Joe Biden beweist Führungskompetenz. Im Gegensatz zu ihm findet Vorgänger Donald Trump Putins Vorgehen bewundernswert.

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Er hat den Kontrast noch einmal scharfgezeichnet: Donald Trump, der 45. Präsident der Vereinigten Staaten, der seinen russischen Amtskollegen nicht nur heimlich bewunderte. Was wahrscheinlich anders wäre, säße anstelle Joe Bidens noch immer er hinterm Schreibtisch im Oval Office, hat Trump nun auf geradezu spektakuläre Weise in einem Radiointerview deutlich gemacht.

"Genial" sei, wie Wladimir Putin in den Separatistengebieten der Ostukraine vorgehe, befand er. "Putin erklärt einen Teil der Ukraine für unabhängig. Oh, das ist wunderbar. Ich habe gesagt: ‚Wie schlau ist das denn?‘ Und er wird reingehen und ein Peacekeeper sein." Eine derart starke Friedenstruppe, mehr Panzer, als er je gesehen habe, so etwas könnte auch Amerika gut gebrauchen an seiner Südgrenze, lobte der Altpräsident, um kurz darauf gegen seinen Nachfolger auszuteilen. "Und wissen Sie, was Bidens Antwort war? Es gab keine Antwort. Dafür hatten sie keine."

So weit, so bizarr. In Wahrheit wirkt Biden im Moment wie ein Mann, der ziemlich genau weiß, was er tut. So gründlich ihn das Gezerre um so gut wie gescheiterte Reformgroßprojekte innenpolitisch entzauberte, so sehr er sich mit dem chaotischen Abzug aus Afghanistan blamierte: Das Ringen mit dem Kreml stärkt sein Profil. Genau genommen ist es ein altes Profil. Das Profil eines erfahrenen Außenpolitikers, dessen Fachgebiet die Ost-West-Beziehungen sind, es zumindest lange Zeit waren, ehe die Kriege im Irak und am Hindukusch wie auch der oft beschworene Schwenk nach Ostasien das russisch-amerikanische Verhältnis in Washington phasenweise zur Nebensache degradierten.

Biden in seinem Element

Dies ist sein Metier. Biden – der den Senatsausschuss für Auswärtiges leitete, ehe ihn das weltpolitische Greenhorn Barack Obama auch seines globalen Kontaktnetzwerks wegen zum Kandidaten für die Vizepräsidentschaft machte – gilt nicht nur als überzeugter Transatlantiker. Bedenkt man, dass sich die USA künftig noch mehr auf den indopazifischen Raum und den Wettlauf mit China konzentrieren wollen, wird er im Rückblick vielleicht der letzte überzeugte Transatlantiker gewesen sein, der im Weißen Haus residierte.

Nun ist es bei weitem nicht so, dass seine Instinkte immer die richtigen gewesen wären. Als Senator leistete er sich fatale Fehleinschätzungen: Den Truppenaufmarsch am Golf, um Saddam Husseins Soldaten aus dem besetzten Kuwait zu vertreiben, lehnte er ab, während er später die mit falschen Geheimdienstpapieren über angebliche Massenvernichtungswaffen begründete Irak-Invasion unterstützte.

Robert Gates, ein Profi der Realpolitik, der sowohl George W. Bush als auch Obama als Verteidigungsminister diente, hat es in seinen 2014 erschienen Memoiren so zugespitzt: In den zurückliegenden vier Dekaden habe Joe Biden bei jedem wichtigen Thema danebengelegen. Gates allerdings ist Republikaner, ganz frei von parteipolitischen Erwägungen dürfte die Polemik also kaum gewesen sein. Ohnehin ist es vergossene Milch. Was heute zählt, ist der Kontrast zu Trump.

Nötige Kleinarbeit

Der hatte, noch bevor er an der Pennsylvania Avenue einzog, die Nato als obsolet bezeichnet und später einige Verbündete, insbesondere Deutschland, förmlich malträtiert. Biden dagegen bekennt sich nicht nur zu dem Pakt, ohne auch nur die Andeutung eines Fragezeichens zuzulassen. Er leistet auch die nötige Kleinarbeit, um zu verhindern, dass aus objektiven Interessenunterschieden Risse werden, die Russland ausnutzen könnte. Joe Biden, der Cheforganisator der westlichen Allianz.

Dann wäre da noch die Neigung des 79-Jährigen, sich ab und zu verbal zu verheddern oder aber Dinge, über die intern diskutiert werden mag, im Scheinwerferlicht auszuplaudern. Noch vor Wochen sprach er von einer "minor incursion", einem "geringfügigen Einfall" Russlands in der Ukraine, bei dem "wir am Ende darüber streiten müssen, was wir tun und was wir nicht tun sollen, und so weiter".

Von einer Rhetorik, die Irritationen sät, ist nichts mehr zu spüren. "Wer, in Gottes Namen, glaubt Putin, gibt ihm das Recht, neue sogenannte Länder auf Territorium auszurufen, das seinen Nachbarn gehört?", fragte Biden, als er am Dienstag in einem Medienstatement ein erstes US-amerikanisches Sanktionspaket ankündigte. Fast wirkt es, als habe er im Nervenkrieg zurück zu einer Sicherheit gefunden, die er in ruhigeren Phasen vermissen ließ.

Schützenhilfe von Bernie Sanders

Nebenbei hat er auch die eigenen Reihen geeint, die der Demokratischen Partei, woran Putins Taten freilich einen höheren Anteil gehabt haben dürften als Bidens Worte. Auch Senator Bernie Sanders, dessen Hochzeitsreise 1988 in die Sowjetunion führte, plädiert für harte Sanktionen, sowohl gegen Putin als auch gegen "dessen Oligarchen, denen man den Zugang zu ihren bei europäischen und amerikanischen Banken gehorteten Milliarden verweigern muss". Streng genommen ist Sanders zwar kein Mitglied der Partei, aber dennoch die Symbolfigur ihres linken Flügels. Im amerikanischen Diskurs hat es Gewicht, wenn auch er sagt, dass Putin tragischerweise eine diplomatische Lösung zurückzuweisen scheine. Abgeordnete wiederum rufen das Weiße Haus auf, in Berlin auf das endgültige Aus von Nord Stream 2 hinzuwirken, statt einer vorübergehenden Pause.

Momentan sieht es nicht danach aus, als würde Biden den Hardlinern folgen. Offensichtlich setzt er auf eine Schritt-für-Schritt-Taktik, die immer auch Türen zum Rückzug offenlässt. Kommentatoren vergleichen ihn mit einem Mann, der zunächst zum kleinen Hammer greift, während ein größerer bereits gut sichtbar auf dem Tisch liegt. Auch Daleep Singh, Stellvertreter des Nationalen Sicherheitsberaters Jake Sullivan, versuchte sich gegenüber Journalisten an einer Metapher, was aber mit einem ziemlich schiefen Bild endete. Er sprach von Sanktionen, die nur für die "scharfe Kante" des Schmerzes stünden, den man Russland zufügen könne. (Frank Herrmann, 24.2.2022)