Von Pietro Fragiacomo stammt diese atmosphärische Lagunenansicht. Entstanden 1908 hat das bei der IX Biennale ausgestellte Bild stark symbolistische Züge.

Foto: Stoll/Belvedere

Ganze zehn mal vier Meter misst das Bild. Da thront Caterina Cornaro aus einer der bedeutendsten venezianischen Dogenfamilien auf ihrem Thron, umringt von unzähligen Untergebenen. Als Kaiserin von Zypern und spätere Herrin von Asolo war sie Kunst und Wissenschaft zugetan, was Hans Makart zu einem Monumentalbild samt Weintraubenteller und Hund inspirierte. Hitler gefiel der Schinken so gut, dass er ihn in sein nie realisiertes "Führermuseum" aufnehmen wollte.

In mehr oder weniger Fünfjahresabständen entrollt das Belvedere, in dessen Depots sich das Bild des Dekorationskünstlers befindet, das gigantische Gemälde und präsentiert es in seiner historistischen Schwülstigkeit. Im Rahmen der Viva Venezia!-Ausstellung im renovierten Unteren Belvedere ist es jetzt wieder so weit. Als Höhepunkt einer Schau über die Erfindung Venedigs im 19. Jahrhundert wird es von einer Reihe von kleinformatigeren Bildern umrahmt, deren Motive sich vom Protz Makarts deutlich unterscheiden: Sie zeigen Straßenkinder, Kürbisverkäuferinnen, Diebesvolk.

Zehn mal vie Meter misst dieser Makart-Schinken. Jetzt ist er im Unteren Belvedere zu sehen.
Foto: stoll/Belvedere

Die Lagunenstadt ist nicht nur eine des Handels und der Künste, sie ist auch eine immerwährende Mythenproduzentin, deren Motive und dessen Personal bis heute durch Kriminalromane oder TV-Serien geistern. Die Wurzeln dieses Mythos der unheimlichen, aber auch romantischen Stadt liegen im 19. Jahrhundert. Das ist zumindest die These, mit der die von Franz Smola kuratierte Ausstellung aufwartet und die zu großen Teilen aus den Beständen des Belvedere bestückt ist.

Von 1815 bis 1866 gehörte Venedig zum ungeliebten Habsburgerreich, das der Lagunenstadt nicht wie zuvor die Franzosen Fortschritt und Wohlstand brachte, sondern Zensur und Armut. In Ernst Marischkas Sissi-Filmen wird das Kaiserpaar am Canale Grande nicht mit Jubelrufen, sondern mit Ablehnung empfangen.

Abgesehen, dass Franz Josef und Sissi nicht über die Hauptverkehrsachse Venedigs schipperten, sondern sich über dem Meer der Serenissima näherten: Im Unteren Belvedere zeigt man sich bemüht, dem kunstgeschichtlich spannenden, aber künstlerisch weniger ergiebigen Thema Leben einzuhauchen.

Ludwig Johann Passini hat diese Kürbisverkäufer 1876 gemalt
Foto: Stoll/Belvedere

Vom Wiener Kupferstichkabinett hat man sich handkolorierte Fotos geliehen, eine zweigeteilte Doku erzählt die Geschichte Venedigs als literarischem Sehnsuchtsort, Filmzusammenschnitte gibt es im letzten Raum. Die Verbindungslinien zu heute sind evident, in ihrer Konzentration auf das 19. Jahrhundert verspielt die Schau aber die Möglichkeit, das Thema gegenwartsnäher zu fassen und den Kontinuitäten bis hin zur Rolle Venedigs in der jüngsten Pandemie Raum zu geben.

So wie im 19. Jahrhundert Venedig als antiurbane Stadt ohne Straßenverkehr oder Fabrikschlote die romantischen Fantasien eines Anton Romanko, August von Pettenkofen oder der Malerfamilie von Alt inspirierte, so wurde Venedig in den vergangenen zwei Jahren zur Chiffre eines Neo-Biedermeiers. Viele Venedig-Bilder des 19. Jahrhunderts waren mit ihren Postkartenmotiven als Mitbringsel gedacht.

Glorreiche Vergangenheit

Diesen eskapistischen Motiven (Gondeln, Lagune, Markusplatz, verfallende Palazzi) stehen jene Bilder gegenüber, die von der glorreichen Vergangenheit der Stadt erzählen: von der Seemacht, deren Einflusssphäre sich bis Zypern erstreckte, oder der Handelsgroßmacht, die auch über Padua und Verona herrschte. Im 19. Jahrhundert war diese Rolle Venedigs längst passé, weswegen die Schau mit einer Reihe von großformatigen Bildern eröffnet, die von der Selbstmusealisierung Venedigs handeln und ohne historische Erläuterungen oft nicht verständlich wären. Die Geschichte des Dogen Foscari und seines Sohnes mag man noch aus Verdis Oper I due Foscari kennen (Kaiser Ferdinand I. beauftragte das Bild persönlich bei Michaelangelo Grigoletti), der Untergang des Handelsschiffes Pegno D’Amicizia vor Holland ist wohl weniger bekannt – genauso wie der Maler des Unglücks, Christian Cornelis Kannemanns.

Michelangelo Grigoletti hatt die Geschichte des Dogen Foscari und seines Sohnes festgehalten.
Foto: Stoll/Belvedere

Bände spricht auch das grellbunte Gondel-Gemälde von Jacopo d’Andrea, auf dem Giovanni Bellini und Albrecht Dürer eine gemeinsame Ausfahrt unternehmen. Die ruhmreiche Epoche der venezianischen Malerei zu Anfang des 16. Jahrhunderts, als Künstler wie Giorgione, Tizian oder eben Bellini bis auf die Kunst nördlich der Alpen ausstrahlten, war zur Entstehungszeit des Bildes, 1856, lange vorbei.

Erst Ende des Jahrhunderts wird es zur ersten Ausgabe der Venedig-Biennale kommen – der weltweit ersten ihrer Art. In rund zwei Monaten wird sich die Stadt wieder im internationalen Kunstlicht sonnen. In der Vergangenheit war ihr das nur zeitweise vergönnt.
(Stephan Hilpold, 22.2.2022)