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Bundeskanzler Karl Nehammer verurteilt Wladimir Putins Vorgehen.

Foto: AP / Lisa Leutner

Bundeskanzler Karl Nehammer stellte sich in seiner Krisen-Pressekonferenz am Dienstag eindeutig gegen die Aggression der "Russischen Föderation" (der Name Putin kam ihm nicht oder kaum über die Lippen) und bestätigte, dass sich Österreich an den Sanktionen der EU solidarisch beteiligen werde.

Für seine feste Haltung bekam Nehammer von FPÖ-Chef Herbert Kickl den Vorwurf, er verhalte sich wie ein Sprecher der USA oder der Nato. Die europäische extreme Rechte und die Altlinke sind sich ja in ihrem Antiamerikanismus einig: Sie hassen beide einfach die liberale Demokratie, die trotz allem in den USA herrscht.

Keine einheitliche Linie

Das ist auch in der aktuellen Situation relevant, denn ohne eine einheitliche Linie der USA und Europas wird sich die nackte Aggression Wladimir Putins nicht gut überstehen lassen. Es geht ihm ja nicht nur um die Ukraine, der er in seiner bizarren Tirade das Recht auf eigene Staatlichkeit abgesprochen hat, sondern um ein Rollback der Entwicklung in Osteuropa seit dem Ende des Kalten Krieges und um die Ausdehnung seiner Einflusssphäre bis nach Westeuropa. Wozu sonst sind seine Cyberkrieger unablässig unterwegs, um die Menschen der EU zu verunsichern? Russland will sich durch Druck holen, was seine rückständige Wirtschaft braucht: Finanzströme und Technologie.

Die Nato und die USA sind mit einem Mal wieder relevant. Putins Aggression wirkt als Bindemittel. Man darf über die Problematik der USA nicht hinwegsehen. Sie sind teilweise der Arroganz der Supermacht erlegen. Die amerikanische Demokratie selbst ist seit Donald Trump gefährdet.

Aber im Vergleich zum Modell Putin ist das korrigierbar. Die Annäherung der EU an Russland, von der so viele in Österreich träumen, kann ohnehin stattfinden – wenn Russland ein berechenbarer und halbwegs zivilisierter Partner wäre. Unter den jetzigen Umständen wäre es komplett verrückt, sich von den USA abzuwenden, mit denen wir ein ganz großes gemeinsames Interesse haben: nämlich, in einem System zu leben, in dem Politiker regelmäßig abgewählt werden, statt sich 22 Jahre mit List und Gewalt an der Macht zu halten, in dem der Rechtsstaat herrscht, Oppositionelle nicht vergiftet und ins Lager gesteckt werden, lebendige freie Medien möglich sind – und noch dazu Wohlstand herrscht.

Falsche Kriege

Die USA haben zuletzt falsche Kriege geführt, aber sie haben nicht ihre Nachbarn überfallen, um ihr Territorium auszuweiten. Davon abgesehen ist es ja zum Schreien komisch, wenn vor allem die linken Amerikaverächter amerikanische Popkultur konsumieren, amerikanische Serien und Filme sehen, sich von amerikanischem Junkfood ernähren, amerikanische Smartphones und Laptops benutzen usw.

Hinwendung zu Russland? Russland hat derzeit nichts zu bieten außer relativ primitive Rohstoffe, die es noch dazu als Waffe benutzt. Es liefert zwar das vereinbarte Gas, weigert sich aber seit kurzem, die Lieferungen zu erhöhen. Russland will nicht den kleinen Finger, sondern die ganze Hand.

Der Westen hat Russland nicht erniedrigt und beleidigt, wie Putin das behauptet, er hat nur mehr oder weniger bestimmt erklärt, dass es den alten Ostblock unter neuem Vorzeichen nicht geben kann. Präsident Joe Biden ist in innenpolitischen Schwierigkeiten und ein klappriger alter Mann, aber so viel strategischen Sinn und Energie hat er noch beisammen, um zu erkennen, dass man jemand wie Putin nicht machen lassen darf. Die Interessen von Europa und den USA sind deckungsgleich wie schon lange nicht.

Es geht um eine coole Rechnung: halbwegs demokratische Verhältnisse und Herrschaft des Rechts gegen eine finstere Despotie und das Recht des Dschungels. (Hans Rauscher, 22.2.2022)