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In Kiew gedachte man am Freitag der Gewalteskalation am Maidan vor acht Jahren. Das Land kommt seither nicht zur Ruhe, erneut liegt Kriegsangst in der Luft.

Foto: Reuters / Antonio Bronic

Deeskalation schaut anders aus. Während sich in München das weltweite Who’s who der Außenpolitik zum Dialog trifft und in Brüssel dutzende Staats- und Regierungschefs das Finale des EU-Afrika-Gipfels begehen, setzte Russlands Präsident Wladimir Putin aus Moskau ganz andere Signale. Er werde am Samstag höchstpersönlich eine Übung seiner Atomstreitkräfte beaufsichtigen.

Sowohl in München als auch in Brüssel waren die Gespräche denn auch vom weltpolitischen Hauptthema dieser Tage überschattet: der unmittelbaren Kriegsgefahr in der Ukraine und der militärischen Bedrohung durch russische Truppen.

Die EU-Chefs haben alle Szenarien durchgespielt. Gleichzeitig liefen die Gespräche in vielen bilateralen Kontakten mit den USA und der Nato weiter. An Putin erging die Botschaft, dass eine Militärintervention "beispiellose Folgen" hätte.

In der Nacht auf Freitag teilte das Weiße Haus in Washington mit, dass Präsident Joe Biden im Verlauf des Tages mit ausgewählten europäischen Regierungschefs – unter anderem aus Frankreich, Deutschland und Italien, Rumänien, Polen und dem Baltikum – sowie Vertretern von EU-Institutionen beraten werde.

Zusammenhalt in München

Das deutet darauf hin, dass auch schon Einsatzpläne der westlichen Staaten konkret werden. Die USA gehen nach wie vor davon aus, dass ein militärischer Angriff der russischen Truppen in den nächsten Tagen wahrscheinlich sei. Von einem Rückzug von Soldaten und Gerät, wie der Kreml das mit Videos zu untermauern versucht hatte, könne keine Rede sein.

Angebote zum Dialog werden zwar von beiden Seiten weiter betont, doch hören sie sich zum Teil eher wie Drohungen an. So habe US-Außenminister Antony Blinken eine Einladung, seinen russischen Amtskollegen Sergej Lawrow zu treffen, angenommen. Das Treffen soll Ende nächster Woche stattfinden – wenn Russland denn nicht in die Ukraine einmarschiert.

Man bemühe sich sehr um einen diplomatischen Ausweg, betonte Blinken auch am Freitag in München, doch gleichzeitig müsse man auf die Fakten reagieren.

In der bayerischen Hauptstadt findet bis Sonntag die Münchner Sicherheitskonferenz statt. Bei einem gemeinsamen Auftritt unterstrichen Blinken und seine deutsche Amtskollegin Annalena Baerbock die Solidarität untereinander und jene mit den Nato-Partnern und der EU. Im Zuge des Konflikts seien alle Verbündeten weiter zusammengerückt, betonte Blinken – eine Tatsache, die wohl auch Präsident Putin überrascht hätte, fügte er hinzu.

Uno-Generalsekretär António Guterres rief eingangs zur Deeskalation auf, Russland sendete aber gegenteilige Signale: Zum ersten Mal seit 1991 schickte die Regierung keine Vertreter nach München. Sehr wohl vor Ort war der Ex-Boxer und Bürgermeister von Kiew Vitali Klitschko. Er meldete sich überraschend zu Wort und forderte Waffenlieferungen von Deutschland, was Baerbock aber erneut "aus historischen Gründen" ablehnte.

Aufforderung zur Flucht

Dass die Lage ernst ist und die EU-Staaten nicht nur rhetorisch mit einer Eskalation rechnen, bestätigte auch Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer, der im Europäischen Rat eingebunden war. Nehammer sprach von einem "Fake-Rückzug" russischer Einheiten.

In Wahrheit würden laut Geheimdienstberichten große Reserven von Blutkonserven an die russisch-ukrainische Grenze geschafft, Vorboten von Gefechten. In der Ostukraine forderte die prorussische Führung der Separatistengebiete in Luhansk und Donezk jedenfalls die Zivilbevölkerung zur Flucht auf.

Die EU-Kommission hat in den vergangenen Wochen bereits intensive Vorbereitungen für den Tag X getroffen. So sind mit Drittstaaten Lieferungen von Erdgas per Schiff vereinbart, sollte es zu einem Stopp russischer Lieferungen kommen.

Vizepräsident Margaritis Schinas, der unter anderem für Migration zuständig ist, hat bestätigt, dass man im Fall einer russischen Invasion mit tausenden Flüchtlingen rechne, "bis zu eine Million" Ukrainerinnen und Ukrainer könnten versuchen, sich in den Westen zu begeben. Die meisten von ihnen würden vermutlich nach Polen gehen, wo bereits mehr als eine Million ihrer Landsleute lebt.

Die Ukraine ist über die "Östliche Partnerschaft" ein enger Verbündeter der EU. Menschen aus der Ukraine können ohne Visum jederzeit in ein EU-Land fahren, auch ohne um Asyl anzusuchen. (Thomas Mayer, Anna Sawerthal, 18.2.2022)