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Konfliktregion Ostukraine.

Foto: AP

Die aktuelle russische Eskalation rund um den Donbass gilt als Todesstoß für das Minsker Abkommen. Dieses war von der Ukraine aber auch schon davor als äußerst ungünstig empfunden worden. Trotz des enormen Drucks sperrte sich auch Kiew bisher gegen das Abkommen – nicht ganz grundlos.

Bereits vor der aktuellen Eskalation blockierte Russland kontinuierlich die Austragung einer Sitzung der Trilateralen Kontaktgruppe zur Beilegung des Donbass-Krieges (mit Vertretern aus der Ukraine, Russland und der OSZE), bevor Kiew diese direkt auch mit den Vertretern der selbsternannten Volksrepubliken abspricht. Allerdings waren diese, obwohl sie in Wirklichkeit durchaus an der eigentlichen Arbeit teilnehmen, gar keine offizielle Mitglieder der Gruppe.

Mit dieser Linie versuchte der Kreml ganz offensichtlich, zwei Ziele zu erreichen: Zum einen wollte Russland seit Beginn des Krieges, dass die Ukraine direkt mit den Separatisten verhandelt. Allerdings sind die Separatistenanführer seit dem letzten Jahr sogar Mitglieder der russischen Regierungspartei Einiges Russland – und Kiew hielt solche Verhandlungen für sinnlos. Zum anderen wollte Moskau deutlichere Fortschritte bei der Umsetzung des für den Kreml günstigen politischen Teils des Minsker Friedensabkommens erreichen und baute deshalb Druck auf.

Schmerzhaft für die Ukraine

Für die Ukraine war Minsk immer ein schmerzhaftes Thema. Die im Februar 2015 unterschriebenen Vereinbarungen haben am Rande der drohenden Militärniederlage die Kriegshandlungen auf die etwa 450 Kilometer lange Kontaktlinie reduziert – und die Sicherheitsaspekte des Abkommens werden eigentlich von allen Konfliktparteien hoch geschätzt. Der politische Teil war für Kiew jedoch schwierig.

Konkret schrieb das Abkommen der Ukraine vor, wie die von Separatisten besetzten Gebiete, etwa ein Drittel der gesamten Industrieregion Donbass, nach der Austragung der Kommunalwahlen dort in den ukrainischen Staat reintegriert werden sollen. Schon immer war für die Ukraine problematisch, dass Kiew gemäß den Vereinbarungen die Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze im Donbass erst nach der Austragung der Wahlen zurückerhalten würde. "Die Wahlen sollen nach OSZE-Standards ausgetragen werden. Doch wie soll das unter diesen Umständen überhaupt gelingen, wenn die Ukraine nicht mal die Grenze zu Russland kontrolliert?" fragte Olexij Haran, Politikwissenschafter an der renommierten Kiew-Mohyla-Akademie.

Recht auf eigene Volksmiliz

Im Rahmen der Integration der Gebiete sollten sie einen Sonderstatus erhalten, zu dem unter anderem das Recht auf die eigene Volksmiliz und das Mitspracherecht bei der Ernennung von Richtern und Staatsanwälten gehört hätten – für die Ukraine unerfüllbar. Denn seit 2019 gibt Russland eigene Pässe in den sogenannten Volksrepubliken aus. Fast eine Million Anträge wurden bereits gestellt, rund 770.000 Pässe schon ausgegeben.

Außerdem hatte Moskau Mitte November den eigenen Markt für Waren aus den Separatistenrepubliken geöffnet und will russische Sozialhilfe für die neuen Staatsbürger ohne Anmeldung in Russland erlauben. All das machte das Abkommen laut Olexij Haran in der vorliegenden Form ohnehin nicht umsetzbar.

Keine Punkte erfüllt

Doch es ist nicht so, dass die Ukraine überhaupt nicht zu Kompromissen bereit war. In Sachen Amnestie für Teilnehmer des Konflikts gab es etwa den Kiewer Vorschlag, dass sie nur für solche Menschen nicht hätte gelten sollen, die aktiv an Kampfhandlungen teilgenommen haben. "Dazu war jedoch aus Moskau nichts zu hören", betont der Politologe. "Insgesamt hätten wir definitiv Fortschritte erzielen könnten, wenn man sich vorerst auf die Erfüllung des Sicherheitsteils konzentrieren würde. Nicht mal der allererste Punkt des Abkommens, der Waffenstillstand, ist aber umgesetzt worden – und die Schuld dafür liegt nicht in Kiew."

Russland setzte seinerseits darauf, die Sicherheits- und Politikaspekte gleichzeitig umzusetzen – und übte Druck aus, damit die Ukraine Gesetzentwürfe zum Sonderstatus und zur Austragung der Kommunalwahl präsentiert. "Das Problem ist hier, dass Putin offenbar denkt, etwa Präsident Selenskyj kann hierzulande ebenfalls wie er selbst in Russland alles durchsetzen. Doch die Ukraine ist eine Demokratie, diese Maßnahmen sind in der Gesellschaft extrem unbeliebt, und selbst beim besten Willen würden sich nicht genug Stimmen dafür im Parlament finden", betont Haran.

Tatsächlich waren einer neuen Umfrage des soziologischen Instituts Rating Group zufolge 63 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer für die Revision des Minsker Abkommens – und nur elf Prozent glaubten, Kiew sollte auf die Forderungen Russlands eingehen. (Denis Trubetskoy aus Kiew, 22.2.2022)