Sie entscheiden, was wir im Internet zu sehen bekommen. Sie wissen, ob wir auf Instagram eher Werbung für neue Schuhe ansehen oder schon länger auf den Kauf eines neuen Fahrrads sparen. Sie verkaufen Smartphones, die passenden Apps und produzieren Filme oder Serien. All das, um möglichst viele Menschen an sich zu binden. Die Rede ist von Google, Apple, Amazon und Meta, die zu monopolartigen Konzernen aufgestiegen sind und selbst während der Corona-Pandemie mit Rekordgewinnen glänzen.

Satya Nadella (Microsoft), Sundar Pichai (Google), Parag Agrawal (Twitter), Jeff Bezos (Amazon) und Mark Zuckerberg (Meta): Die Chefs der größten Tech-Konzerne müssen sich auf neue Regulierungen der EU einstellen.
Illustration: Fatih Aydogdu

Einerseits ist das auf ihre innovativen Entwicklungen zurückzuführen. Messengerdienste wie Whatsapp ermöglichen es, mühelos mit Freunden in Kontakt zu bleiben. Auf Plattformen wie Facebook oder Instagram kann man Urlaubsfotos teilen und neue Menschen kennenlernen.

Und Amazon, das lässt als Online-Kaufhaus keine Wünsche offen. Einerseits. Andererseits zeichnen sich immer deutlicher die Schattenseiten digitaler Vernetzung ab. Hassrede und Desinformation sind an der Tagesordnung. Nutzerinnen und Nutzer werden in Filterblasen so sehr radikalisiert, dass es zu gewaltsamen Taten wie dem Sturm auf das US-Kapitol kommt.

Was will die EU?

Weil die Tech-Giganten einem veralteten Regelwerk unterliegen, gibt es kaum Möglichkeiten zur Bekämpfung dieser Probleme. Ändern sollen das der Digital Services Act (DSA) und der Digital Markets Act (DMA) der EU. Das Gesetzespaket plant zum ersten Mal seit 20 Jahren eine umfassende Neuordnung des digitalen Raums, bei deren Gestaltung die Marktmacht und die alltägliche Präsenz der wichtigsten Akteure mitbedacht werden.

Ziel ist es, eine Monopolbildung mittels wettbewerbsrechtlicher Maßnahmen zu verhindern. Social-Media-Plattformen wie Facebook zu gesteigerter Transparenz zu verpflichten, damit der wachsenden Sorge vor Online-Radikalisierung Rechnung getragen werden kann. Es geht aber genauso um den Schutz Minderjähriger, denen auf Instagram keine auf ihre Interessen zugeschnittene Werbung mehr ausgespielt werden soll.

Ein wichtiges Thema ist außerdem die Inhaltsmoderation. Derzeit entscheiden Plattformen wie Facebook selbst, welche Inhalte als problematisch gelten. Geplant sind deshalb EU-weit gültige Regeln. Auffallen dürfte zudem das geplante Verbot von sogenannten "Dark Patterns". Dabei handelt es sich um die irreführende Gestaltung von Webseiten, mit der Nutzerinnen zum Beispiel zu einem ungewollten Abschluss eines Abonnements verleitet werden sollen.

Am ehesten dürfte den Menschen aber die geplante Verpflichtung zur Kooperation von Messengerdiensten auffallen, sagt Jan Penfrat von der Grundrechtsorganisation EDRi. Wird sie umgesetzt, müssen Whatsapp, Telegram und Co die Kommunikation über App-Grenzen hinweg erlauben. Wenn man also einen Anbieter nutzt und die Freunde einen anderen, soll man in Zukunft trotzdem miteinander chatten können. Aktuell ist das nicht möglich.

Ärger auch "daheim"

Kritik an dieser Abschottung kommt auch aus den USA. Dort mehren sich die Rufe nach einer Zerschlagung Metas, weil es mit dem Kauf von Instagram und Whatsapp ein Monopol auf Online-Netzwerke geschaffen habe. Apple hingegen kämpft seit über einem Jahr vor US-Gerichten gegen die Öffnung des App Store für alternative Zahlungsmittel. Immerhin kassiert der Hersteller bei jedem Einkauf eine saftige Provision.

All diese Problemfelder sollen mit dem DSA und dem DMA in Angriff genommen werden, damit das Internet sicherer wird und die Datensammelei von Konzernen wie Facebook zumindest eingeschränkt werden kann. Außerdem geht es um neue Überlebenschancen für kleinere Unternehmen, die bisher schnell vom Markt verdrängt wurden. Deshalb gelten die genannten Maßnahmen nur für sogenannte Gatekeeper, also Unternehmen, deren Nutzerzahlen zehn Prozent der EU-Bevölkerung übersteigen. Halten sie die neuen Regeln nicht ein, drohen saftige Strafen.

"Grundgesetz" fürs Netz

Wegen der Bandbreite geplanter Maßnahmen bezeichnen Beobachter das Gesetzespaket sogar als "Grundgesetz für das Internet". Mit diesem wird das Kerngeschäft der weltweit mächtigsten Unternehmen angegriffen. Vor allem der Vorschlag linker Parteien im EU-Parlament, Werbe-Tracking komplett zu verbieten, sorgte deshalb für Widerstand. Immerhin hätte dies schwerwiegende Auswirkungen auf das Geschäft von Google und Meta gehabt.

Allein 2020 verdiente ersteres Unternehmen laut einer Studie des Corporate Europe Observatory (CEO) 147 Milliarden US-Dollar mit Werbung. Bei Facebook waren es 84 Milliarden Dollar. Inzwischen ist ein generelles Verbot vom Tisch.

Was tun die "Big Four"?

Bild nicht mehr verfügbar.

"Big Four": Google, Apple, Amazon und Meta sind zu monopolartigen Konzernen aufgestiegen und konnten selbst während der Corona-Pandemie mit Rekordgewinnen glänzen.
Foto: Reuters

Mitunter dürfte das auf die Bemühungen betroffener Konzerne zurückzuführen sein. Mehr als 32 Millionen Dollar geben die zehn größten von ihnen jedes Jahr für Lobbyismus bei EU-Institutionen aus, besagt eine Studie des CEO. Außerdem sind die meisten von ihnen Mitglied in Industrieverbänden wie der Computer & Communications Industry Association (CCIA) und finanzieren Thinktanks oder Branchenverbände.

Das ermögliche der Industrie, ihre Positionen "über Bande" im öffentlichen Dialog zu platzieren, ohne als Urheber von Botschaften aufzutauchen, sagt Penfrat. Stattdessen würden scheinbar unabhängige Research-Center Berichte veröffentlichen, bei denen es sich "in Wirklichkeit um Lobbypapiere" handle.

Inhaltlich drehen sich diese Studien meist um kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs). Insbesondere in der Diskussion um personalisierte Werbung wurde kommuniziert, wie wichtig diese für ihr Überleben während der Pandemie gewesen sei. Alles Teil der Kampagne gegen die geplanten Maßnahmen, sagt Sebastian Heidebrecht, Politikwissenschafter an der Universität Wien. Die Konzerne würden ihre Ideen über KMUs, Thinktanks und sogar die akademische Welt präsentieren – ohne dass sie selbst namentlich auftauchen müssen.

Vor allem Facebook habe laut Penfrat die Botschaft vermittelt, eine Einschränkung seines Werbegeschäfts sei schädlich für andere Unternehmerinnen. Immer wieder wurde dafür in Werbeanzeigen ein Berliner Start-up für Babyausstattung als Beispiel genannt und erklärt, wie viel Geld es durch personalisierte Werbung generiere. Damit habe der Konzern bloß die positiven Auswirkungen der eigenen Plattformen unterstreichen wollen, heißt es in einer Stellungnahme gegenüber dem STANDARD.

Wie es weitergeht

Ob die geplanten Maßnahmen die gewünschte Wirkung haben werden, hängt vom Verlauf der letzten Verhandlungen ab. Der DMA und der DSA sollen bereits kommendes Jahr in Kraft treten. Davor müssen sie allerdings den Trilog zwischen Parlament, Kommission und Rat passieren. Dass die Institutionen nicht immer am selben Strang ziehen, ist durchaus bekannt.

"Ich erwarte viel Widerstand beim Teilverbot von Tracking-Werbung", sagt Penfrat. "Möglicherweise auch bei Dark Patterns." Größere Einigkeit soll es hingegen bei den kartellrechtlichen Maßnahmen geben. Niemand zweifle an, dass "der Binnenmarkt Wettbewerb gewährleisten muss", sagt Heidebrecht.

Doch selbst, wenn die Stellschrauben an manchen Punkten nachjustiert werden: Unbeeindruckt werden Facebook, Google, Amazon und Apple an dem ambitionierten EU-Gesetzesvorhaben nicht vorbeisegeln können. Und auch europäischen Bürgerinnen werden die neuen Regeln bald auffallen. Sie werden in den Genuss einer neu gewonnenen Offenheit und Sicherheit von Social Media kommen, statt an das Ökoystem einzelner Anbieter gebunden zu werden. Selbst wenn das auch in Zukunft für vehementen Widerstand betroffener Konzerne sorgen sollte. (Mickey Manakas, 20.2.2022)