Bild nicht mehr verfügbar.

In Mariupol, etwa 20 Kilometer von den Separatistengebieten Donezk und Luhansk, wurde am Dienstag gegen das Vorgehen Russlands protestiert.

Foto: REUTERS/Carlos Barria

In Donezk donnerte es mitten in der Nacht zum Dienstag noch lauter als zuletzt, als die Stadt russischen Angaben zufolge unter ukrainischem Dauerbeschuss lag. Doch diesmal stammte der Lärm von Feuerwerkskörpern. Aus Lautsprechern dröhnte Russlands Nationalhymne, während etwa 50 Männer und Frauen vor den Kameras russische Flaggen schwenkten und jubelten. Die für eine Metropole eher maue Beteiligung begründete eine Reporterin mit der nächtlichen Ausgangssperre.

Eine andere Stimmung herrschte wenig überraschend in Brüssel und Washington. Im Gegensatz zur Annexion der Krim 2014 reagierten die EU und die USA auf die Anerkennung der "Volksrepubliken" sehr rasch. Nur wenige Minuten nach Putins Erklärung sprachen EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel von einem "eklatanten Bruch internationalen Rechts" und kündigten Sanktionen an. Die Kommission schlug vor, den Handel mit russischen Staatsanleihen zu verbieten. Am Abend stimmten die EU-Außenministerinnen und -minister dem Plan zu.

Rasche Sanktionen

Zudem soll es Einreisesperren und das Einfrieren von Konten aller Personen geben, die mit der Invasion in die Ostukraine zu tun haben oder dort Geschäfte machen. Das betrifft auch rund 350 Duma-Abgeordnete.

Parallel zu Sanktionen setzt die EU aber weiter auf Verhandlungen. Das bekräftigte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Dienstagabend bei der Ankündigung des EU-Sanktionspakets in Paris. Es gehe darum, Russland wieder an den Verhandlungstisch zu bringen, die Gefahr eines großen Konflikts sei real. "Wir haben die Befürchtung, dass diese Geschichte noch nicht zu Ende ist."

Die USA handeln eng abgestimmt mit Brüssel und Kiew – das bestätigte US-Präsident Joe Biden am Dienstag in einem TV-Statement in Washington. Die Welt werde Zeuge des Beginns einer "Invasion" der Ukraine. Dieser Umstand markiere auch den Beginn strenger Sanktionen der USA und ihrer Verbündeten. Es sei inakzeptabel, dass Russlands Präsident Wladimir Putin der Ukraine unverhohlen das Existenzrecht abgesprochen habe. Die US-Sanktionen richten sich zunächst gegen mehrere Banken und einflussreiche Personen. Russland werde aber einen noch viel höheren Preis zahlen müssen, sollte es seine Aggressionspolitik fortsetzen.

Noch hoffe er, Biden, auf eine diplomatische Lösung der Krise, die USA hätten nicht vor, gegen Russland militärisch vorzugehen, man werde aber "defensive Maßnahmen" in Europa ergreifen. US-Außenminister Antony Blinken sagte wenig später ein geplantes Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow ab.

US-Präsident Joe Biden kündigte am Dienstagabend neue US-Sanktionen gegen Russland an.
Foto: EPA/SHAWN THEW

In Österreich wurde der russische Botschafter ins Außenministerium zitiert. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) betonte die Neutralität Österreichs, man habe aber eine klare Meinung bei Völkerrechtsbruch. "Russland hat sich trotz zahlreicher Warnsignale ganz bewusst für den falschen Weg entschieden", erklärte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP).

Der deutsche Bundeskanzler ließ am Dienstag mehr Profil erkennen, als man von ihm zuletzt gewohnt war: Olaf Scholz erklärte kurz und bündig, die Ostseepipeline Nord Stream 2 werde gestoppt.

Unterstützung der Bevölkerung

In Russland suggerieren Umfragen indes starke Solidarität mit der Bevölkerung in den Separatistengebieten. Laut dem staatlichen Meinungsforschungsinstitut WZIOM waren 78 Prozent mit der Entscheidung, Flüchtlinge aus dem Donbass aufzunehmen, einverstanden. Gesamtrussische Umfragen gab es vorerst nicht, in einer Umfrage in der Fernostregion Tschita unterstützten 60 Prozent Putins Plan.

Im russischen Parlament stimmten am Dienstag alle anwesenden Abgeordneten für den Vertrag über Freundschaft und gegenseitige Hilfeleistung zwischen Russland, der "Donezker Volksrepublik" (DVR) und der "Luhansker Volksrepublik" (LVR).

Am Abend trat dann ein sichtlich zufriedener Putin vor die Kameras und forderte die Neutralität und Demilitarisierung der Ukraine sowie dass Kiew seine Nato-Bestrebungen auf Eis legt. Das Minsker Friedensabkommen existiere laut Putin nicht mehr – es sei längst durch Kiew beschädigt worden.

Grenzfragen

Putin erläuterte zudem, dass Russland die Grenzen der "Volksrepubliken" gemäß deren "Verfassung" anerkannt habe. Gemeint wäre also die Gesamtfläche der Verwaltungseinheiten (Oblast) Luhansk und Donezk, von denen die Regierung in Kiew 70 Prozent kontrolliert (siehe Grafik). Der russische Staatschef fügte aber hinzu, dass die neuen "Verpflichtungen" nicht bedeuten würden, dass "wir gleich Militär dorthin schicken". Zunächst war offengeblieben, in welchen Grenzen Russland die beiden Gebilde genau anerkennt. Diese Auslassung könnte bewusst gewählt worden sein, um die weitere Verhandlungsposition des Kreml zu stärken. So sollen der Westen und die Ukraine zu weiteren Zugeständnissen gezwungen werden.

Putin hatte bereits am Montag angedroht, dass Moskau nicht zulassen werde, dass die Ukraine zum Aufmarschgebiet der Nato werde. Dabei deutete er mögliche Gebietsansprüche an, vom Donbass bis hin zur gesamten Schwarzmeerregion der Ukraine, die Putin "Neurussland" nannte.

Russland Territorium zu überlassen sei ausgeschlossen, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der sich in einer aufgezeichneten Rede am Abend ebenfalls an die Öffentlichkeit wandte. Reservisten würden einberufen werden, eine Generalmobilmachung schloss der Staatschef aber vorerst aus. Er kündigte an, Wege der Diplomatie weiter verfolgen zu wollen. Die angekündigten Sanktionen würden zeigen, dass "die internationalen Partner uns unterstützen", sagte Selenskyj weiter. Er kündigte ein Programm des "ökonomischen Patriotismus" an, das Anreize für lokale Produktion sowie Steuersenkungen auf Benzin beinhalten soll.

Unterdessen verkündete der Chef der "Volksrepublik" Donezk, Denis Puschilin, man rechne mit Kämpfen, daher gebe es eine Mobilmachung: "Wir wollen uns auf unsere eigenen Kräfte verlassen." Man wolle nur auf russische Hilfe zurückgreifen, wenn dies nötig sei. Gleichzeitig begann Russland damit, sein diplomatisches Personal aus der Ukraine abzuziehen; ähnlich verhielt sich die Uno. (André Ballin aus Moskau, Thomas Mayer, Kim Son Hoang, 22.2.2022)