Die zu entdeckende US-Komponistin Florence Price schrieb Symphonien, in denen die romantische Tradition Europas auf die Pentatonik der ehrwürdigen Spirituals und Gospels trifft.

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Wenn vom afroamerikanischen Beitrag zur Musikgeschichte die Rede ist, kommt man um einen Namensmarathon nicht herum. Im Jazz reicht die Galerie der Innovatoren – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – von Louis Armstrong und Duke Ellington über Charlie Parker, Ornette Coleman bis hin zu John Coltrane und Miles Davis.

Schon zuvor legten Spirituals und Gospels die Basis für den Blues, der zum Fundament aller Rockmusik wurde. Anfangs fand sie sich von Chuck Berry inspiriert; später führte sie Jimi Hendix in ekstatische Grenzbereiche. Vergessen wir nicht Ray Charles und James Brown! Sie mögen für jene afroamerikanischen Stilnews stehen, die wir als Rhythm and Blues, Soul und Funk kennen. Komisch allerdings: Nur im klassischen Bereich scheint es keinen relevanten Beitrag afroamerikanischer Prägung gegeben zu haben.

Es kommt Bewegung

Dies ist falsch, und nach und nach wird der Eindruck auch revidiert. Die New Yorker Metropolitan Opera hat vergangenen Herbst erstmals in ihrer immerhin bis 1880 zurückreichenden Geschichte die Oper eines schwarzen Komponisten, Fire Shut Up in My Bones von Terence Blanchard, aufgeführt. Und vielleicht wird ein Avantgardegrübler wie Anthony Braxton noch entdeckt. Dessen komplexe Partituren würden auch ein Festival wie Wien Modern bereichern. Vielleicht hört man gar die Oper Iphigenia, die der alte Jazzstar Wayne Shorter mit der jungen, genialischen Esperanza Spalding schrieb, einmal in Europa.

Die Dinge kommen jedenfalls in Bewegung. Weit zurück in die von Ressentiments begrabene Historie afroamerikanischer Musik geht das Philadelphia Orchestra. Es erinnert mit Stardirigent Yannick Nézet-Séguin an die Komponistin Florence Price, die 1953 starb. Als Tochter einer Musiklehrerin und eines Zahnarztes 1887 in Little Rock, Arkansas, geboren, genoss sie eine profunde Ausbildung. Mit elf veröffentlichte sie ihr erstes Stück. Allerdings bezeugen Briefe das Problem, als komponierende Afroamerikanerin Fuß zu fassen.

Keine Antwort

"Leider wird die Arbeit einer Komponistin oft als zu leicht, als eine Luftblase, ohne Tiefe, Logik und Männlichkeit bewertet. Jetzt noch die Tatsache der Rasse – ich habe farbiges Blut in meinen Adern –, und sie werden die Schwierigkeit verstehen, mit der ich konfrontiert bin", schrieb Price – im uns heute stocken lassenden Jargon – an den bekannten Dirigenten Sergej Kussewitzky, Chef des Boston Symphony Orchestra. 1943 blieb der Brief jedoch unbeantwortet, dabei konnte Price bereits auf Erfolge verweisen. Ihre erste Symphonie hatte einen Wettbewerb gewonnen und wurde 1933 von Frederick Stock und dem Chicago Symphony Orchestra uraufgeführt. Price schrieb weiter großformatig. Ihre dritte Symphonie entstand während der Großen Depression und wurde 1940 uraufgeführt.

Die nunmehr bei der Deutschen Grammophon erschienene fulminante Aufnahme des Philadelphia Orchestra demonstriert: Die erste Symphonie ist tief in der romantischen Tradition verwurzelt. Markant ist jedoch der Einsatz der Pentatonik, welche der Melodik einen Gospeltouch verleiht.

Wie bei Bruckner

Noch markanter die dritte Symphonie: Für diese Musikform ungewohnt, beginnt sie mit einem elegischen Adagio. Faszinierend dabei, wie Price in diesem ersten Satz mit dramatischen Ausbrüchen und Farbwechseln die Spannung hält. Was bei Antonín Dvořáks neunter Symphonie Aus der Neuen Welt eine stilistische Reminiszenz an US-Spirituals darstellt, wird bei Price eine sich konsequent durchziehende, authentische Stilwelt.

Interessant auch: Die Dritte beginnt schwermütig, endet jedoch ausgelassen mit einem unerwarteten Scherzo. Idee und Handwerk finden sich dabei in einer Art entfesselt, die an die Wucht Bruckner’scher Scherzi denken lässt. Diese Dritte würde es verdienen, etabliertes Repertoirestück zu werden – neben Werken von Tschaikowsky und Rachmaninow und den ganzen Romantikern, die im Sinne der Etablierung von Größen, die wegen Vorurteilen in Vergessenheit geraten sind, Platz freimachen könnten. (Ljubiša Tošic, 23.2.2022)