Die zentrale Frage einer Satire sollte sein, wer für einen Missstand verantwortlich ist, sagt der Geschäftsführer des Presserats Alexander Warzilek im Gastkommentar. Lesen Sie dazu auch den Gastkommentar der Kultur- und Sozialanthropologin Ingrid Thurner: Tugendbesoffenheit, ein Rausch ohne Kater.

Illustration: Fatih Aydogdu

Das verfremdete Bild einer Krippenszene des flämischen alten Meisters Jacob Jordaens störte den vorweihnachtlichen Frieden in der österreichischen Politikszene abrupt. In das Ölgemälde montierte der Falter in seiner jährlichen Satirebilanz "Best of Böse" Sebastian Kurz als Josef und seine Lebensgefährtin Susanne Thier als Maria mit entblößter Brust und dem Jesuskind auf dem Arm. Daneben Außenminister Alexander Schallenberg und FPÖ-Chef Herbert Kickl als Hirten. Die Überschrift der Komposition lautete "geilzeit", gestaltet im Stil der Freizeit-Beilage des Kurier; im Begleittext hieß es: "Die liebe Familie – (…) Die besten Tipps für den stilvollen Rückzug ins Privatleben".

Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) bezeichnete das Sujet als "Grenzüberschreitung" und "geschmacklos". ORF-Anchormann Armin Wolf sprach auf Twitter von "Maturazeitungsniveau". Der Wiener FPÖ-Obmann Dominik Nepp forderte sogar, Falter-Chefredakteur Florian Klenk den Titel "Journalist des Jahres 2021" zu entziehen. Nepp und weitere 57 Personen beschwerten sich beim Presserat, der Selbstkontrolleinrichtung für die Printmedien, die nun eine Entscheidung fällte: Der satirische Beitrag ist von der Meinungsfreiheit gedeckt und verstößt nicht gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse.

Politische Zwecke

Wie gelangten die Ethikwächter zu dieser Auffassung? Ausschlaggebend waren die Sachbezüge zu verschiedenen politisch relevanten Themen. Der zentrale Kritikpunkt der Karikatur betrifft Zweifel an der Plausibilität des von Kurz angeführten Rücktrittsgrunds, er wolle sich mehr um die eigene Familie kümmern. Tatsächlich bewirkten mehrere belastende Chats und die Ermittlungen der Strafbehörden sein politisches Aus.

Mit der Überschrift "geilzeit" sollte zum einen auf die Kampagne von Kurz im Wiener Wahlkampf 2011 mit dem Motto "Schwarz macht geil" (Stichwort "Geilomobil") angespielt werden; zum anderen aber auch auf das Freizeit-Magazin des Kurier, dem der Falter damit eine besondere Nähe zum Ex-Kanzler attestiert. Dem Presserat zufolge muss nicht nur Kurz, sondern auch seine Partnerin den satirischen Spott des Falter aushalten, weil die Lebensgemeinschaft der beiden auch für politische Zwecke eingesetzt wurde. Thier nahm nicht nur an Wahlkampfveranstaltungen teil, sondern zeigte sich insbesondere nach der öffentlichen Bekanntgabe ihrer Schwangerschaft vermehrt in den Medien.

Sexualisierter Beitrag

Der Presserat übte jedoch auch Kritik am Falter. Die entblößte Brust weist im Kontext mit dem abgewandelten Kurier-Logo "geilzeit" nämlich auch einen sexualisierten Gehalt auf. Diese persönlichkeitsverletzende Komponente rückt jedoch wegen der in der Satire verarbeiteten politischen Themen in den Hintergrund. Dabei fällt auch ins Gewicht, dass die Meinungsfreiheit bei satirischen Beiträgen besonders weit reicht, zumal für diese Kunstform Spott, Übertreibungen und Verzerrungen typisch sind. Der Fall wäre möglicherweise dann anders ausgegangen, wenn Thier überhaupt nicht am öffentlichen Leben teilgenommen hätte.

In der Praxis kommt es selten vor, dass Presseräte oder auch Gerichte Satire beanstanden. Ein Beispiel dafür ist ein Profil-Cover 1996, auf dem der damalige Kanzler Franz Vranitzky nackt zu sehen ist. Die Überschrift dazu: "Des Kaisers neue Kleider". Sowohl der Presserat als auch der Oberste Gerichtshof sahen darin eine Persönlichkeitsverletzung. Dieses Ergebnis ist fragwürdig, zumal das Magazin mit dem Bild politische Kritik am schlechten Verhandlungsgeschick des SPÖ-Politikers mit der ÖVP übte. Einen liberaleren Ansatz vertritt auch der Deutsche Presserat, der die Nacktdarstellung des Kanzlers Gerhard Schröder auf der Stern-Titelseite 2002 als gerechtfertigt bewertete (in beiden Fotomontagen waren die Geschlechtsteile verdeckt, Anm).

Falsche Gegner

Ein weiteres Beispiel betrifft ein Titelbild des deutschen Satiremagazins Titanic, auf dem Papst Benedikt mit einem gelben Fleck in Schritthöhe auf seiner Soutane abgebildet ist. Die Überschrift dazu: "Die undichte Stelle ist gefunden". Der Anlass waren Korruptionsvorwürfe, die aus dem Vatikan "geleakt" wurden. Hier stellte der Deutsche Presserat einen Eingriff in die Menschenwürde fest. Nachvollziehbar ist auch der vom deutschen Bundesverfassungsgericht festgestellte Rechtsverstoß zu einer Karikatur mit Franz Josef Strauß, in der der CSU-Politiker als Schwein dargestellt wurde, das mit einem anderen Schwein in Richterrobe kopuliert.

"Satire bewegt sich naturgemäß am Rande der Provokation und darf auch wehtun."

Auch wenn die Falter-Veröffentlichung nicht zu einer Verurteilung durch den Presserat geführt hat: Ob sie gelungen ist, steht auf einem anderen Blatt. Die zentrale Frage jeder Satire sollte sein, wer für einen Missstand verantwortlich ist. Das primäre Angriffsziel war daher Ex-Kanzler Kurz und nicht dessen Lebensgefährtin, die in politischer Hinsicht lediglich eine Randfigur ist. Personen, die auf das kritisierte Geschehen zu wenig Einfluss haben, sind der falsche Gegner. Dadurch dass Thier im Mittelpunkt der Karikatur steht, gerät Kurz als eigentlicher Adressat der Satire aus dem Fokus. Darüber hinaus hat die Karikatur auch einen gewissen sexistischen Beigeschmack. Damit ist wahrscheinlich auch die heftige Kritik zu erklären, die von vielen Seiten geäußert wurde.

Satire bewegt sich naturgemäß am Rande der Provokation und darf auch wehtun. Sie trifft jedoch nur dann ins Schwarze, wenn sie das Fehlverhalten der Mächtigen pointiert und geistreich anprangert. Ein Blattschuss ist dem Falter hier nicht gelungen. (Alexander Warzilek, 18.2.2022)