Der britische Autor Edmund de Waal schrieb in "Der Hase mit den Bernsteinaugen" die Geschichte seiner Familie nieder, die eng mit dem Wiener Palais Ephrussi verknüpft ist.

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Wien – Monumentale Türme erinnern an barocke Schlossarchitektur. Über dem Innenhof schwebt ein Glasdach. Das Palais Ephrussi am Wiener Universitätsring zählt zu den geschichtsträchtigsten Gebäuden der Ringstraße. Einst Wohnsitz der gleichnamigen jüdischen Familie, von den Nationalsozialisten "arisiert" und geplündert, nach dem Krieg restituiert, von den verarmten Nachfahren zu einem geringen Preis verkauft, ist es Dokument für die Vertreibung und den finanziellen Ruin jüdischer Familien. Mehrfach wechselten seither die Besitzer. Zentral am Schottentor gelegen, gilt das Palais als begehrte Immobilie. Nun zeichnet sich ein neuer Mieter für die jüngst frei gewordenen Flächen im Erdgeschoß ab – dem Vernehmen nach der Supermarkt Billa.

Wettlauf

Vis-à-vis in der früheren feudalen Zentrale des Wiener Bankvereins hatte der Lebensmittelkonzern Rewe im Wettlauf gegen den Erzrivalen Spar das Nachsehen. Noch heute macht in der Immobilienbranche die Erzählung die Runde, wie der ehemalige Kassensaal erst der Rewe, dann Spar zugesichert worden war. Keiner wollte sich geschlagen geben, bis ein juristischer Vergleich das Duell beendet haben soll.

Spar ließ sich die Umwandlung des denkmalgeschützten Marmorsaals in einen Supermarkt und ein Restaurant gut zehn Millionen Euro kosten. Doch bald könnte ihr Rewe, gerade einmal einen Katzensprung entfernt auf der anderen Straßenseite, Kunden abjagen.

Rewe bestätigt auf Anfrage des STANDARD Verhandlungen rund um den Standort. Um eine Entscheidung oder Details dazu bekanntzugeben, sei es aber noch zu früh. Ziel sei es, "das bestehende Filialnetz in den Innenstädten zu verbessern und neue Projekte umzusetzen".

Spar will den potenziellen neuen Mitstreiter an der prominenten Adresse sportlich nehmen, wie Nicole Berkmann, Konzernsprecherin der Handelskette, versichert.

B&C Holding als Eigentümer

In Erinnerung gerufen wurde den Wienern das 1872/73 von Theophil Hansen erbaute Palais Ephrussi von dem britischen Keramiker und Autor Edmund de Waal. In seinem Buch Der Hase mit den Bernsteinaugen arbeitet er die Geschichte seiner Familie auf, die das Gebäude als Bankiers einst errichten ließ.

1969 wurde es Firmensitz der Casinos Austria. 2009 verkaufte es diese an Epam Immobilien, die über eine Privatstiftung in Hand der Familie Bertalanffy ist. 2018 kam es unter das Dach der B&C Holding, die unter anderem an Industrieunternehmen wie Lenzing, Semperit und Amag beteiligt ist. B&C firmiert selbst neben zahlreichen anderen Büros im Palais. Auskunft gibt man über aktuelle Mieterverhandlungen keine. Nur so viel: "Es wurde renoviert."

Auch das Büro des Anwalts Karl Grigkar, der das altehrwürdige Haus verwaltet, äußert sich dazu nicht. Bereits mit Jahresende 2021 ausgezogen ist eine Selbstbedienungsfiliale der Bank Austria. Diese wurde mit umliegenden Standorten zusammengelegt.

"Von einer Tasche in die andere"

Immobilienexperten schütteln angesichts des Wettrüstens der Supermarktriesen in der Wiener Innenstadt den Kopf: Mit klassischer betriebswirtschaftlicher Kalkulation habe das wenig zu tun. Was zählte, seien allein Marktanteile. Da werde Geld lieber von der linken in die rechte Jackentasche gesteckt, als zu riskieren, dass es in der Tasche des Rivalen lande, resümiert ein Standortentwickler.

Österreichs Dichte an filialisiertem Lebensmittelhandel ist mit 0,35 Quadratmetern Verkaufsfläche je Einwohner so hoch wie in kaum einem anderen Land der EU. Noch mehr treten Supermarktbetreiber einander in Wien auf die Füße. Eine Notwendigkeit für weitere Standorte sehen Marktforscher nicht. Investiert wird dennoch. Was zählt, sind repräsentative Flagshipstores in Hochfrequenzlagen.

Rewe und Spar ziehen seit Jahren immer engere Kreise um Meinl, der nach wie vor am Graben als Einzelkämpfer sein Glück versucht. Sechs Filialen führt Spar innerhalb des Rings. Rewe sicherte sich zentrale Standorte wie den Michaelerplatz, den Hohen und den Neuen Markt. Der Appetit beider ist nicht gestillt, auch wenn derzeit Touristen wie Studenten fehlen. "Im Herzen Wiens zeigt man als Händler her, was man in Sachen Lebensmittel, Ladenbau und Architektur draufhat", sagt Berkmann. (Verena Kainrath, 19.2.2022)