In Deutschland und in Österreich steht ein "Freiheitstag" erst noch bevor; in Großbritannien oder Dänemark hat man damit längst ernst gemacht.

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Zwei Jahre nach den ersten Covid-19-Fällen in Österreich scheint das Gröbste überstanden. Die Infektionszahlen sind zwar weiterhin sehr hoch: In den letzten Tagen wurden jeweils über 20.000 neue Fälle gemeldet, am Mittwoch wieder über 30.000. Doch die Sieben-Tage-Inzidenz sinkt seit 1. Februar kontinuierlich. Weit wichtiger aber ist, dass sich die Zahlen der CoV-Fälle auf Intensivstationen und auch der CoV-Toten seit Beginn der Omikron-Welle, die für die hohen Ansteckungszahlen sorgt, weiter auf relativ niedrigem Niveau bewegen. Nur bei den im Spital behandelten Personen mit Covid-19 kam es zuletzt zu Anstiegen.

Ähnlich sieht es in vielen anderen Ländern in Europa aus, was die Regierenden vielerorts dazu veranlasst, so gut wie alle Pandemie-Schutzmaßnahmen aufzuheben – oder diesen Schritt zumindest anzukündigen. In Großbritannien etwa, wo die Maskenpflicht seit Ende Jänner abgeschafft ist, soll nun auch die Isolation nach einem positiven Test überflüssig und die Gratistests eingestellt werden. In Dänemark etwa wurde Anfang Februar die Maskenpflicht auch in Innenräumen abgeschafft. In Österreich sollen am 5. März viele Schutzmaßnahmen beendet werden.

"Coronavirus: Game over"

War es das mit der Pandemie? Der Datenanalyst Tomas Pueyo, der ganz zu Beginn der Pandemie mit seinem millionenfach gelesenen Text "The Hammer and the Dance" wichtige Orientierung zur Bekämpfung von Covid-19 lieferte, sah bereits im Jänner das Ende der Pandemie gekommen: Unter dem Titel "Coronavirus: Game over" argumentierte er, dass die Zeit gekommen sei, wieder unser Verhalten zu ändern und uns zu entspannen. Die drei Hauptgründe dafür: die Impfstoffe, neue Medikamente wie Paxlovid und die "harmlosere" Omikron-Variante, somit sei die Covid-Todesrate "um 99,9 Prozent" reduziert, wie Pueyo übertrieben euphorisch twitterte:

Diese frohe Botschaft war, wie wir einen Monat später wissen, allzu optimistisch und kam angesichts der aktuellen Lage in vielen Ländern mit niedriger Impfquote deutlich zu früh: In den USA gibt es nach wie vor mehr als 2.000 Covid-Tote täglich; die Omikron-Welle forderte dort bereits mehr Opfer als die Delta-Welle.

Auch so gut wie alle Staaten östlich und südöstlich von Österreich, wo die Impfquoten niedrig sind, weisen nach wie vor sehr hohe CoV-Sterbezahlen auf, aktuell angeführt von Bulgarien und Kroatien. Aber auch in Dänemark, das bisher sehr gut durch die Pandemie kam, scheint die Omikron-Welle auf den ersten Blick mehr Tote fordern als die bisherigen Wellen:

Tägliche CoV-Tote in Dänemark im Verlauf der Pandemie. Im skandinavischen Land sind bis jetzt 0,75 Promille der Bevölkerung an/mit Covid-19 gestorben. In Österreich sind es 1,6 Promille, in Bulgarien 5,1 Promille.

Genaue dänische Aufschlüsselungen zeigen allerdings, dass in der aktuellen Welle deutlich mehr Menschen mit Covid-19 starben als an Covid-19 – im Gegensatz zu den Wellen zuvor.

Endemie und/oder Ende nie?

Dennoch stimmen die meisten Fachleute zu, dass sich jedenfalls nach Abflachen der Omikron-Welle die Pandemie endlich in eine Endemie verwandeln wird, was schon für 2021 vorausgesagt worden war. Endemie klingt verheißungsvoll nach "Ende" und nach "harmlos", bedeutet epidemiologisch aber leider etwas anderes: nämlich eine Krankheit, die in bestimmten Regionen regelmäßig auftritt und dabei gar nicht harmlos sein muss. Der in den US-tätige dänische Immunologe Kristian Andersen spricht deshalb im Fachblatt "Science" von der "endemischen Täuschung".

Tuberkulose oder Malaria sind Beispiele für endemische Krankheiten und fordern jährlich hunderttausende Tote weltweit. Die Influenza ist ein begrifflicher Streit- und Grenzfall: Sie gilt laut manchen Definitionen als "endemische, mit saisonmäßigen Häufungen auftretende Infektionskrankheit", die im Schnitt weltweit rund 600.000 Menschenleben pro Jahr fordert. Diese Saisonalität und das Auftreten immer neuer Virenvarianten machen die Grippe strenggenommen aber auch zur regelmäßig wiederkehrenden Epidemie, mit der wir zu leben gelernt haben.

Ist das auch das Szenario, das mit Covid-19 droht? Und wie sind eigentlich andere Pandemien zu Ende gegangen? Historische Vergleiche bieten sich einmal mehr mit der Spanischen Grippe an, die ausgehend von den USA im Frühling 1918 zu wüten begann und vermutlich rund 50 Millionen Tote forderte, also deutlich mehr und deutlich jüngere Opfer als die Corona-Pandemie. In vielen Darstellungen heißt es, dass die Spanische Grippe in vielen Regionen der Welt im Herbst 1919 mit der dritten Welle zu Ende ging, die – wie schon die zweite Welle – einer mutierten Version des ursprünglichen Grippevirus geschuldet war.

Verfrühtes Pandemieende

Nach dieser dritten Welle hatte man in den USA so gut wie alle Schutzmaßnahmen aufgegeben, auch weil die Bevölkerung pandemiemüde war. Doch 1920 schlug eine weitere Influenzavariante noch einmal zu, wie der Medizinhistoriker John M. Barry kürzlich in der "New York Times" berichtete: In etlichen Städten in den USA war die Zahl der Opfer höher als während der zweiten Welle im Herbst 1918, die als die tödlichste gilt. Die Zahl der Toten in den USA sank erst 1921 wieder auf das vorpandemische Niveau. Auch in Europa forderte die Spanische Grippe noch späte Opfer: Der deutsche Soziologe Max Weber etwa starb im Juni 1920 daran.

Es ist zu hoffen, dass die Omikron-Welle etwas Ähnliches ist wie diese vierte Welle der Spanischen Grippe. Die unberechenbaren Mutationen von Sars-CoV-2 allerdings machen konkretere Prognosen schwierig. Die britische Scientific Advisory Group for Emergencies (Sage), ein Gremium von renommierten Fachleuten, hat es kürzlich dennoch versucht.

Die Forschenden skizzieren vier Szenarien, wie es mit Covid-19 weitergehen könnte – vom "bestmöglichen" bis zum "schlimmsten Fall". Im besten Fall sind die künftigen Varianten nicht übertragbarer und ihre Immunflucht bleibt gering. Auch die Schwere der Erkrankung übertrifft nicht die von Omikron. Für den Herbst/Winter 2022/23 wären entsprechend nur kleinere Ausbrüche und wenige schwere Erkrankungen zu erwarten, die keine Zusatzmaßnahmen verlangen. Bisherige Impfstoffe können zur Auffrischung eingesetzt werden.

Virulentere Varianten

Die drei pessimistischeren Szenarien gehen von unangenehmeren Varianten mit höherer Übertragbarkeit, Immunflucht und/oder schwereren Krankheitsverläufen aus, etwa durch eine neuartige Kombination von Omikron (hohe Übertragbarkeit und Immunflucht) mit Delta (hohe Virulenz). Das würde flächendeckende Impfungen mit angepassten Impfstoffen nötig machen. Zudem würde man wieder auf die hinlänglich bekannten Eindämmungsmaßnahmen zurückgreifen müssen, damit die Gesundheitssysteme nicht überlastet werden.

Welches dieser Szenarien eintreten wird oder ob doch alles anders kommt, weiß niemand. Denn eines hat uns die Corona-Pandemie in den vergangenen zwei Jahren in jedem Fall gelehrt: die Richtigkeit des alten Kalauers, dem zufolge Prognosen schwierig sind, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen. (Klaus Taschwer, 24.2.2022)