sparen. Ist die Zeit zu kurz oder der Geldbeutel zu klein für ein Hotel, bleiben vor allem die Backpacker gerne einfach im Flughafengebäude. Meistens ist das eine rechtliche Grauzone, einen Anspruch darauf hat man nicht. Auf der Webseite www.sleepinginairports.net kann man sich vorab über die Schlafbedingungen an einzelnen Flughafen informieren, inklusive User-Reviews.

Das Urteil über den Flughafen Wien, das noch aus der Zeit vor den Schlafboxen stammt, fällt recht positiv aus: Man sei dort nicht nur tolerant gegenüber Schlafenden, sondern es sei auch relativ ruhig. Besonders gelobt werden die vielen Bänke ohne Armlehnen und die Couchs bei den Gates F. Der User "DrKornelius" gibt dem Flughafen fünf Sterne und nennt ihn "A great place to sleep". Ein Urteil, das gut zur Bundeshauptstadt passt.

Nachts ist der Airport leer, nur ein Liebespaar fällt in eine Umarmung, ein paar Fluggäste übernachten auf Bänken. Als Alternative gibt es nun Schlafboxen für etwa 62 Euro pro Nacht.
Foto: Niko Ostermann

Ein Flughafen bei Nacht ist ein bisschen anders, als man es sich vielleicht vorstellen würde. Er schläft nicht irgendwann abrupt ein und erwacht dann am nächsten Morgen wieder. Es ist mehr so, dass er früh in einen Dämmerzustand überkippt, sich aber weder ganz leert, noch vollkommen zur Ruhe kommt. Um 21 Uhr, wenn die meisten Geschäfte schließen, beginnt – sicher auch durch Corona verstärkt – die Nacht. Gelangweilte Securitys schlurfen herum, die letzten Fluggäste trotten herum oder warten auf ihre Flieger nach Belgrad oder Graz. Ein Pärchen, das sich offenbar länger nicht gesehen hat, begibt sich in eine Umarmung, die nach einer Stunde immer noch andauern wird.

Und so richtig ändert sich das auch nach den letzten Flügen nach Bangkok oder von Lissabon nicht mehr. Die meisten Mitarbeiter sind schon zu Hause, aber die Fluggäste mit Sleepover bleiben ja, ebenso wie die Securitys. Auch in einer stinknormalen Mittwochnacht liegen, sitzen oder dösen knapp 50 Reisende auf den Bänken ohne Armlehnen oder auf dem Boden vor sich hin. Zu ihrer Versorgung stehen am Supermarkt Automaten mit Supermarktpreisen zur Verfügung.

Abenteuer für eine Nacht

Der letzte Store, der am Flughafen schließt, ist der McDonald’s. Die letzte Bastion quasi. Er hat täglich bis kurz vor Mitternacht auf. Der Grund dafür zeigt sich am späten Abend: Zwischen 22.40 Uhr und 22.55 Uhr landet noch ein Schwung an Fliegern aus Städten wie Amsterdam oder London. Mit vielen jungen Gästen, die nahezu ausnahmslos vom Ausgang in den McDonald’s strömen. Ebenfalls bis Mitternacht kann man sich im Wettcafé niederlassen, das quasi auch als Flughafenbeisl dient.

Eine Nacht am Flughafen: Man solle das Ganze als Abenteuer sehen. Und man solle nicht vergessen, auch ein bisschen Schlaf zu bekommen.
Foto: Niko Ostermann

Auf der Webseite der Flughafenschläfer-Community gibt es ein paar allgemeine Tipps, die man unabhängig vom Flughafen beachten sollte. Vieles ist selbsterklärend (auf die Sicherheit achten), anderes beruht auf Erfahrung (gegenüber den Securitys immer so wirken, als wäre die Nacht im Flughafen ein ungeplantes Ereignis). Man solle das Ganze als Abenteuer sehen. Und man solle nicht vergessen, auch ein bisschen Schlaf zu bekommen.

Gähnen auf blauer Folie

Kehrt man dann nach seinem letzten Burger oder seinem letzten Bier zu seiner Smart Lounge zurück, kommt der Moment der Wahrheit. Wie fühlt sich das Bett an? Na ja. Die meisten Menschen werden schon einmal bequemer gelegen haben. Es gibt weder Bettzeug noch Polster. Über der bettartigen Unterlage mit dem erhöhten Kopfteil wurde eine Art blaue Folie gezogen. So was kennt man normalerweise nur aus Ordinationen. Man möchte sich sofort hinlegen und irgendwas freimachen. Zum Glück geht das ja, dafür hat man die Box schließlich gemietet.

Über den Schlaf in der Smart Lounge kann man guten Gewissens sagen: Es ist Schlaf (lieb gemeint).
Foto: Niko Ostermann

Es wäre wahrscheinlich angenehm, würde alles funktionieren. Das tut es aber leider zumindest an dem Tag und in den zwei getesteten Boxen nicht. Der Touchbildschirm lässt sich beim Versuch, die Einstellungen zu verändern, circa einen halben Zentimeter nach hinten schieben. Nicht alle virtuellen Knöpfe funktionieren. Das wäre nicht so tragisch, wenn einer davon nicht eigentlich die Lüftung anschalten würde. In einer geschlossenen 2-x-1,5-Meter-Box ohne Lüftung zu liegen ist eine stickige und äußerst schwitzige Erfahrung.

Über den Schlaf in der Smart Lounge kann man guten Gewissens sagen: Es ist Schlaf (lieb gemeint). Das Bett ist schmal, die blaue Folie verschiebt sich bei jedem leichten Herumwälzen mit. Aber man schläft. Zwischen Mitternacht und fünf Uhr verstummen am Flughafen die Durchsagen, nur das Brummen einer Lampe und das leise Schnarchen aus einer Nachbarbox bildet eine leichte Geräuschkulisse.

Längerer Check-out

Am nächsten Morgen funktioniert das Auschecken nicht. Man muss den Leuten von Zzzleepandgo lassen, dass sie auf den Hilferuf per Whatsapp auch am frühen Morgen innerhalb von 20 Minuten reagieren und den Check-out von Italien aus vornehmen.

Aber 20 Minuten Verzögerung können schon ausreichen, wenn man einen Flug erreichen muss. Nachdem der "Flug" in diesem Fall nur zurück in den Westen Wiens geht, ist es halb so tragisch.

Um nicht zu harsch zu sein: Es wird schon irgendwo ein Publikum für diese Boxen geben. Aber die Ansprüche des Publikums müssen recht spitz konfiguriert sein. Die Boxen bieten für den Preis wenig Komfort, oder andersherum: Für das, was sie bieten, müssten sie günstiger sein. Das würde sogar dann gelten, wenn alles funktionieren würde. Aber vielleicht sind die technischen Gebrechen ja Kinderkrankheiten, die Zzzleepandgo noch in den Griff bekommt. Es bliebe zukünftigen Gästen zu wünschen. Die Boxen haben vor allem den Vorteil, dass sie Privatsphäre bieten. Es mag nicht luxuriös sein, aber es gehört dir, zumindest für die eine Nacht. Wem das 62 Euro wert ist, den werden die Boxen nicht enttäuschen.

Ab fünf Uhr begibt sich Schwechat langsam aus dem Dämmerzustand. Die Backpacker stehen in den "Badezimmern am Gang" und putzen sich die Zähne. Draußen stehen die ersten Fluggäste übernächtigt und aufgedreht herum und wollen nach Frankfurt, Mallorca oder Madrid. Die Restaurants und Shops öffnen. Eine normale Nacht am Flughafen geht zu Ende. (Jonas Vogt, 19.2.2022)