DJ Sven Väth will jetzt endlich wieder in den Clubs feiern.

Foto: Daniel Woeller

Während der Pandemie hat Sven Väth zuletzt Party in Weltgegenden wie Indien und Saudi-Arabien gemacht. Möglicherweise hat es sich dabei um zwei blinde Flecken auf dem Globus gehandelt, in die Techno als letzte große Jugendkultur des ausgehenden 20. Jahrhunderts noch nicht ausreichend vorgedrungen war. Überall anders war Sven Väth schon. Er sorgte mit teilweise rekordverdächtigen, oft 20- bis 30-stündigen DJ-Sets dafür, dass sowohl die chemische Freizeitindustrie boomte, als sich auch das Partyvolk tänzerisch entgrenzen konnte. Oder wie Sven Väth bei seinen Auftritten gern einmal ins Mikrofon brüllt: "Feierei!"

Der Frankfurter DJ gilt seit gut 30, 40 aktiven Jahren als zentraler Player des Techno-Genres. Vor Covid-19 legte er in den guten Zeiten der immerwährenden Verheißung der Nacht über einhundert Mal pro Jahr Platten auf. Er hinterließ im Flugzeug einen CO2-Fußabdruck, der bei der Fridays-for-Future-Bewegung für erhöhten Blutdruck sorgte. Der Freitag sorgt sich gemeinsam mit dem Samstag (und natürlich auch noch weit in den Sonntag hinein) nicht nur um die Zukunft. Als Ausgleich zur harten Woche gehört am Wochenende das Feiern als gäbe es kein Morgen zu den Grundrechten der jungen Menschen.

Zwangsoptimismus

Mit seinen 57 Jahren ist bei Loveparade-Veteran Sven Väth als einem der wenigen weltweiten Stars der Großraum-Raves aber während der Pandemie zwischen den Wohnsitzen Frankfurt und Ibiza wohl auch notgedrungen eine gewisse häusliche Phase eingekehrt. Ende des Jahres soll eine im Archiv gesichtete umfangreiche CD- und Vinyl-Box erscheinen. Sie dokumentiert Väths frühes musikalisches und verlegerisches Schaffen in seinem Cocoon-Imperium. Zwischen Plattenlabel, eigenen Clubs und Restaurants, Clubnächten und DJ-Bookings ist da über die letzten Jahrzehnte einiges zusammengekommen.

Cocoon Official

Nach 20 Jahren veröffentlicht Sven Väth, den sie zu Hause in Frankfurt auch "Babba" nennen, obendrein ein neues Album. Es nennt sich Catharsis. Abgesehen davon, dass das Albumformat im Techno-Genre traditionell einen Anachronismus darstellt, weil hier alles schon von Beginn an auf einzelne Tracks fixiert war und ist, versucht sich Väth gemeinsam mit seinem Produzenten Gregor Tresher in Zwangsoptimismus. Alles wird bald wieder wie früher sein. Feierei!

In unseren Breiten hat die Nachtgastro zwar immer noch geschlossen, beziehungsweise ist das Publikum möglicherweise ohnehin spätestens letzten Sommer weggebrochen, weil es statt in überteuerten Clubs lieber längst auf öffentlichen Plätzen auch ganz ohne DJs feiert.

Mit dem programmatischen Stück Feiern meldet sich Sven Väth allerdings mit Grabesstimme zurück in der Predigtkanzel über dem Dancefloor: "Ich will feiern, will wieder spüren, schwitzen und dich berühren, mich tief fallen lassen, in diese Welten, die mir fehlten."

Electronic Love Collective

Wir hören auf Catharsis flächige elektronische, nicht unbedingt frische, aber durchaus eingängige "Tech-House"-Sounds und nicht allzu zwingende Mehrzeckhallen-Beats. In ihrer James-Lastigkeit verweisen sie eher auf DJ Westbam oder Kraftwerk aus dem Diskonter als auf forciertere Altvordere wie Jeff Mills. Es geht mehr um Rückschau als um einen Schritt nach vorn: "My musical footprints from different decades reflect my life path", heißt es im Eröffnungstrack What I Used To Play.

Das Glück ohne Pillen

Im Titelstück Catharsis kommt gar noch Bongoparty-Alarm tief im Hallraum auf. The Cranes Of Gangtey Valley umkreisen ambienthaft das gleichnamige Tal im Himalaya-Reich Bhutan. In dem gibt es ein Glücksministerium, das ganz ohne bunte Pillen Politik betreibt. Panta Rhei (für: "Alles fließt") schließlich beschließt das Album im beatlosen Dröhnland mit einer alten griechischen Philosophenweisheit: "Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen." Ewiger Wandel. Als Idee ist das gut. (Christian Schachinger, 22.2.2022)