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Protest gegen Pushbacks an der kroatisch-bosnischen Grenze. Flüchtende stehen in der Gefahr, von Land zu Land zurückgeschoben zu werden.

foto: ap/edo zulic

Graz/Wien – Es ist das bereits zweite Mal, dass ein Gericht die Zurückweisung eines Asylsuchenden durch heimische Polizeikräfte an der Grenze als rechtswidrig beurteilt. Diese illegale und für Flüchtende vielfach lebensgefährliche Praxis, auch Pushback genannt, hat sich seit der großen Fluchtbewegung 2015/2016 in Europa stark verbreitet. Sie geschieht im Meer vor den griechischen Inseln, in an der polnischen Grenze zu Weißrussland oder zwischen Kroatien und Bosnien.

Dass sie vermehrt auch an Österreichs Staatsgrenzen stattfindet, vermuten Flüchtlingshelferinnen und –helfer schon länger.

Nächtliche Grenzüberquerung

Der nunmehrige Spruch datiert vom 16. Februar 2022 und liegt dem STANDARD vor. Wie das erste Erkenntnis im vergangenen Sommer kommt er vom Landesverwaltungsgericht (LVG) Steiermark und geht auf einen Fall zurück, der sich zwischen der Grenze zu Slowenien abspielte – konkret in der Grenzstation Sicheldorf.

Am 25. Juli 2021 nachts – das erste Pushback-Erkenntnis war erst drei Wochen her – überschritt der damals 17 Jahre alte und damit minderjährige Somalier Amin N. mit fünf weiteren Flüchtlingen die dortige Grenze. Die sechs gingen zu Fuß und peilten mit der GPS-Funktion ihrer Smartphones die Polizeidienststelle in Bad Radkersburg an.

Systematisches Weghören

Dort wollte sie am folgenden Vormittag Asyl beantragen, doch so weit kamen sie nicht. Kurz vor sieben Uhr morgens begegneten sie unweit des örtlichen Sportplatzes einem Mann. Der rief die Polizei, die nur wenige Minuten später da war. Was danach geschah, wird im Gerichtserkenntnis ausführlich geschildert. Es kündet von systematischem und koordinierten Weghören der Beamten.

So etwa gleich zu Beginn, als ein Polizist und eine Polizistin beim Sportplatz eintrafen. Er habe auf Englisch gesagt, dass er in Österreich Asyl beantragen wolle, schildert der vom Wiener Rechtsanwalt Clemens Lahner vertretenen Amin N.. Die Flüchtlingsgruppe werde jetzt weggebracht, um ein Verfahren durchzuführen, habe der Beamte ausweichend geantwortet.

Polizisten beriefen sich aufeinander

Ein Bus brachte die sechs Männer zur Grenzstation Sicheldorf – der Weg zur nächsten Polizeistation wäre weniger weit gewesen. Bei der erkennungsdienstlichen Behandlung – Papiere hatte er keine bei sich – habe er sein Asylbegehr wiederholt, schildert N.. Von den Polizisten wollte das keiner gehört haben.

Stattdessen beriefen sich die Beamtinnen und Beamten in ihren Aussagen aufeinander. Sie seien davon ausgegangen, ein jeweils anderer von ihnen habe abgeklärt, dass die sechs jungen Männer kein Asyl verlangt hätten, sagten sie.

Richter: "Gröblich rechtswidrig"

Am Ende kam ein weiterer Bus angefahren. Er brachte die Flüchtlinge nach Slowenien zurück. Dort hat Amin N. inzwischen Asyl erhalten.

Doch obwohl die Sache für ihn letztlich glimpflich ausging: laut dem verfahrensführenden Richter hat die Polizei durch seine Rückweisung sowohl österreichisches als auch internationales Recht gebrochen. Dass H. zurück nach Slowenien gebracht wurde sei "in gröblicher Außerachtlassung des faktischen Abschiebeschutzes rechtswidrig", befand der Richter und verurteilte die Behörde zum Bezahlen der Verfahrenskosten.

Asylrechtliche Grundfeste

Die Sicherheitsorgane hätten dem Somalier "ein fundamentales Recht auf Einleitung eines Asylverfahrens und damit eines Abschiebeschutzes genommen" worden. Der Gegenäußerung der Sicherheitsbehörde, H. und seine Begleiter hätten kein Asyl beantragt und sich daher unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, folgte er nicht.

Tatsächlich ist das Recht, in einem anderen Land Schutz zu suchen und dadurch zumindest bis zum Asylentscheid vor einer Rückführung gefeit zu sein, eine Grundfeste des internationalen Flüchtlingsrechts. Begründet wird sie mit Artikel drei der Europäischen Menschenrechtskonvention, die Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung verbietet.

Gefahr von Kettenabschiebungen

Dieser nämlich könnte eine verfolgte Person ausgesetzt sein, wenn sie nach der Verweigerung eines Asylantrags ein Land wieder verlassen und im Rahmen einer Kettenabschiebung in unsichere Verhältnisse oder gar in den Verfolgerstaat zurückgebracht wird. Also sind die Staaten verpflichtet, Asylverfahren zu führen.

Das gilt auch innerhalb der Europäischen Union. "Pushbacks von Slowenien über Kroatien nach Bosnien sind nicht auszuschließen" begründet das der Richter im vorliegenden Fall.

"Negieren des Wortes Asyl"

Der Richter geht davon aus, dass Pushbacks in Österreich "teilweise methodisch Anwendung finden". Beleg dafür sei der "geschilderte Verfahrensablauf – keine Frage, was die Personen in Österreich wollten, negieren des Wortes ‚Asyl‘ und damit Zurückweisung, weil keine Ausweispapiere vorhanden waren", schreibt er.

Monika Mokre vom Push-Back Alarm Austria schließt das keineswegs aus. Pushbacks fänden wohl nicht nur an der slowenischen, sondern auch an der ungarischen Grenze statt, sagt sie. Die Initiative will Schutzsuchenden helfen, "nach dem Überqueren der Grenze in Österreich Kontakt zur nächstgelegenen Polizeistelle herzustellen", wie Mokre erläutert.

Anwalt fordert Konsequenzen

Rechtsanwalt Lahner fordert jetzt Konsequenzen: Nach dem nunmehrigen zweiten Gerichtserkenntnis sei "die Argumentation des Innenministeriums, dass es keine Pushbacks in Österreich gibt, nicht mehr haltbar", meint er. Es brauche nun eine klare Handlungsanleitung für Beamtinnen und Beamten sowie Folgen "für jene, die sich nicht dran halten."

Auch in den "zahlreichen anderen Fällen", in denen die Polizei von rechtmäßigen Zurückweisungen spreche, sei es "schwer vorstellbar, dass die Betroffenen die gefährliche Route über den Balkan hinter sich bringen, um sich dann nach einem Aufgriff durch die Polizei achselzuckend nach Slowenien und oft weiter nach Kroatien und Bosnien abschieben zu lassen, ohne das Wort 'Asyl' über die Lippen zu bringen", sagt Lahner.

Polizei muss Asylamt informieren

Greife die Polizei jemanden ohne Papiere auf und der oder die sage dann "Asyl", so brauche sie von Rechts wegen "nicht viel zu tun, außer das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu informieren". Im Vergleich zu vielen anderen polizeilichen Aufgaben sei das "eine relativ einfach zu bewältigende Herausforderung."

Aus dem Innenministerium kam auf eine schriftliche Anfrage des STANDARD bis dato keine Reaktion. Im Ö1-Morgenjournal sagte Innenminister Gerald Karner, (ÖVP) Pushbacks seien illegal und würden "in Österreich keineswegs methodisch durchgeführt". Die Polizei werde entsprechend geschult. Seitens der Landespolizeidirektion Steiermark (LPD) hieß es auf APA-Anfrage, das Erkenntnis des LVG habe man erhalten, es werde derzeit vom Rechtsbüro geprüft. Die Behörde werde in eine außerordentliche Revision gehen, hieß es am Samstag.

Die NGO Asylkoordination ortet hingegen ein "systematisches Muster von Menschenrechtsverletzungen an Europas Grenzen". (Irene Brickner, 19.2.2022)