Claudia Scholler verliebte sich sofort in "diese Leere" im dünn besiedelten Tal von Lucainena. Die aus Hamburg stammende 64-jährige Frau kaufte vor 22 Jahren eine 36 Hektar große Finca, restaurierte das Landhaus – den Cortijo El Saltador – und gründete ein Tagungszentrum.

"Stille" heißt das Wort, mit dem sie seither Kunden wirbt. Der nächste Nachbar wohnt einen halben Kilometer entfernt. Scholler hat keinen Handyempfang, von einem Festnetzanschluss ganz zu schweigen. Nach 40 Arbeitsjahren will sich die gelernte Hotelfachfrau und Betriebswirtin zur Ruhe setzen. Doch jetzt, da sie einen "perfekten Käufer für das Anwesen" gefunden hat, kommt alles durcheinander.

In der spanischen Wüste rund um Tabernas steht das Solarpaneel als Zeichen der Zerstörung.
Foto: APA/AFP/CRISTINA QUICLER

"Am 1. November stand ein Anwalt aus Madrid auf meinem Grundstück", erinnert sie sich. "Wir werden drei Hochspannungsmasten auf Ihrem Gelände errichten", eröffnete er ihr. Entweder sie willige ein und kassiere 13.000 Euro Entschädigung, oder die fraglichen Stellen würden enteignet. Für Scholler brach die Welt zusammen. Der "perfekte Käufer" befindet sich seither im "Standby" – so wie der Traum, noch einmal ein anders Leben zu starten.

Die fraglichen Hochspannungsmasten gehören zu einer der drei Leitungen, mit denen der Strom aus dem bei Lucainena geplanten 150 Hektar großen Solarpark zu den weit entfernten Kunden gebracht werden soll. Es ist einer von 28 Solarparks im Landkreis rund um das Städtchen Tabernas und der angrenzenden Wüste und Sierra. "Vorbei ist es mit der Leere", wurde Scholler schnell klar. Sie schlug bei Freunden und Bekannten Alarm.

"Entweder ich willige ein und kassiere 13.000 Euro Entschädigung, oder die fraglichen Stellen würden enteignet." (Grundbesitzerin Claudia Scholler)

Solarpaneele zwischen Felsen

Einer davon ist Juan Segura im Cortijo Los Baños, drei Kilometer talabwärts. Der Solarpark wird gegenüber den Häusern, in denen 30 Menschen in einem Projekt für ökologisches Wirtschaften leben, entstehen und sich bis zum Ort Lucainena ziehen. "Um hier einen Solarpark zu errichten, müssen sie das gesamte Gelände einebnen", ist sich Segura sicher. Die schroffen Felsabhänge sind kaum geeignet, um Solarpaneele aufzunehmen. Die Aussicht auf die karge Landschaft wäre damit dahin. Und wohl auch die Pläne, ein Ökocamping auf der Finca Los Baños zu bauen.

Dort, wo das Tal in die Wüste von Tabernas mündet, rollen bereits seit Monaten die Baumaschinen. Es entstehen gleich mehrere Solarparks. Tausende Olivenbäume wurde herausgerissen, in immer gleichen Abständen Metallpfähle für die Solarpaneele gesetzt. Ein Umspannwerk entstand.

Claudia Scholler und Juan Segura mit einer Fotomontage dessen, was sie erwartet.
Foto: Reiner Wandler

Sterbende Westernromantik

Mittendrin ein Pferdehof: "López", stellt sich der Besitzer vor. Der 46-jährige Mann, der ganz im Cowboystil gekleidet ist, will seinen Vornamen nicht gedruckt sehen. "Die halbe Gegend heißt López, aber meinen Vornamen gibt es nur einmal", begründet er, warum. Ihn treibt die Angst vor Repressalien: "Sie haben mir schon einmal die Wasserleitung gekappt. Ich will nichts riskieren. Was soll ich ohne Wasser mit meinen Pferden machen?"

López lebte bisher vom Mythos der Wüste Tabernas. Die Filmindustrie entdeckte in den 1960ern die karge, zerfurchte Landschaft für Spaghettiwestern. Über 300 Filme wurden seither hier gedreht – darunter Spiel mir das Lied vom Tod,Lawrence von Arabien sowie Szenen für India Jones.

López vermietet seine Pferde an Produktionsgesellschaften und veranstaltet Reitausflüge durch die Wüste. Doch seit sie hier bauen, wird viel weniger gedreht. Stellen ohne Strommasten, Gebäude oder sonstige Bauwerke werden immer weniger. Genau wie diejenigen, die auf den Spuren Clint Eastwoods und Charles Bronsons galoppieren wollen. "Niemand reitet gerne zwischen Baustellen umher", sagt López. Auch wenn die Solarparks einmal fertig sind, wird die Westernromantik Geschichte sein.

López trauert seiner Lebensgrundlage nach. Die Stille und unberührte Natur sei attraktiv für Touristen gewesen. Seine Pferde spielten in Filmen mit.
Foto: Reiner Wandler

Zu wenig zum Leben...

López kehrte vor 20 Jahren dem Leben als Mechaniker den Rücken, kam in die Wüste. Er pflanzte Bäume, Stallungen und eine Pferdekoppel entstanden. Ein Wohncontainer mit einer großen Terrasse wurde zu seinem Heim. Würden ihm die Betreiber ein Angebot machen, er würde sofort verkaufen und weggehen. Doch die Energiekonzerne wollen nur pachten. Jährlich 2000 Euro pro Hektar haben sie ihm geboten. Sein Gelände umfasst acht Hektar. Das reicht nicht zum Leben und schon gar nicht, um irgendwo neu anzufangen. "Ich bin ruiniert", sagt López mit gedrückter Stimme.

Oben in Lucainena wurde mittlerweile eine Bürgerinitiative gegründet. Man hoffte auf Hilfe seitens der Gemeinde. Vergebens. Bürgermeister Juan Herrera schmiss das Handtuch, bevor er in den Ring gestiegen ist. Nicht etwa, dass der 66-jährige Konservative, der seit 26 Jahren dem 550-Seelen-Ort vorsteht, begeistert wäre. Er sieht nur keine Möglichkeit zu verhindern, was auf ihn zukommt: "Die Firmen haben Lizenzen vom Ministerium für den Ökologischen Umbau. Eine Gemeindeverwaltung hat da wenig zu melden."

Schwindende Olivenerträge

Herrera weiß, warum so mancher an die Energieversorger verkauft oder verpachtet: "Es ist immer trockener, die Olivenbäume werfen immer weniger Ertrag ab. Wer will es ihnen da verdenken?"

Das neue Landschaftsbild.
Foto: Reiner Wandler

Lucainena de las Torres, wie der abgelegene Ort mit seinen weißen Häusern, engen Gassen und Geranien an Fenstern und Balkons inmitten von schroffen, roten Felsen und Olivenhainen offiziell heißt, hat es 2013 auf die Liste der schönsten Dörfer Spaniens geschafft. Das bringt Tourismus. Noch. Herrera schaut vom Aussichtspunkt vor der Kirche übers Tal. "Da drüben, hinter dem Friedhof, wird der Solarpark zu sehen sein, aber ein Großteil wird durch den Hügel dort links verdeckt", tröstet er sich dann. Die Bauzeit, die für Staub, Lärm und Lkw-Verkehr sorgen wird, werde schnell vorbeigehen, hofft er. Und was hat das Dorf von alldem? "Wenig. Denn Arbeitsplätze werden kaum entstehen."

Kaum Gewinn vor Ort

"Nur zwei Prozent der Gewinne von Solarparks bleiben vor Ort", bestätigt Luis Bolonio. Der 40-jährige Biologe ist Sprecher des "Bündnisses Energie und Gebiet" (Aliente), eines Zusammenschlusses von über 180 Bürgerinitiativen und Umweltverbänden aus ganz Spanien. Auch die Initiative aus Lucainena hat sich angeschlossen. Sie wollen "die Energiewende nicht denen überlassen, die für die Klimakatastrophe verantwortlich sind." Gemeint sind die großen Energieversorger, die für die großen Pläne verantwortlich zeichnen.

2013 wurde Lucainena de las Torres zu einem der schönsten Dörfer Spaniens gewählt.
Foto: Reiner Wandler

In Spanien stehen Photovoltaikanlagen mit rund 15 Gigawatt (GW) Leistung. Bis 2030 sollen es mindestens 39 GW werden. 5,4 Prozent der gesamten spanischen Leistung sollen dann rund um Tabernas stehen, die gerade 0,13 Prozent von Spanien ausmacht.

Vorschlag Folienzelte

Für Bolonio ist dies eine "völlig verfehlte Entwicklung". Die Großanlagen bedeuteten den Verschleiß intakter, weitgehend unberührter Landschaft. "Warum nicht schon verbaute und degradierte Gebiete für die Energiegewinnung nutzen?", fragt er und verweist auf die Folienzelte für Gemüseanbau. Es gebe mittlerweile Photovoltaikzellen auf lichtdurchlässiger Folie. "Darunter kann weiterhin Gemüse wachsen, und dennoch würde Strom produziert", sagt der Biologe. Allein in der Provinz Almería, zu der die Wüste von Tabernas gehört, liegen 30.000 Hektar unter Plastikgewächshäusern.

Der Ausbau erneuerbarer Energien folgt nicht nur heimischer Nachfrage. Regierungschef Pedro Sánchez bekräftigte vor internationalen Investoren, zum Exporteur für "grüne Energie" werden zu wollen. Bolonio missfällt diese Idee: "Dieser Energiekolonialismus bedeutet Landschaftszerstörung für uns, Industrie und Gewinne für die Länder im Norden." (Reiner Wandler aus Tabernas, 20.2.2022)