Alfred und Christa Vlasek wohnen in Wien und Weitra.

Foto: Heribert Corn www.corn.at

In Edlitz oder Knittelfeld, sagt Alfred Vlasek, wären seine Frau und er immer "die Weaner": "Die Zuagrastn." Hier in Weitra sei das anders: In der knapp 3000 Einwohner zählenden Stadt in der nordwestlichen Ecke des Waldviertels ist das Paar wirklich zu Hause, es ist hier sozial und familiär verwurzelt.

Auch wenn Herr Vlasek sich selbst als "Hundertprozent-Wiener" bezeichnet. In Weitra haben die Vlaseks ihren Nebenwohnsitz. Es fühlt sich nicht so an: Man kennt sie in der Stadt, gerade richten sie Alfred Vlaseks Elternhaus aufwendig her: Sie ersetzen den morschen Dachstuhl, bauen neue Fenster ein und eine kräftige Dämmung. "Ich habe zwei Heimaten", sagt Vlasek. Aber zwei Hauptwohnsitze kann man in Österreich nicht haben.

Man könnte sagen: Christa und Alfred Vlasek gehören zu den guten Zweitwohnsitzern. Von ihnen war in den vergangenen Wochen kaum die Rede – da ging es vor allem in Niederösterreich nur darum, wie Menschen mit Nebenwohnsitz den Gemeinden zur Last fallen: Sie brauchen Straßen, eine Kanalanbindung, verbrauchen Fläche, wünschen sich auch Freizeitangebote. Aber Zweitwohnsitze bringen den Kommunen keinen Cent aus dem Bundesbudget.

Parkpickerl bringt Wahlreform

Das führte zur skurrilen Entwicklung, dass die flächendeckende Einführung des Parkpickerls in Wien eine Wahlrechtsreform in Niederösterreich auslöste: Um das Auto in Wien unbegrenzt abstellen zu können, braucht es künftig einen Hauptwohnsitz. Vor allem Speckgürtelgemeinden fürchteten massenhafte Ummeldungen – dass man nun für das Wahlrecht bei Gemeinde- und Landtagswahlen einen Hauptwohnsitz in Niederösterreich braucht, soll der Entwicklung gegensteuern.

Nicht alle Gemeinden ächzen unter der Last der Zweitwohnsitzer. Viele Bürgermeisterinnen freuen sich, dass sie sich ums Ortsbild kümmern – und etwa alte Häuser renovieren.
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Die Vlaseks finden es schade, dass sie ihr Wahlrecht verlieren werden, wenn der niederösterreichische Landtag die Reform kommende Woche beschließt. An ihrem Meldearrangement wird das dennoch nichts ändern. Für die Wohnung in Wien-Floridsdorf brauchen sie den Hauptwohnsitz, und die wollen sie keinesfalls aufgeben: In der Hauptstadt pflegt das pensionierte Ehepaar Freundschaften und trifft seine Kinder. Vor allem Frau Vlasek flieht im Winter gern in die Stadt, wenn es im Waldviertel ungemütlich wird.

1.211.051 Nebenwohnsitzmeldungen gab es Ende 2019 in ganz Österreich, das sind die aktuellsten Daten – in der Pandemie berichteten etliche Gemeinden allerdings von einem Zweitwohnsitzboom. Der Gemeindebund beobachtet die Entwicklung "mit einem kritischen Auge", heißt es auf STANDARD-Anfrage. Die Nebenwohnsitzer verursachten nicht nur Kosten in der Gemeinde, die schwer zu decken sind – sie treiben mitunter auch die Immobilienpreise in die Höhe. Eigene Abgaben für Zweitwohnsitze gibt des derzeit nur in Kärnten, Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg.

Ein Fan unter den Ortschefs

Der Weitraer Bürgermeister Patrick Layr (ÖVP) sieht die Probleme, zählt sich aber dennoch zu den Nebenwohnsitzfans unter den Ortschefs: "Ich glaube, dass die Zweitwohnsitzer durchwegs auch einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Leben in einer ländlichen Gemeinde leisten", sagt er zum STANDARD. Sie seien eine "positive Bereicherung" und halten ihre Häuser in Schuss – auch wenn sie der Gemeinde kein Geld einbringen, pflegen sie also zumindest das Ortsbild.

Claudia Bock befindet sich am anderen Ende des Spektrums: Die Bürgermeisterin der Wienerwaldgemeinde Wolfsgraben ächzt unter einer "beträchtlichen Menge" an Nebenwohnsitzen: Auf 1750 Menschen mit Hauptwohnsitz kommen in ihrer Gemeinde 560 Zweitwohnsitze.

"Ich will nicht sagen, dass wir ein Wohnschlafdorf sind. Aber es ist schon ein Problem, dass viele nicht im Ort arbeiten, abends heimkommen, das Gartentürl zumachen und sagen: Ich will meine Ruhe haben", sagt Bock. Das betreffe aber auch viele Hauptwohnsitzer – in beiden Gruppen gebe es halt solche und solche. Nur: Für die Hauptwohnsitze erhält die Gemeinde halt Geld.

Das Elternhaus wird aufwendig hergerichtet.
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Zersiedelung

Nicht nur in Niederösterreich, auch in Salzburg ist das Thema Zweitwohnsitze ein Dauerbrenner. Ferienhäuser und Ferienwohnungen treiben die Kosten für Grund und Wohnraum in die Höhe. Die Landschaft leidet mancherorts massiv unter Zersiedelung und Verbauung.

Im September 2021 hat der Salzburger Landtag daher mit einer Raumordnungsnovelle die Widmung von Zweitwohnsitzen eingeschränkt. Ausgewiesen wird ein Zweitwohnsitz nur dann, wenn in der Gemeinde der leistbare Wohnraum nicht beeinträchtigt wird sowie keine wertvollen Freiräume und landwirtschaftlichen Flächen in Anspruch genommen werden.

Für die Regierungsparteien ÖVP, Grüne und Neos kommt das einem Verbot gleich. Die Opposition aus SPÖ und FPÖ hätte die Widmungskategorie lieber komplett gestrichen. Ende Jänner wurde zudem der Gesetzesentwurf für Abgaben für leerstehende Wohnungen und Zweitwohnsitze in Begutachtung geschickt. Das neue Gesetz soll Gemeinden ermächtigen, eine Abgabe von maximal 1000 Euro pro Jahr für 100 Quadratmeter einzuheben.

Abgabe gefordert

In Niederösterreich haben Gemeindevertreter auch schon länger eine Abgabe gefordert, zuletzt zeigten sie sich mit der Wahlrechtsreform aber zufrieden – über eine finanzielle Lösung soll dem Vernehmen nach erst nach der Landtagswahl 2023 gesprochen werden.

Grünen-Chefin Helga Krismer prescht im Gespräch mit dem STANDARD dennoch schon jetzt mit einer Idee vor: Menschen mit Zweitwohnsitz sollen eine gestaffelte Abgabe an die Gemeinde zahlen. "Wir sollten aus Fairnessgründen darüber debattieren, ob es einen Solidarbeitrag braucht", findet Krismer.

Sie kennt das Problem als Vizebürgermeisterin von Baden bei Wien aus erster Hand. Rund 26.000 Hauptwohnsitzen stehen dort etwa 5000 Nebenwohnsitze gegenüber. "Das sind 5000 Menschen, die einen Anspruch erheben, aber keinen Beitrag leisten", sagt Krismer. Es gehe auch um leerstehende Wohnungen, deren Besitzerinnen wegen der stets steigenden Preise kein Interesse an einer Vermietung haben: "Das ist wirklich Teufelszeug."

"Ein Luxus"

Um Orte wie Weitra aber nicht um ihre beliebten Zweitwohnsitzerinnen zu bringen, soll sich die Abgabe nach Krismers Idee am Finanzausgleich orientieren: Die Hälfte von dem, was die Kommune vom Bund für einen Hauptwohnsitz bekommt, sollen Nebenwohnsitzer zahlen.

Bei kleinen Gemeinden wären das nur ein paar Euro pro Monat, in Baden dagegen um die 50. Das sei schon eine Summe, von der man sich einen Lenkungseffekt erwarten könne, sagt Krismer. Für Studierende, Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Familienangehörige müsse man natürlich Ausnahmen schaffen.

Zurück zu den Vlasek nach Weitra. 360 Quadratmer hat ihr Haus auf drei Etagen, nur eine davon ist wegen der Umbauarbeiten allerdings gerade bewohnbar. Wenn der erste Stock fertig ausgebaut ist, soll der Zweitwohnsitz im Waldviertel ein Familienquartier werden, wo sich die ganze Verwandtschaft treffen kann. Eine Funktion, die die große Wohnung in Wien auch erfüllt. "Es ist ein Luxus", gibt Herr Vlasek zu. (Sebastian Fellner, Stefanie Ruep, 19.2.2022)