Mario Draghis Verärgerung war derart groß, dass er am Donnerstag vorzeitig ein Gipfeltreffen der EU mit der Afrikanischen Union in Brüssel verließ, sich ins Flugzeug setzte und nach Rom zurückflog, um den Parteichefs in seiner Regierungskoalition die Leviten zu lesen.

Matteo Salvini gehört zwar der Regierungskoalition an, fällt aber durch beständig destruktives Handeln auf
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Die Partner, erklärte der Premier dann während der Sitzung, sollen ihm klipp und klar sagen, ob sie noch bereit seien, die Reformen für Italien mitzutragen und bei der Modernisierung des Landes mitzuwirken. Wenn dies nicht mehr der Fall sei, dann sei er die falsche Person am falschen Platz. "Ich beabsichtige nicht, hier einfach meinen Sessel zu wärmen", wurde Draghi von einem Minister zitiert, der beim heftigen Wortwechsel dabei war.

In der Nacht zuvor hatten Parlamentarier der Koalition gleich bei vier Tagesordnungspunkten gegen die eigene Regierungslinie gestimmt und die Vorlagen damit versenkt. Unter anderem verhinderte der zuständige Ausschuss der Abgeordnetenkammer, dass die Obergrenze für Barzahlungen in Italien künftig von bisher 2000 auf 1000 Euro gesenkt wird. Dabei handelte es sich um eine von mehreren Maßnahmen, mit denen Draghi die grassierende Steuerhinterziehung bekämpfen will.

Prahlerei auf Facebook

Der Chef der rechten Lega, Matteo Salvini – der Form nach ein Koalitionspartner, der allerdings seit Monaten wie ein Oppositionschef agiert –, brüstete sich auf Facebook, der eigenen Regierung ein Bein gestellt zu haben: "Dank der Lega und der anderen Rechtsparteien ändert sich die Obergrenze beim Gebrauch von Bargeld nicht", schrieb Salvini triumphierend.

Die Lega ist aber nicht die einzige Partei, die bei den Reformen ausschert. Die neuesten Hinterhältigkeiten im Parlament waren nun für Draghi der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Seit Monaten schon werfen die Parteien dem Regierungschef Knüppel zwischen die Füße. Aus einem an sich einfachen Grund: Spätestens im Frühling 2023 wird das Parlament neu gewählt – bis dahin will niemand wegen der teils unpopulären Reformen des parteiunabhängigen Draghi die Gunst der Wählerinnen und Wähler aufs Spiel setzen. Vielmehr scheinen etliche Parteien nun geradezu die Spendierhosen anzuziehen.

Destruktives Handeln

Etliche Reformvorhaben sind seit Monaten blockiert, allen voran die Steuerreform, die mit Blick auf die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit Italiens als eine der wichtigsten gilt. Das Problem für die wahlkämpfenden Parteien: Die Reform sieht auch eine Anpassung der amtlichen Einheitswerte für Immobilien vor. Diese liegen meist deutlich zu tief.

Und bei den jüngsten Reformen – etwa bei der Neuorganisation der Justiz und beim Versuch, an den tausenden Strandbädern mehr Wettbewerb einzuführen – distanzierten sich Parteienvertreter am gleichen Tag von den Maßnahmen, denen ihre Minister noch vor wenigen Minuten im Ministerrat zugestimmt hatten.

Für den 74-jährigen Draghi ist dies alles völlig inakzeptabel: Seine Regierung sei von Staatspräsident Sergio Mattarella vor einem Jahr eingesetzt worden, um Italien voranzubringen, so Draghi bei seiner Standpauke. Und nicht zuletzt gehe es auch um die 191 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds.

Draghi erinnerte die Parteien daran, dass Brüssel die Freigabe dieser Gelder an die Einhaltung eines sehr anspruchsvollen Reformfahrplans geknüpft habe. Er sei nicht bereit, wegen der anstehenden Wahlen die EU-Hilfen aufs Spiel zu setzen und die einmalige Chance für Italien möglicherweise zu vergeben. Draghi, von vielen als Retter Italiens gesehen, will nicht zum unfreiwilligen Totengräber werden. (Dominik Straub aus Rom, 18.2.2022)