Das (nicht artgerechte) Zusammenleben von Mensch und Tier kann zu ernsten Problemen führen.

FATIH AYDOĞDU

Irgendwann im Herbst 2019 infizierte sich vermutlich irgendwo in der Gegend von Wuhan in China der erste Mensch – der sogenannte Indexpatient oder Patient null – mit einem neuen Typ von Coronaviren, die schwere Lungenerkrankungen auslösen können. Was seitdem geschah, ist bekannt. Doch wie und warum es zu dieser ersten CoV-Infektion eines Menschen kam, die zur schwersten Pandemie seit fast hundert Jahren führte, ist auch mehr als zwei Jahre später Gegenstand heftiger Debatten.

Sprang das Virus, das ziemlich sicher auf Fledermäuse zurückgeht, von einem Fledertier direkt auf einen Menschen über? War ein Zwischenwirt beteiligt – also eine jener Säugetierarten, die etwa am Wildtiermarkt von Wuhan feilgeboten wurden, wo die ersten dokumentierten Fälle auftraten? Oder war es doch ein Laborunfall am Institut für Virologie Wuhan, wo nicht nur an Coronaviren geforscht wurde, sondern wo auch genetische Manipulationen dieser Viren stattfanden?

Strittiger Ursprung

Für alle drei Versionen gibt es Indizien, aber keine eindeutigen Beweise, wie auch Alina Chan und Matt Ridley eingestehen müssen. Die kanadische Molekularbiologin vom Broad Institut in Cambridge/Massachusetts und der britische Zoologe veröffentlichten Ende 2021 das Buch "Viral: The Search for the Origin of Covid-19" (Fourth Estate), das vor allem Belege für die Laborhypothese zusammenträgt. Aber auch sie müssen letztlich eingestehen, dass die "smoking gun" für den Laborursprung fehlt.

In Deutschland gerieten sich in der Frage zuletzt der Physiker Roland Wiesendanger – ein Protagonist der Laborhypothese – und der Virologe Christian Drosten öffentlich in die Haare. Doch auch ihre öffentlich ausgetragene Kontroverse brachte keine faktischen Neuigkeiten. Und auch ein neuer Preprint ungarischer Forscher, die in einer chinesischen Datenbank zufällig auf vertauschte Genomanalysen von sehr frühen Sars-CoV-2-Fällen gestoßen waren, liefert nur eingeschränkt konkrete Hinweise für einen möglichen Ursprung im Labor.

Zwei neue, am Samstag veröffentliche Preprints weisen hingegen wieder in Richtung Wildtiermarkt: In einer Studie eines Teams um den Evolutionsbiologen Michael Worobey (University of Arizona) wurde noch einmal die geografische Verteilung der ersten Fälle analysiert. Das Ergebnis: Der Wildtiermarkt dürfte doch das Epizentrum der Ausbrüche gewesen sein.

Unterstützt wird diese These durch eine weitere Untersuchung, an der Worobey beteiligt war: Genetische Proben von frühen Covid-Fällen vom Wuhan-Markt hätten zwei leicht unterschiedliche Viren zu Tage gefördert, die sich durch zwei Mutationen unterscheiden. Beide Virenstränge seien von den Tieren auf dem Markt übertragen worden. Das deute darauf hin, dass es zu zwei "zoonotischen Ereignissen" gekommen sei.

Das seien klare Hinweise, die für den Wildtiermarkt sprechen, berichtet auch die "New York Times" in einem ausführlichen Artikel vom Samstag. Aber eben auch: keine eindeutigen Beweise, wie Jesse Bloom argumentiert, der an den Studien nicht beteiligt war und eher ein Anhänger der Laborhypothese ist.

Wie auch immer Covid-19 in die Welt kam: Die Pandemie führte drastisch vor Augen, wie groß die Gefahr von Zoonosen ist, also von Tierkrankheiten, die auf den Menschen überspringen. Die Risikofaktoren sind bekannt: Der Handel mit und der Verzehr von Wildtieren, die Zerstörung von natürlichen Habitaten, die Zucht von Pelztieren und nicht zuletzt die Erderwärmung erleichtern Krankheitsübertragungen von Tier auf Mensch.

Erhebliches Virenreservoir

Wie groß dieses Risiko ist, zeigt eine Studie aus China, die demnächst im Fachblatt "Cell" erscheinen wird: Forschende um den Veterinärmediziner Shuo Su (Landwirtschaftliche Universität Nanjing) haben ab Februar 2020 mehr als 1.900 Wildtiere, die 18 verschiedenen Säugetierarten angehörten, auf Viren untersucht. Die meisten dieser Spezies wurden auch am Tiermarkt von Wuhan feilgeboten, darunter etwa Larvenroller (Paguma larvata), eine Schleichkatzenart, die mit Sars-CoV-2 in Verbindung gebracht wird.

Wie tierische Infektionskrankheiten auf Menschen überspringen können – und umgekehrt.
Grafik: Shuo Su et al., Cell 2022

Zwar brachten die Analysen keinerlei konkrete Hinweise darauf, dass Sars-CoV-2 von einer der untersuchten Tierarten auf den Menschen übergesprungen sein könnte. Doch was das Team um Shuo Su fand, war nicht eben beruhigend: Die Forschenden stießen auf nicht weniger als 102 Säugetierviren, von denen 65 zum ersten Mal beschrieben wurden. 21 Viren wurden als potenziell hochgefährlich für Menschen und Haustiere eingestuft.

Sammelsurium der Viren

Larvenroller trugen die meisten der potenziell risikoreichen Viren in sich. Wie die Analysen erhoben, dürfte etwa das Fledermaus-Coronavirus HKU8 von Fledermäusen auf die Schleichkatzenart übergesprungen sein. Zudem wurden artenübergreifende Übertragungen von Coronaviren von Fledermäusen auf Igel, von Vögeln auf Stachelschweine und von Hunden auf Marderhunde beobachtet. Die Studie bestätigt also einmal mehr, dass Wildtiere potenzielle Auslöser von Zoonosen sein können.

Ein in Gefangenschaft gehaltener Marderhund. DIese Spezies gilt als Überträger von Zoonosen.
VIER PFOTEN / Fred Dott

Doch was lässt sich dagegen tun? Dieser Frage ging ein Team der Harvard T. H. Chan School of Public Health nach. "Wenn uns Covid-19 etwas gelehrt hat, dann, dass Behandlungen und Impfstoffe Todesfälle, nicht aber die globale Ausbreitung von Viren und möglicherweise niemals die Entstehung neuer Erreger verhindern können", sagt Erstautor Aaron Bernstein. Dafür seien Maßnahmen wie Monitoring nötig.

Zoonosen-Monitoring

Bekannte und bedenkliche Erreger, etwa das Lassavirus, müssen strenger und veterinärmedizinisch gestützt überwacht werden. Im Sinne des One-Health-Ansatzes, der die Gesundheit von Menschen, Tieren und Ökosystemen als Einheit betrachtet, wurde das Zoonosen-Monitoring mit wissenschaftlicher Begleitung etwa in Brasilien, China, Nigeria und Jordanien etabliert.

Bislang vernachlässigen viele Staaten aber ausgerechnet die Rolle von Wildtieren in Gesundheitsstrategien, wie die Analyse von Gesundheitsberichten aus 107 Ländern zeigte: In 58 Prozent der Fälle stellte das US-amerikanische Wissenschaftsteam grobe Mängel in puncto Wildtierschutz fest. Dass dieser enormes präventives Potenzial besitze, hält auch die Harvard-Gruppe einmal mehr fest und empfiehlt strenge lokale Standards im Wildtierhandel und die Ausweitung des CITES-Artenschutzabkommens.

Natürliche Pufferzonen

Als bedeutenden Vorsorgeschritt sehen die Forschenden den Stopp der Entwaldung und Degradierung natürlicher Lebensräume. Einerseits treibt die Zerstörung von Ökosystemen Wildtiere auf der Suche nach Nahrung und neuen Habitaten gefährliche nahe an Ballungszentren. Andererseits kommen Menschen bei der Rodung oder Umgestaltung von Urwäldern, aber auch kleiner Forste, vielfach und oft ungewollt in Kontakt mit Wildtieren sowie in Hotspots für das Überspringen von Viren.

Da jede Schnittstelle Gefahren berge, seien natürliche Pufferzonen zwischen Mensch und Wildtieren, sowie Wild- und Haustieren zu fördern und zu erhalten, resümierten mexikanische Forschende 2021. "Naturschutzmaßnahmen müssen in Gesundheitssysteme integriert werden", schreibt das Harvard-Team. Pro Jahr würden diese Präventivschritte rund 20 Milliarden US-Dollar kosten, gut 17 Milliarden Euro. Das seien weniger als zehn Prozent der wirtschaftlichen Kosten, die neue Infektionskrankheiten jährlich verursachen. Ganz zu schweigen von drei Millionen Menschen, die im Schnitt jedes Jahr an viralen Zoonosen sterben. (Marlene Erhart, Klaus Taschwer, 24.2.2022)

Anm. der Red: Der Text wurde am 27.2. um die am 26.2. publizierten Studien zum Wildtiermarkt ergänzt.