Das Freiheitsgefühl der Österreicherinnen und Österreicher ist auf einem Tiefpunkt, ein Viertel der Menschen fühlt sich eher oder doch sehr unfrei. Diese Erkenntnis aus dem "Freiheitsindex", den das Umfrageinstitut Sora auch heuer wieder für das Neos Lab erhoben hat, kommt nicht überraschend. Nach zahlreichen Lockdowns, enthusiastischen Öffnungs- und grimmig-düsteren Schließungsansagen wäre der naheliegende Befund: Schuld ist die Pandemie.

Das stimmt und stimmt auch wieder nicht – denn das Problem liegt tiefer. Die Menschen in unserem Land sind nicht nur vervirt. Sie sind auch verwirrt und kennen sich nicht aus mit ihrer politischen Führung. Das ist ein grundsätzliches Problem, das die Pandemie so klar wie nie aufzeigt.

Die Politik der Bundesregierung wirkt auf weite Strecken erratisch und nicht nachvollziehbar. Das führt dazu, dass sich einige Bürgerinnen und Bürger enttäuscht abwenden, dass manche ihre eigenen Wahrheiten in den Tiefen des Internets suchen – und sich radikalen Gruppen von Impfgegnern anschließen. Der Großteil der Menschen hält freilich durch, macht weiter, versucht, so gut wie möglich alle Vorschriften einzuhalten – allerdings mit immer klammeren Gefühlen der Verunsicherung und Belastung. Dauerbelastung wiederum führt zu Beklemmungen, einem Gefühl des Eingezwängtseins, kurzum Unfreiheit.

Die Politik der Bundesregierung wirkt auf weite Strecken erratisch und nicht nachvollziehbar.
Foto: APA/FLORIAN WIESER

Appell an die Politik

Dass die Menschen ihr Unwohlsein, laut Sora-Index, stark mit der Politik im Land verknüpfen, sollte allen Parteien zu denken geben, den Regierungsparteien jedoch am meisten. ÖVP und Grüne erklären zu wenig, warum und vor welchem Hintergrund sie politische Schritte setzen. Sie erklären auch zu wenig, ob sie nun den Empfehlungen der Fachwelt folgen – und welchen von ihnen sie folgen. Zu unguter Letzt bleiben sie obendrein oft nicht bei dem, was sie einmal beschlossen und verkündet haben.

Sich von den Landeshauptleuten erst in die eine und dann in die andere Richtung treiben zu lassen war jedenfalls die schlechteste Idee. Diese verlangten erst Lockdown und Impfpflicht, jetzt, entgegen der vorsichtigen Infektionsprognose der Gecko-Kommission, wünschen sie – bis auf Wien – das Gegenteil. Wer soll sich da auskennen?

Apropos Wien: An diesem Bundesland sieht man, dass politische Berechenbarkeit belohnt wird. Bürgermeister Michael Ludwig pflegt sorgsam sein Image als strenger Stadtvater. Das finden die Wiener zwar unbequem, trotzdem steigen Ludwigs Zustimmungsraten in lichte Höhen. Dasselbe gilt übrigens für seinen SPÖ-Kollegen Hans Peter Doskozil, der seit Monaten für weitgehende Freiheiten eintritt und dafür von seinem Landesvolk ebenfalls hoch bewertet wird. Beide Beispiele zeigen: Egal welchen Weg politische Führungspersonen einschlagen, sie sollten tunlichst dabei bleiben. Aber Ludwig und Doskozil haben leicht lachen, sie haben schließlich nicht ihresgleichen im Nacken sitzen.

Die Bundesregierung sollte, nach den Kurz-bedingten Turbulenzen, endlich Tritt fassen und ihre eigene Verunsicherung in den Griff bekommen. Man muss sich nicht alles aufs Auge drücken lassen. Man kann auch Konflikte mit Landeshauptleuten überstehen. Man sollte Bürgerinnen und Bürgern nur die Sicherheit geben, dass man weiß, was man tut – und dabei bleiben. Sie haben dann die Freiheit, das gut zu finden oder nicht. (Petra Stuiber, 19.2.2022)