Die neue Normalität – für Frauen bedeutete sie vor allem mehr Stress, mehr Belastung, mehr physischen und psychischen Druck. Viele fanden sich plötzlich im 24-Stunden-Bereitschaftsmodus wieder: als professionelle Pflegefachkräfte oder als Hobby-Heimhilfe im privaten Setting mit erhöhtem Infektionsrisiko. Homeoffice musste mit Haushalt und Homeschooling unter einen viel zu kleinen Hut gebracht werden. Ob Vollzeit, in Kurzarbeit oder bei Jobverlust, die Familienarbeit lastete mehrheitlich auf Frauenschultern.

Die neue Normalität legt gesellschaftliche Risse frei. Für Frauen bedeutete Corona vor allem mehr Stress, mehr Belastung, mehr physischen und psychischen Druck.
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Entlassungswellen trafen weltweit Sektoren, in denen Frauen überrepräsentiert sind: Einzelhandel, Gastgewerbe, Tourismus. Krisen wirken nicht Gender-neutral, auch Covid-19 nicht. UN Women nennt die Pandemie "die Krise der Frauen". Die Weltmeisterinnen der Care-Arbeit leisten dreimal so viel unbezahlte Sorgearbeit wie Männer. In Österreich liegt auch die meist schlecht bezahlte Pflege in Frauenhänden: zu 81 Prozent im stationären Bereich, in der mobilen Pflege zu 93 Prozent.

Die Pandemie habe den Handlungsbedarf in Bezug auf Care-Arbeit überdeutlich sichtbar gemacht, weiß Stefanie Wöhl. Sie ist Professorin für Politikwissenschaft und hält den Jean Monnet Chair "Diversity and Social Cohesion in the European Union" an der Fachhochschule des BFI Wien. Die Pflegereform sei eine der dringlichsten Zukunftsagenden, sagt die Politikwissenschafterin: "Viele überlegen, aus der Pflege auszusteigen. Spätestens 2040 wird das ein Problem, wenn die derzeitige Arbeitspopulation in Pension ist." Jetzt rächten sich Versäumnisse bei Reformen, Einsparungen im sozialen und öffentlichen Gesundheitssektor.

Doppelt belastete Mütter

"Die Politik der österreichischen Bundesregierung scheint von der Annahme geprägt, dass Kinderbetreuung zu Hause keine Arbeit ist", sagt Wöhl. Nur so könne man die Forderung nach Vereinbarkeit von Homeschooling und Homeoffice verstehen. Als sich zeitgleich die Tore von Schul- und Betreuungseinrichtungen schlossen und die vulnerable Großelterngeneration ausfiel, amtierten vor allem Mütter als Ersatzpädagoginnen.

Studien der Universität Wien und des Meinungsforschungsinstituts Sora zeigen, dass 47 Prozent der Frauen, aber nur neun Prozent der Männer Zeit für Homeschooling und Co aufwenden. 63 Prozent der Mütter mit Vollzeitjob verbrachten viel mehr Zeit mit Kinderbetreuung, aber nur halb so viele Väter.

Werden im Land, in dem die Löhne der Frauen niedrig sind und die Teilzeitarbeitsquote zu hoch, reaktionäre Rollenverteilungen zementiert, ist die Eskalation weiblicher Armut im Alter und Alleinerziehender und ihrer Kinder nicht fern. Eine Bertelsmann-Studie ortet Wahrnehmungsunterschiede: 66 Prozent deutscher Männer glauben, ihre Familienarbeit sei gerecht verteilt, was nicht einmal jede zweite Frau bestätigt.

Adressat von Hassattacken

Knapp 50 Prozent der Frauen gaben an, die Belastung sei physisch und psychisch zu hoch. Frauen stellen die Mehrheit des Kindergarten- und des Schulpersonals und übernehmen als Mütter den Großteil der Kinderbetreuung.

Geht es ihnen psychisch schlecht, wirkt sich das auch auf Kinder und Jugendliche aus. In Österreich explodierten dadurch die psychischen Probleme der Jugend. Man solle, wie auch Schülerproteste zeigen, in einer derartigen Ausnahmesituation "nicht nur auf das Leistungsniveau in Schulen schauen, sondern auch auf die psychische Gesundheit", sagt Wöhl.

In Krisenzeiten sind Frauen Gewalt stärker ungeschützt ausgesetzt. Anfangs als Heldinnen der Krise beklatscht, wurde das stark weiblich dominierte Personal in Handel und Gesundheitsbranche Adressat von Hassattacken. Wöhl: "Maskulin konnotierte Eigenschaften wie Leistungsfähigkeit spielen eine große Rolle in der Gesellschaft." Die Pandemie habe ein Klima der Aggressionen geschürt.

Werte und Hilfe neu überdenken

"Angesichts der psychischen Belastungen aller braucht es Entlastung. Es ist keine gute Idee, Corona-positive Arbeitnehmer zu zwingen, im Homeoffice weiterzuarbeiten. Das verstärkt nur den Druck." Der Staat müsse hier regulierend eingreifen, um die Folgen der Pandemie abzufedern. "Menschen müssen wieder in gute Beschäftigungen kommen, von denen sie auch leben können, so auch Migrantinnen in systemrelevanten Bereichen", sagt Wöhl.

Auf nationaler wie auf supranationaler Ebene müssten gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen und umgesetzt werden, um Ressourcen freizumachen für dringend notwendige Maßnahmen wie die Pflegereform, Gewaltschutz oder den Ausbau von Kinderbetreuung, auch in den Bundesländern.

Bei den Wiederaufbauprogrammen der EU liege der Fokus auf Digitalisierung, Umweltschutz, Bildung und Infrastruktur. Auswirkungen auf Frauen und Geschlechtergerechtigkeit müsse in diesen Kontexten künftig aber ebenfalls mitgedacht werden. Wie stehen die Chancen für einen Heilungsprozess? Leistung muss neu und anders bewertet werden. Mit geringem Lohn und noch weniger Prestige lassen sich feminisierte Branchen wie Elementarpädagogik und Pflege für Männer nicht attraktiv machen. Auch bei den Anreizen für Väterkarenz ist noch Luft nach oben.

"Wir leben in einer leistungsorientierten Gesellschaft. Die Pandemie hat uns gelehrt, auch Krankheiten und Erschöpfungszustände ernst zu nehmen", sagt Wöhl. Und weiter: "Wir müssen unsere Werte neu überdenken und das, was uns als Gesellschaft wichtig ist." Zum Leben gehöre auch, eben nicht immer nur wettbewerbsfähig, stark und kompetent sein zu müssen. (Nadja Sarwat, 28.2.2022)