
Bildungsminister Martin Polaschek will weitere Schritte Richtung Normalität wagen.
Schritt für Schritt will der Bildungsminister Martin Polaschek zurück zur Normalität. Derzeit werden im Wochentakt Lockerungen der Corona-Regeln an Schulen bekanntgegeben. So soll ab kommenden Montag kein gesondertes Absonderungsreglement mehr gelten. Sprich bei zwei positiven Fällen innerhalb von drei Tagen in einer Schulklasse wird die ganze Klasse nicht mehr wie bisher automatisch ins Distance-Learning geschickt. Die jeweils zuständige Gesundheitsbehörde soll dann wieder entscheiden, wie in individuellen Fällen vorzugehen ist.
Genau dieser Bereich wurde erst vor kurzem in Wien gelockert: Seit dieser Woche müssen geimpfte und genesene Kinder in dieser Situation nicht mehr zwingend im Distance-Learning bleiben, sondern können auch in die Schule kommen. Nun zieht der Bund mit einer noch umfassenderen Lockerung nach.
85 Prozent geimpft
Ab Montag haben externe Personen wieder Zugang zur Schule, etwa Zeitzeugen oder Trainerinnen von Vereinen. Ab 5. März dürfen Geimpfte und genesene Lehrkräfte die Maske im Unterricht abnehmen. Laut Bildungsministerium sind 85 Prozent von ihnen geimpft. Diesem Schritt ging ebenfalls eine Entschärfung voraus: Bereits seit dieser Woche gilt für Schülerinnen und Schüler in allen Schulstufen keine Maskenpflicht mehr am Platz. Auch Schulveranstaltungen können wieder stattfinden.
An allen Schulen muss bereits ab kommenden Montag wieder Präsenzunterricht herrschen, und zwar verpflichtend für alle Schüler und Schülerinnen. Derzeit können Eltern ihre Kinder auch noch ohne ärztliches Attest von der Schule entschuldigen. Für Risikokinder bzw. Risikofamilien werde es eine eigene Regelung geben, die in der Verordnung festgelegt wird, heißt es auf STANDARD-Nachfrage aus dem Bildungsministerium.
"Wir beobachten die Lage genau und setzen daher einen Schritt nach dem anderen", sagt Bildungsminister Polaschek dazu. Die Lockerungen würden auf Basis der Empfehlungen der Corona-Kommission im Gesundheitsministerium umgesetzt. Die regelmäßigen Testungen bleiben "bis auf weiteres bestehen", heißt es aus dem Bildungsministerium.
Verärgert zeigte sich die Wiener Patientinnen- und Patientenanwältin Sigrid Pilz über die Schritte. "Man spricht von Lockerungen, dabei ist es eine Zurücknahme von Schutz", sagt Pilz, die sich seit Monaten für jene Vulnerablen einsetzt, die sich – DER STANDARD berichtete – unter dem Begriff "Schattenfamilien" organisieren und sich von der Politik vollkommen im Stich gelassen fühlen.
"Niemand hat etwas gegen Präsenz in der Schule", betont Pilz, "im Gegenteil, das ist ein unbezahlbarer Wert, aber man kann nicht das eine tun und das andere lassen. Damit verschärft man die Ausgrenzung von vulnerablen Kindern noch weiter."
Lösungen für alle
Konkret fordert Pilz für einen sicheren Präsenzunterricht für alle: FFP2-Masken, Impfpflicht für Pädagogen, CO2-Messgeräte und ein gängiges Durchlüftungskonzept für die Klassen. Ohne diese Maßnahmen bringe man vulnerable Kinder oder deren vulnerable Familienmitglieder in Gefahr, kritisiert Pilz. Auch Lösungen für jene, denen Masken im Unterricht Nachteile bringen könnten, haben sich Pilz und die Schatteneltern überlegt, da man auf Solidarität baue, "anstatt Gruppen gegeneinander auszuspielen". Wenn etwa eine Lehrerin mit Maske schlecht zu verstehen sei, solle man Mikros mit Bluetooth-Technologie besorgen, schlägt Pilz vor: "Das kostet nicht die Welt, aber niemand dreht an diesen kleinen Schrauben."
Pilz hält das Narrativ, jeder könne sich selbst mit einer FFP2-Maske schützen, für falsch: "Wenn alle Masken tragen, ist der Schutz bis zu 24 Stunden gegeben, wenn ein Kind allein sie trägt, aber alle rundherum nicht, dann ist es nach zweieinhalb Stunden vorbei mit dem Schutz". Zudem sei auch zu bedenken, dass Kinder durch Atteste für sich selbst oder vulnerable Eltern in der Schule "auch stigmatisiert sind."
Direktionen für Präsenz
Von der Sprecherin der AHS-Direktorinnen und -Direktoren, Isabella Zins, werden die geplanten Änderungen großteils positiv aufgenommen. Vor allem die Rückkehr zur Präsenzpflicht begrüßte sie: "Das hätten wir uns schon vor einigen Wochen gewünscht." Auch die Rückkehr externer Personen in die Schulen sei wichtig, um "ein buntes Schulleben" mit Workshops organisieren zu können.
Zuletzt hatten Zins und ihr Kollege Franz Reithuber vor der Lockerung der Maskenpflicht allerdings gewarnt. Sie rechnen dadurch mit mehr Infektionen und dadurch mit mehr Krankenständen von Lehrerinnen und Lehrern, hieß es. Der Präsenzunterricht sei dann schwer aufrechtzuerhalten, hieß es.
Unterdessen zeigen neue Forschungsergebnisse, dass zweifach Geimpfte und Genesene, die sich nicht mit Omikron infizierten, praktisch keinen Schutz vor der derzeit kursierenden Variante haben. Geboosterte können jedoch einen Schutz aufbauen. Das geht aus einer Studie der Med-Uni Wien hervor, die im Journal Allergy publiziert wurde.
Die Zahl der Neuinfektionen ist nach wie vor hoch, sie lag am Dienstag bei 21.427. Im Spital müssen derzeit 2399 Menschen behandelt werden. Das ist der höchste Stand seit Mitte Dezember 2021.
(Vanessa Gaigg, Colette M. Schmidt 22.2.2022)