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Putin Montagabend in einer Fernsehansprache.
Foto: Reuters / Sputnik/ Kreml / Alexey Nikolsk

"Washington Post": Eine Wutrede

"So endet die Nachkriegswelt und auch die Welt nach dem Kalten Krieg: noch nicht mit einem Knall und nicht mit etwas, was annähernd einem Wimmern gleicht, sondern mit einer Wutrede. In einem außergewöhnlichen Monolog, der am Montag weltweit live übertragen wurde, attackierte und delegitimierte der russische Präsident Wladimir Putin nicht nur die unabhängige Ukraine und ihre Regierung, sondern alle Seiten der Sicherheitsarchitektur in Europa, und erklärte beide zu Kreaturen eines korrupten Westens – angeführt von den Vereinigten Staaten –, die Russland gegenüber unablässig feindselig eingestellt sind. (...)

Nach Montag ist leider klar, dass Putin nicht abgeschreckt wurde, ein Krieg wahrscheinlich ist und es keinen Grund mehr gibt, mit der Verhängung von Sanktionen zu warten – sogar über die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine hinaus, die das Weiße Haus sofort ins Visier nahm. Das wäre der erste Schritt, um entschieden auf diese geopolitische Krise zu reagieren, aber es kann kaum der letzte sein."

"La Repubblica" (Rom): Europäische Familie

"Putin (versuchte), die Geschichte neu zu schreiben, indem er die Existenz des demokratischen und freien Staates Ukraine leugnete, die Geisterrepubliken Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten anerkannte, das Minsker Abkommen endgültig begrub und die Amokfahrt, die europäischen Grenzen mit militärischer Gewalt zu verändern, fortsetzte. Der Krieg war noch nie so nah, und jetzt ist es für den gesamten Westen an der Zeit, mutige politische Entscheidungen zu treffen. Es ist an der Zeit, dass die Ukraine vollständig in die europäische Familie aufgenommen wird. Zusammen mit einem deutlichen und sehr harten Sanktionssystem ist das die beste Antwort, die man auf eine völlig ungerechtfertigte militärische Bedrohung vor den Toren Europas geben kann."

"Kommersant" (Moskau): Neue Phase

"Mit der Anerkennung der Unabhängigkeit der Volksrepubliken Donezk und Luhansk endet die Ukraine-Krise nicht, sondern geht in eine neue, vielleicht sogar noch zugespitztere Phase. Donezk und Luhansk können nun die Frage aufwerfen nach der Wiederherstellung ihrer territorialen Integrität innerhalb der Verwaltungsgrenzen der Regionen Donezk und Luhansk, die größtenteils unter der Kontrolle Kiews stehen. (...) Wenn dies nach der Unterzeichnung von Abkommen mit Moskau geschieht, wird ihnen nur Russland dabei helfen können."

"De Standaard" (Brüssel): Fassungsloser Westen

"Putin machte deutlich, wie weit er bereit ist für seine Vision von einer Sicherheitsarchitektur zu gehen, wie sein Russland sie braucht. Angesichts dieser Entschlossenheit ist der Westen fassungslos. Niemand will für die Ukraine sterben. Die angekündigten Sanktionen sind ein Eingeständnis der Schwäche. Es herrscht Uneinigkeit darüber, wie schnell sie kommen und wie hart sie durchgesetzt werden sollen. Putin ist vorbereitet auf alles, was Europa und die USA in petto haben."

"Neue Zürcher Zeitung": Eine Großoperation?

"Plant Putin einen umfassenden, an mehreren Fronten geführten Krieg, oder wird er eine begrenzte, nur punktuell ausgeführte Militäraktion anstreben? Die USA scheinen in jüngster Zeit von einer Großoperation auszugehen, die auch die Hauptstadt Kiew in die Zange nimmt. (...) Ein solches Vorgehen wird Putin wählen, wenn er die Ukraine vollständig niederringen und eine neue, auf lange Sicht Moskau-freundliche Regierung in Kiew installieren möchte. Doch damit verbunden sind auch die größten Risiken: Es wäre mit einer hohen Opferzahl zu rechnen und mit der Notwendigkeit, für längere Zeit als sicherlich unpopuläre Besatzungsmacht aufzutreten. (...)

Um den ukrainischen Streitkräften eine kurze, blutige Lektion zu erteilen, reicht eine begrenzte Militäraktion; um die Separatistengebiete in der Ostukraine stärker an Russland zu binden oder gar offiziell einzuverleiben, genügt sogar die Unterschrift unter einem Annexionsgesetz. In beiden Fällen könnte Moskau darauf hoffen, dass sich der Westen in seiner notorischen Zerstrittenheit nicht auf einschneidende Sanktionen einigen würde."

"De Telegraaf" (Amsterdam): Putins Zarenreich

"Der russische Präsident lebt nicht in einer Welt des internationalen Rechts, auf das er zwar verweist, wenn ihm das erforderlich erscheint, das er jedoch mit Füßen tritt, wenn die Regeln nicht seinem Geschichtsbild entsprechen. Putin wird oft als ein Anführer im Stil des 19. Jahrhunderts gesehen. Und an den Grenzen seines Zarenreiches kann sich kein souveräner Staat seines Bestehens sicher sein."

Demonstration in Berlin vor der russischen Botschaft.
Foto: EPA / Clemens Bilan

"The Telegraph" (London): Als Nächstes die baltischen Staaten?

"Eine diplomatische Lösung ist zwar einem Krieg vorzuziehen, aber nicht um jeden Preis, wie Ben Wallace, der britische Verteidigungsminister, Abgeordneten gegenüber erklärte. Der Westen darf der Zerschlagung der Ukraine nicht zustimmen, um Putin so zum Abzug seiner Truppen zu bewegen.

Die Provinzen Donezk und Luhansk stehen seit 2014 im Zentrum eines blutigen Konflikts zwischen den beiden Ländern, der bereits 10.000 Menschenleben gekostet hat. Wenn Putin sie von der Ukraine abspalten kann, so wie er es mit der Krim getan hat, wird er sein Vorgehen der Einschüchterung und Aggression als Erfolg werten. Aber er wird wiederkommen und als Nächstes die baltischen Staaten auf seiner Liste haben."

"Verdens Gang" (Oslo): Gefährlichere Zeit

"Unabhängig vom Ausgang ist die Krise in der Ukraine ein Zeichen dafür, dass Europa in eine gefährlichere Zeit eintritt. Putin versucht, in der Ukraine etwas von dem wiederaufzubauen, was beim Zusammenbruch der Sowjetunion verloren ging. Es ist keine Frage, ob der Krieg in die Ukraine kommen wird. Der Krieg zwischen russisch unterstützten Rebellen und ukrainischen Kräften geht im Osten des Landes bereits seit acht Jahren vor sich. Die Frage ist, ob die Kampfhandlungen im Donbass nur ein Vorläufer für die größte Militärkampagne in Europa seit 1945 sind. Putin sagt, Moskaus oberste Priorität sei nicht die Konfrontation, sondern die Sicherheit. Sein Vorgehen deutet leider in die entgegengesetzte Richtung." (APA, 22.2.2022)