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Russlands Präsident Wladimir Putin ist der zentrale Akteur im Ukraine-Konflikt.

Foto: REUTERS / SPUTNIK

Wie immer die unmittelbare Situation in der Ukraine sich entwickelt – man kann von einer Tatsache ausgehen: Putin will zwar die Ukraine, aber er will mehr. Europa muss sich darauf einstellen, dass er seinen Einfluss auf ganz Europa ausdehnen und die Schutzmacht USA vom Kontinent vertreiben will. Das wird ein langer, harter Kampf.

Für diejenigen, die (vor allem in Österreich) das nicht glauben wollen, bzw. die meinen, man müsse Putin wegen der "legitimen Sicherheitsinteressen Russlands entgegenkommen", seien hier drei extrem kenntnisreiche Experten zitiert.

Weltordnung des Kalten Kriegs begraben

Der frühere deutsche Außenminister, der Grüne Joschka Fischer, schreibt in der letzten "Zeit": "Es geht Putin meines Erachtens um viel mehr als um die Ukraine, nämlich um eine Revision der europäischen Ordnung nach dem Kalten Krieg zugunsten russischer Großmacht. Dabei spielt die Ukraine aufgrund ihrer Größe, ihrer Ressourcen und ihrer Geschichte eine entscheidende Rolle. Der nächste Schritt zielt dann auf die Hegemonie im gesamten Osteuropa als Voraussetzung für die Dominanz Moskaus über das ganze Europa".

Ähnlich der international renommierte bulgarische Politologe Ivan Krastev in der "New York Times" : "Trotz aller Spekulationen über Motive, ist soviel klar: Der Kreml will einen symbolischen Bruch mit den 1990ern, will die Weltordnung nach dem Kalten Krieg begraben. Das würde die Form einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur annehmen, die Russlands Einflusssphäre im postsowjetischen Raum anerkennt und die Universalität der westlichen Werte zurückweist. Das Ziel ist nicht so sehr die Restauration der Sowjetunion als das Wiedererlangen dessen, was Putin als das historische Russland betrachtet".

Fiona Hill war Beraterin für europäische und russische Angelegenheiten und den Präsidenten George W. Bush und Barack Obama, ehe sie 2017 unter Präsident Donald Trump in eben dieser Funktion Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates der USA wurde. Sie arbeitet derzeit im Think Tank Brookings Institution. Zum grundsätzlichen schreibt sie in der "New York Times": "Diesmal ist das Ziel von Putin größer als die ‘offene Tür‘ der Nato für die Ukraine zu schließen und mehr Territorium zu nehmen – er will die Vereinigten Staaten aus Europa rausschmeißen."

(Un)berechtigte Beschwerden

Zur Taktik von Putin sagte Fiona Hill in einem Gespräch mit der NYT: "Putin hat seit Jahren versucht, die Ukraine in den Griff zu bekommen. Er will die Person sein, in der – auf seiner Wache, während seiner Präsidentschaft – die Ukraine in den russischen Orbit zurückkommt (…) Putin denkt, er kann aggressiver sein und uns aussitzen und mehr Schmerz aushalten als wir es können. Sein Ziel ist es, uns zu spalten, so dass wir kapitulieren, ohne irgend etwas zu tun. Daher wird er den Druck erhöhen. Ich weiß nicht, ob er einmarschieren wird. Aber er wird uns zweifellos jeden Eindruck vermitteln, dass er das tun wird. Er will uns übertölpeln."

Nun kann man der Meinung sein, die Zitierten seien alles Kalte Krieger und Russland habe berechtigte Beschwerden über das Verhalten des Westens und Europa, vor allem aber Österreich würde gut daran tun, ein ausgezeichnetes Verhältnis mit Russland aufrecht zu erhalten, auch aus wirtschaftlichen Gründen.

Daran ist auch manches richtig, in einem sehr beschränkten Maß. Der Entschluss der USA von 2008, der Ukraine die Nato-Mitgliedschaft anzubieten, war ein (sinnloser) Schritt zu viel. Angela Merkel und der französische Präsident Sarkozy haben damals die Umsetzung verhindert, zu Recht. Aber dass die Osteuropäer und die Balten geradezu in die Nato drängten, weil sie aus der kommunistischen Herrschaft wussten, wie brutal und ausbeuterisch auch in wirtschaftlicher Hinsicht die UdSSR mit ihren Vasallen umspringt, ist ein Faktum. Joschka Fischer: "Die Nato-und EU-Osterweiterung hat Europa Frieden, Sicherheit und Stabilität gebracht".

Überschätztes Russland

Was die "legitimen Sicherheitsinteressen" betrifft: niemand bedroht Russland, schon gar nicht die Nato, während Russland Übungen mit Atomraketen in Belarus abhält. Reine Täter-Opfer-Umkehr. Die einzige Bedrohung kommt von innen, von einem System einer oligarchischen Autokratie.

Die wirtschaftlichen Überlegungen spielen eine Rolle, hauptsächlich wegen der Abhängigkeit vom Gas. Aber als Wirtschaftsmacht an sich ist Russland, mit einem BIP gerade dreieinhalbmal so groß wie das Österreichs, überschätzt, vor allem, was Technologie betrifft.

Vor allem aber hat Putin jetzt gezeigt, dass er nicht zögert, erpresserische Methoden und militärische Drohung einzusetzen, um zu bekommen, was er will. Die Taktik gegenüber der Ukraine und Europa erinnert an das Verhalten Hitlers gegenüber der Tschechoslowakei 1938 in der Sudentenkrise. Die Sudetendeutschen/die Russen in der Ukraine werden als Opfer dargestellt, zur Rebellion ermutigt, die westlichen Demokratien eingeschüchtert bis das Objekt der Erpressung "heim ins Reich" geholt ist. Aber das Sudetenland war nicht "meine letzte territoriale Forderung in Europa", sondern im Frühjahr 1939 marschierte Hitler-Deutschland trotzdem in der Tschechoslowakei ein, die er für seine weiteren geostrategischen Ziele brauchte.

Die westlichen Demokratien scheinen diesmal nicht einknicken zu wollen, wobei die Frage ist, wie lange die USA und Europa die neue Einigkeit durchhalten. Allerdings dürfte es in den USA und in Europa doch allmählich dämmern, dass hier jemand das Gesetz des Dschungels anwenden will, weil er auf normalem Weg seinen Willen nicht bekommt. Putins Russland ist weder wirtschaftlich, noch von der Gesellschaftsform her für andere attraktiv. Die militärische Bedrohungsmacht ist das einzige Instrument. (Hans Rauscher, 19.2.2022)