Österreichische Banken, die in Osteuropa investiert hatten, konnten bis 2018 bei Streitigkeiten mit den jeweiligen Ländern ein privates Schiedsgericht anrufen.

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"Derzeit gibt es zwei parallele Rechtssysteme, die sich gegenseitig nicht respektieren", sagt Eric Leikin, Experte für Investitionsschutz bei Freshfields. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat 2018 in der Achmea-Entscheidung klargestellt, dass private Schiedsgerichte, die über Streitigkeiten zwischen europäischen Investoren und europäischen Staaten entscheiden, nicht mit EU-Recht vereinbar sind. Die privaten Schiedsgerichte sind aber nach wie vor der Ansicht, dass auch EU-Investoren völkerrechtlich einen wirksamen Investitionsschutz genießen.

Bis 2018 waren Investitionsschutzabkommen zwischen Staaten der Europäischen Union gang und gäbe. So konnten zum Beispiel österreichische Banken, die in Osteuropa investiert hatten, bei Streitigkeiten mit den jeweiligen Ländern ein privates Schiedsgericht anrufen. Das hatte aus Sicht der Befürworter einen zentralen Vorteil: Investorinnen, die etwa Probleme mit Kroatien hatten, mussten nicht vor einem kroatischen Gericht klagen.

Aus Sicht der europäischen Höchstrichterinnen hat diese "Paralleljustiz" im EU-Rechtssystem aber keinen Platz. Rechtsstreitigkeiten innerhalb der EU sollten innerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit entschieden werden – mit dem EuGH als letzte Instanz. Nur so sei gewährleistet, dass das EU-Recht einheitlich angewandt wird.

Nach der Achmea-Entscheidung haben die EU-Institutionen weiterhin signalisiert, dass der innereuropäische Investitionsschutz dem Ende zugeht: zum einen durch die Unterzeichnung eines Abkommens im Jahr 2020, mit dem rund 130 innereuropäische bilaterale Investitionsschutzabkommen gekündigt werden sollen, und zum anderen durch eine aktuelle Entscheidung des EuGH. Demnach sind private Schiedsgerichte auch im Rahmen des Energiecharta-Vertrags nicht mit EU-Recht vereinbar.

Kaum Rückgang bei Klagen

Allerdings haben die Entscheidungen des EuGH nicht dazu geführt, dass die Anzahl der Verfahren stark zurückgegangen ist. Investorinnen und Investoren, die sich von einem Staat ungerecht behandelt fühlen, ziehen nach wie vor Schiedsgerichte vor. Derzeit sind nach öffentlich zugänglichen Informationen rund 50 Verfahren anhängig. Bekommen die Geldgeberinnen und Geldgeber dort recht, haben sie allerdings Probleme damit, das Schiedsurteil auch durchzusetzen – also etwa den zugesprochenen Schadenersatz tatsächlich zu bekommen.

"Ein Beispiel dafür sind mehrere derartige Verfahren gegen Spanien", erzählt Leikin. Europäische Unternehmen, die in erneuerbare Energien investiert haben, gerieten in Rechtsstreitigkeiten mit dem Staat und klagten. Die Verfahren vor den Schiedsgerichten gewannen sie, Spanien durfte die Urteile jedoch nicht anerkennen.

Während die Vollstreckung von Schiedsurteilen im Gastgeberland aussichtslos erscheinen mag, versuchen Investoren mittlerweile, auf das Vermögen der unterlegenen Staaten außerhalb der EU zuzugreifen", erzählt Leikin. Wenn eine Investorin etwa ein Urteil gegen Spanien in der Tasche hat und Spanien Gold in der Schweiz bunkert, kann sie versuchen, ihre Ansprüche in der Schweiz durchzusetzen.

Klagen aus Drittstaaten

Und es gibt für europäische Investorinnen und Investoren noch eine weitere Möglichkeit, das Verbot von privaten Schiedsgerichten zu umgehen: Sie können etwa eigene Gesellschaften in Nicht-EU-Staaten wie der Schweiz oder dem Vereinigten Königreich gründen und von dort aus klagen.

Derartige Special Purpose Vehicles (SPV) haben das alleinige Ziel, Ansprüche eines dahinterstehenden EU-Investors durchzusetzen. "Solche Konstruktionen muss man aber bereits im Vorfeld planen", sagt Leikin. Kommt es zu einem Rechtsstreit, könne man nicht einfach nachträglich ein SPV gründen.

Aus Sicht von Leikin ist die aktuelle Rechtslage jedenfalls unbefriedigend. Das Verbot von Investitionsschutzabkommen innerhalb der EU führe dazu, dass Investoren aus Drittstaaten, die sich nach wie vor an Schiedsgerichte wenden können, bevorzugt werden. "Das kann nicht das Ziel sein", sagt Leikin.

Derzeit denkt die Europäische Kommission über ein eigenes EU-Investorengericht nach, das die alten Abkommen ersetzen soll. Investorinnen würden dann von einem unabhängigen Schiedsgericht profitieren, gleichzeitig könnten dessen Entscheidungen aber vom EuGH überprüft werden.

Kritiker warnen, dass Unternehmen dadurch bevorzugt und Schutzbestimmungen umgangen werden könnten. Die EU-Kommission wollte bereits Ende 2021 einen Vorschlag präsentieren; das Vorhaben dürfte sich aber verzögern. (Jakob Pflügl, 21.2.2022)