Europäische Unternehmen profitieren indirekt von schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigen Umweltstandards in Produktionsländern. Geht es nach der EU-Kommission, sollen sie künftig für Verstöße haften.

Foto: AFP/MUNIR UZ ZAMAN

Wenn Kleidungsfabriken in Bangladesch Kinder ausbeuten oder brasilianische Konzerne den Regenwald roden, dann profitieren indirekt auch europäische Unternehmen. Denn Zulieferer, die es mit rechtlichen Vorgaben nicht so genau nehmen, können ihre Produkte billig nach Europa verkaufen – auf Kosten von Menschenrechten und der Umwelt.

Seit Jahren diskutiert die Europäische Union daher über sogenannte Lieferkettengesetze. Sie sollen europäische Unternehmen dazu verpflichten, ihre Zulieferer offenzulegen und die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards zu kontrollieren. Frankreich und Deutschland haben bereits solche Gesetze beschlossen. Am Mittwoch dürfte die Europäische Kommission nun ihren eigenen, lang erwarteten Vorschlag für eine EU-weite Regelung präsentieren.

Ambitionierter Vorschlag

Laut einem Entwurf der geplanten Richtlinie, der dem STANDARD vorliegt, sollen große europäische Unternehmen künftig laufend kontrollieren, ob ihre Zulieferer Umweltstandards und Menschenrechte einhalten. Liegen Verstöße vor, müssen die europäischen Unternehmen Maßnahmen ergreifen, um die Situation vor Ort zu verbessern. Tun sie das nicht, drohen Geldstrafen und Schadenersatzzahlungen.

Die Regelung soll für Unternehmen gelten, die mehr als 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen und im Jahr mehr als 150 Millionen Euro Umsatz machen. In sensiblen Bereichen wie der Bekleidungsindustrie oder der Lebensmittelproduktion gelten besondere Regelungen: Hier sollen schon kleinere Firmen ab 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und einem Jahresumsatz von 40 Millionen Euro verpflichtet werden. Betroffen wären insgesamt rund 13.000 europäische Unternehmen.

Bis zur Präsentation der geplanten Richtlinie sind freilich noch Änderungen möglich; danach wird die Diskussion um den Entwurf erst so richtig losgehen. Zustimmen müssen zunächst die Mitgliedsstaaten im Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament. Und auch auf nationaler Ebene wird wohl kräftig debattiert werden, denn die EU-Richtlinie legt nur Mindeststandards fest. Die genaue Ausgestaltung des Gesetzes – etwa die Festsetzung der genauen Strafhöhen – obliegt den einzelnen EU-Mitgliedstaaten.

Widerstand erwartet

"Der Entwurf der Kommission ist durchaus ambitioniert", sagt Rechtsanwältin Katharina Häusler, die sich seit Jahren mit Lieferkettengesetzen beschäftigt. Der Vorschlag gehe deutlich über das im Vorjahr in Deutschland beschlossene Gesetz hinaus. So haften Unternehmen etwa nicht nur für direkte Vertragspartner, sondern zumindest indirekt auch für die Zulieferer der Zulieferer. "In der Praxis wird die Kontrolle aber umso schwieriger, je weiter man in der Lieferkette zurückgeht," sagt Häusler im Gespräch mit dem STANDARD.

Positiv sei, dass die Regelung Unternehmen einschließe, die ihren Sitz zwar nicht in Europa haben, aber hier wirtschaftlich tätig sind. Dadurch könne vermieden werden, dass für europäische Unternehmen ein Wettbewerbsnachteil entsteht, erklärt Häusler. Betroffen wären etwa Apple oder Nike. Managerinnen und Manager sollen zudem das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, in die Unternehmensstrategie aufnehmen. Wie das in der Praxis funktionieren soll, ist noch völlig offen, sagt die Expertin.

Der Entwurf der Europäischen Kommission ließ lange auf sich warten. Das liegt aber auch daran, dass sich vor allem in der Wirtschaft breiter Widerstand gegen die zusätzlichen Pflichten regte. Laut Markus Pieper, Abgeordneter der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament, übertreffe der Vorschlag "die schlimmsten Befürchtungen". Das Gesetz bedeute noch mehr Berichtspflichten für den Mittelstand. Die zivilrechtliche Haftung für Schäden sei zudem "unverhältnismäßig".

Viel Diskussionsbedarf

Anna Cavazzini, EU-Abgeordnete der Grünen, sieht das anders. "Europäische Unternehmen müssen Verantwortung für ihre Lieferketten übernehmen, Sorgfaltsprüfungen durchführen und Probleme beheben", sagt Cavazzini. Gut sei, dass Manager in die Pflicht genommen werden und Opfern der Zugang zu Gerichten vereinfacht wird. Dennoch lasse der Entwurf "Raum für Verbesserung". Denn Unternehmen müssen nur Zulieferer kontrollieren, mit denen sie "etablierte Geschäftsbeziehungen" pflegen. Das ermögliche "Schlupflöcher".

Erfreut über den Entwurf zeigte sich auch Bettina Vollath, österreichische SPÖ-Abgeordnete im EU-Parlament. Das Lieferkettengesetz habe "absolute Priorität" und sei einer der "wichtigsten Schlüssel, um konsequent gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen vorzugehen". Mit dem Entwurf komme die Kommission einer langjährigen Forderung des EU-Parlaments nach, sagt Vollath. "Jetzt ist es unsere Aufgabe, den Vorschlag genau unter die Lupe zu nehmen." (Jakob Pflügl, 23.2.2022)