Die Sicherheitsratssitzung als großangelegte Inszenierung.

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Die Uhrzeiger haben es verraten: Russlands Präsident Wladimir Putin brauchte weder einen Appell der Separatisten noch eine Beratung seines Sicherheitsrats. Das Dekret zur Anerkennung der "Donezker Volksrepublik" (DVR) und der "Luhansker Volksrepublik" (LVR) hatte er bereits vorher unterzeichnet, die Entscheidung längst getroffen.

Womöglich schon vor der Abgabe des russischen Forderungskatalogs in Bezug auf westliche Sicherheitsgarantien. Alles, was darauf in den letzten Monaten folgte, war ein abgekartetes Spiel. Der Kreml-Chef wusste, musste wissen, dass sein Ultimatum in dieser Form nicht angenommen werden würde.

Dass der Westen trotzdem darauf einging und Dialog anbot, war zwar womöglich ärgerlich, aber letztendlich zweitrangig für Moskau. Die Kompromissvorschläge wurden einfach zu "zweitrangigen" Fragen ab- und die Antwort schließlich als unzureichend eingestuft.

Das war der Vorwand, den die russische Führung brauchte, um den Einmarsch ins Nachbarland – vorerst in die ohnehin seit acht Jahren faktisch von Russland beherrschten Regionen DVR und LVR – zu begründen.

Einen weiteren Vorwand, die angebliche Eskalation des Konflikts im Donbass vonseiten der ukrainischen Streitkräfte, schuf der Kreml einfach selbst. Mit Fakes. Die meisten davon waren nicht einmal besonders gut. Moskau gab sich nicht einmal Mühe, die Fälschungen zu verbergen.

Glatte Lüge

So zeichnete Denis Puschilin, nach Kreml-Lesart nun Präsident der DVR, seinen Aufruf zur Evakuierung der Zivilbevölkerung zwei Tage im Voraus auf, was aus den Metadaten des am vergangenen Freitag hochgeladenen Videos hervorging. Dass er trotzdem behauptete, die Entscheidung habe mit der Zuspitzung der Lage "heute, am Freitag" zu tun, ist also eine glatte Lüge.

Ebenso verhält es sich mit angeblichen Anschlägen und dem Beschuss durch die ukrainische Armee. Sicher gab es Verstöße gegen die Waffenruhe auch von Kiewer Truppen in der Vergangenheit. Doch auffällig war, wie plötzlich die Lage eskalierte, als es Moskau opportun erschien. Als ob die ukrainischen Truppen darauf gewartet hätten, dass 150.000 russische Soldaten ihnen von kurz hinter der Grenze zuschauen, sollen sie ausgerechnet auf dem Höhepunkt des russischen Aufmarschs wie verrückt auf Separatisten und Zivilisten im Donbass losgeballert haben.

Im Bestreben, die Ukraine anzuschwärzen, zeigten die russischen Staatsmedien ein vor der Donezker Stadtverwaltung gesprengtes Fahrzeug. Dumm nur, dass die Nachricht offenbar zunächst schon einen Tag vorher geplant, dann aber verschoben wurde. So kam es, dass in dem Durcheinander einige Propagandisten, darunter Wladimir Solowjow, schon einen Tag vor dem Anschlag von der Festnahme des Attentäters berichteten.

Ist der Ruf erst ruiniert ...

Eine uralte Ruine musste als Grenzposten herhalten, der von ukrainischen Granaten zerstört worden war. Dass auf den "Beweisfotos" kleine Bäumchen ringsum – und, man beachte, völlig unbeschädigt von der Explosion – wachsen, sind Kleinigkeiten, die im Propagandakrieg vorkommen können.

Sie zeigen aber, wie wenig Wert der Kreml auch nur auf den Anschein der Wahrheit legt. Ganz nach dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.

Nun ist die Frage, wie es weitergeht. Offiziell begründet Putin die Anerkennung der Souveränität und den eigenen Truppeneinmarsch in DVR und LVR damit, dort Frieden schaffen zu wollen. Doch einige Duma-Abgeordnete sind offenbar schon vorausgeeilt. So erklärte der Chef des Duma-Ausschusses für postsowjetische Angelegenheiten, Leonid Kalaschnikow, die Anerkennung der Republiken werde wohl in den Grenzen der ehemaligen Gebiete Donezk und Luhansk (zwei Drittel des Territoriums stehen unter Kiewer Kontrolle) stattfinden.

Das würde zwangsläufig Krieg bedeuten. Kurz darauf wurde Kalaschnikow zurückgepfiffen. Er sei falsch verstanden worden, sagte er später. Das dürfte also erst im nächsten Schritt beschlossen werden. (André Ballin, 22.2.2022)

In einer Rede an die Nation erklärt Russlands Präsident die Anerkennung der Separatistenrepubliken im Donbass. Präsident der Ukraine Wolodymyr Selenskyj sprach vom Bruch des Minsker Abkommens.
DER STANDARD