Das umstrittene Trümmerfrauendenkmal ist Thema einer Performance von Sabrina Kern und Martin Weichselbaumer.

Weichselbaumer

Eine "Schandwache" hatte in einer Kunstaktion die Graffiti-Intervention am Karl-Lueger-Denkmal schützen wollen.

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Ein Relief aus der Nazizeit mitsamt Hitlerzitat auf einer Hausfassade in der Operngasse.

Foto: Wien-Museum

"Nichts ist so unsichtbar wie ein Denkmal", heißt es bei Robert Musil. Und tatsächlich scheinen sie in einer vom Barock und dem 19. Jahrhundert geprägten Stadt wie Wien, wo einem von jeder Hausfassade ganze Hundertschaften an versteinerten Figürchen entgegenblicken, in der schieren Überfülle unterzugehen. Sie könnten einem auch einfach wurscht sein – auf gut Wienerisch gesagt.

Sollten sie aber nicht, finden jene, die sich daran stoßen, dass immer wieder historisch fragwürdige Denkmäler durch ritualisierte Andachtsgesten oder bewusste politische Instrumentalisierung letztlich doch mit Bedeutung aufgeladen werden.

Jahrzehntelang etwa legte die Staatsspitze vor der Skulptur des Toten Soldaten in der Krypta des Äußeren Burgtors andächtig, aber recht bedenkenlos Kränze nieder. Mittlerweile weiß man: Der Bildhauer Wilhelm Frass war illegales NSDAP-Mitglied und hatte bei der Errichtung der Skulptur im Austrofaschismus eine NS-Huldigungsbotschaft im Sockel versteckt. Erst 2012 wurde Nachschau gehalten und die Botschaft entfernt, die Kranzniederlegungen fanden ein spätes Ende.

Durch die Systeme laviert

Der Bildhauer Frass ist nebst vielen anderen Künstlern, die sich im Faschismus betätigten, Thema in der aktuellen Wien-Museum-Ausstellung Auf Linie über die NS-Kunstpolitik. Frass wurde auf Betreiben Josef Hoffmanns, der selbst opportunistisch durch die Systemwechsel lavierte, nach 1945 erneut mit öffentlichen Aufträgen bedacht. Künstlern wie Frass gelang es, dieselbe heroisierende Formensprache, die sie im Roten Wien der 1920er-Jahre erprobten, auf den Faschismus zu übertragen und in der Nachkriegszeit fortzuführen.

Die Ausstellung Auf Linie im Musa läuft noch bis 24. April, zusätzlich und begleitend dazu hat nun die kleine Schau Gegen den Strich eröffnet, die bis 26. Juni zu sehen ist. Es handelt sich dabei um die erste Ausstellung der Startgalerie Neu – ein kleiner Schauraum im Musa, der mit neuem Konzept belebt werden soll. Gegen den Strich befasst sich damit, wie Aktivistinnen und Aktivisten sowie zeitgenössische Kunstschaffende mit historisch belasteten oder politisch fragwürdigen Denkmälern im öffentlichen Raum umgehen.

Mythos der Trümmerfrauen

In einer Videoperformance beschäftigen sich Sabrina Kern und Martin Weichselbaumer mit dem 2018 durch die FPÖ initiierten Trümmerfrauendenkmal auf der Mölker-Bastei. Sie versuchen, den Mythos der Trümmerfrauen, die als Heldinnen des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg verklärt wurden, zurechtzurücken: So habe die aktuelle Forschung gezeigt, dass es sich vor 1945 vielfach um Zwangsarbeiter handelte, die zur Beseitigung der Kriegsschäden gezwungen wurden, und nach 1945 um zum Strafdienst verpflichtete Nationalsozialistinnen.

Andere Beiträge befassen sich mit Debatten um Kontextualisierung, also künstlerischer Kommentierung, von älteren Denkmälern: Kunst am Bau aus der NS-Zeit ist ein solches Thema. Sie findet sich noch häufig auf Wiener Hausfassaden und ist nicht immer gleich als solche zu erkennen. So etwa ein Relief auf einer Wohnanlage in der Operngasse, das viele dem sozialistischen Realismus zuordneten, das aber tatsächlich aus dem NS stammt und mit einem Hitlerzitat versehen ist: "Es kann nur einen Adel geben, den Adel der Arbeit."

Kunstgruppe "Schandwache"

Die Künstlerin Laura Wagner ließ sich dafür eine radikale Umgestaltung einfallen. Eine Verschalung des Reliefs mit Abgüssen aus Steinbrüchen, in denen NS-Zwangsarbeit stattfand, soll das Hitlerzitat gegen die Nazis selbst richten. Manche wünschen sich auch für das Karl-Lueger-Denkmal, um das in Wien derzeit die hitzigste Debatte geführt wird, radikalere Lösungen als bloße Zusatztafeln.

Das Abbild des antisemitischen Jahrhundertwende-Bürgermeisters, geschaffen vom deutschnationalen Bildhauer Josef Müllner, der eine ähnliche Karriere wie Wilhelm Frass machte und mit dem er sich das Todesjahr 1968 teilt, wurde 2020 von unbekannten Aktivisten mehrfach mit dem Wort "Schande" beschmiert. Um die Entfernung der kritischen Graffiti zu verhindern, formierte sich daraufhin die Kunstgruppe "Schandwache", die dafür eintritt, den beschmierten Zustand als Kommentierung beizubehalten. Für eine Umgestaltung des Denkmals läuft aktuell eine Ausschreibung der Stadt Wien. Die Mitglieder von "Schandwache" haben für die Ausstellung Gegen den Strich Kopien der beschmierten Teile des Denkmals hergestellt, um die Aktion zumindest auf diese Art festzuhalten.

Verräumen oder umgestalten

Vincent Elias Weisl, der die Ausstellung kuratierte, plädiert beim Lueger-Denkmal selbst für eine massive Umgestaltung. Wenn künstlerische Bearbeitungen solcher Denkmäler zu sanft ausfallen, passiere es nämlich oft, dass man das zu Kritisierende erst recht emporhebe und aufwerte: "Nicht nur Denkmäler, sondern auch Kontextualisierungen können unsichtbar sein", sagt Weisl.

Die Statue von Lueger könne man aus seiner Sicht "ruhig ins Museum stecken", das Denkmal würde er aber nicht ganz wegreißen, sondern den Platz zu einem "living memorial" umbauen, wo immer wieder Geschichte neu thematisiert werden kann. Komplette Tilgung sei meistens problematisch, "weil man vom Verschwinden schnell beim Vergessen ist".

Es gibt aber auch für Weisl Dinge, die ruhigen Gewissens wegkönnten: Bei Kunst am Bau aus der NS-Zeit ist für ihn nicht immer alles erhaltenswürdig. Und bei problematischen Ortsnamen zöge er generell die Umbenennung einer erklärenden Zusatztafel vor: "Denn wo begegnen uns Ortsnamen? Auf Google Maps und bei Adressen. Zusatztafeln bekommt man selten zu Gesicht." (Stefan Weiss, 23.2.2022)