Grafik: DER STANDARD

Die sichersten Mandate im obersten Entscheidungsgremium des größten österreichischen Medienkonzerns vergibt ein sonst eher nicht so gewichtiges Organ. Wer vom Publikumsrat in den ORF-Stiftungsrat entsandt wird, bekommt einen sicheren Sitz über die nächsten vier Jahre. Ungestört von Regierungswechseln sowie Nationalrats-, Landtags- oder ORF-Zentralbetriebsratswahlen.

Deshalb sitzen im Stiftungsrat noch vier Blaue, drei davon aus dem Publikumsrat, bestellt 2018 nach türkis-blauen Sideletter-Schlüsseln.

Besonders praktisch daran für den Bundeskanzler oder, so vorhanden, dessen Medienministerin: Sie bestimmen die Mehrheit im Publikumsrat. Und diese Mehrheit bestimmt, wen das Gremium in den gewichtigen Stiftungsrat entsendet.

Von ÖH bis ÖAMTC

Im März lädt das Kanzleramt Organisationen zu Besetzungsvorschlägen für den Publikumsrat, die Unis, Bildung, Kunst, Jugend, Sport, Ältere und Menschen mit Behinderung, Familien, Volksgruppen, Touristik, "Kraftfahrer", Konsumenten oder Umweltschutz vertreten. Rote wie bürgerliche Kanzler haben bei der Auswahl stets jedenfalls auch auf passende politische Couleur geachtet. Und damit die Mehrheit im Publikumsrat bestimmt.

In den zuletzt aufgetauchten Sidelettern von ÖVP und Grünen steht kein Schlüssel für die sechs Mandate des Publikumsrats im Stiftungsrat. Die Grünen gehen offenbar davon aus, dass sie geeignete Menschen für die drei bisher blauen Mandate vorschlagen.

Sonst kämen ÖVP-nahe Stiftungsräte in die Nähe einer Zweidrittelmehrheit. Mit der könnte die ÖVP ORF-General Roland Weißmann abberufen ?– dessen Bestellung sie aber gerade erst 2021 bestimmt hat.

Die türkise Mehrheit im ORF-Rat kommt aus der Dominanz in

  • Bundesländern Sechs von neun der Länder-Stiftungsräte werden dem bürgerlichen Lager zugeordnet.
  • Nationalrat Zwei von sechs Parteimandaten hat die ÖVP als stärkste Fraktion im Parlament.
  • Bundesregierung Laut Sideletter mit den Grünen bestimmt sie fünf von neun und zwei "Unabhängige", die schon an Fraktionssitzungen des bürgerlichen "Freundeskreises" im Stiftungsrat teilnahmen.

An dieser Position – und, kolportiert, den meisten Namen – dürfte sich bei der bis Mai anstehenden turnusmäßigen Besetzung des Stiftungsrats wenig ändern.

Unabhängig, weisungsfrei

Fraktionssitzungen nach politischer Nähe gibt es im Stiftungsrat, Abstimmungen verlaufen oft entlang von Fraktionsgrenzen. Für Weißmann stimmten etwa alle ÖVP- und Grün-nahen Räte, zudem der wohl zum letzten Mal für die FPÖ vertretene Vorsitzende Norbert Steger und zwei eher bürgerliche Betriebsrätinnen. Wie in einem Sideletter der Fraktionschefs vereinbart, nominierten die Grünen zwei Direktoren, die ÖVP die übrigen Topjobs.

Der ORF-Redakteursrat protestierte heftig gegen die Sideletter und ihre Umsetzung: "Wer mit der Politik über Posten verhandelt, hat in einem unabhängigen ORF nichts verloren." Ein neues ORF-Gesetz solle für Fachleute im ORF-Gremium statt Einfluss der Parteien sorgen.

Westenthaler winkt ab

Die Neos, heute vertreten von Medienexpertin Anita Zielina, werden ihr Mandat im Stiftungsrat ausschreiben. Mediensprecherin Henrike Brandstötter erklärt das so: "Die öffentlich geführten Diskussionen in den letzten Jahren über politische Besetzungen von Aufsichtsratsposten, Vorständen und Beiräten haben gezeigt, wie wichtig ein transparenter Bestellungsprozess nach genau ausgeschilderten Anforderungen ist. Wir Neos stellen klar den Anspruch, in Bezug auf diese Anforderungen selbst Vorreiter zu sein. Deshalb werden wir auch die Funktion des beziehungsweise der ORF-Stiftungsrätin ausschreiben."

Die FPÖ könnte auf ihrem Mandat eine kantige Besetzung brauchen. ORF-Räte spekulierten mit Peter Westenthaler. Der freiheitliche Expolitiker winkt auf STANDARD-Anfrage mit einem knappen "Nein" ab. Er wolle "mit politiknahen Dingen nichts mehr zu tun haben". (Harald Fidler, 23.2.2022)