Peking sieht in der Bürgerrechtsbewegung Taiwans (Bild) ein Problem, daher unterstützt man Moskau. Dies allerdings mit Grenzen.

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Bei der Eröffnung der Olympischen Spiele vor wenigen Wochen, am 4. Februar, hatten Xi Jinping und Wladimir Putin noch wie beste Freunde geklungen: In einer gemeinsamen Erklärung stellte sich China hinter die Verurteilung einer möglichen Nato-Erweiterung Richtung Osteuropa. Und im Gegenzug lehnte Moskau "jegliche Form der Unabhängigkeit Taiwans" ab. Putin teilte auch Xis Kritik am Verteidigungsbündnis Aukus der USA mit Australien und Großbritannien im Pazifik. "Die Menschheit tritt in eine neue Ära ein", hieß es darin, die Freundschaft zwischen beiden Staaten kenne keine Grenzen.

Mittlerweile ist das sportliche Prestigeprojekt vorbei, und die Solidaritätsbekundung Pekings ist einem Schlingerkurs gewichen, der zum Ziel hat, es sich mit keinem Handelspartner zu verscherzen.

Noch am Wochenende hat der chinesische Außenminister Wang Yi auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt, die "territoriale Integrität der Ukraine muss geschützt und respektiert werden". Trotzdem verurteilte er einen russischen Einmarsch nicht.

USA machen Druck

In den USA nützt man die günstige Gelegenheit, um den Druck auf die chinesische Führung zu erhöhen. Außenminister Anthony Blinken forderte bei einem Telefongespräch mit seinem Amtskollegen Wang Yi am Dienstag, sich deutlicher als bisher vom russischen Vorgehen zu distanzieren. Offiziell aber mahnt Peking weiterhin alle Parteien zu einer diplomatischen Lösung.

Die Staatsmedien lassen einerseits keine Gelegenheit aus, die USA für die Eskalation verantwortlich zu machen; andererseits achten sie aber auch darauf, die "Volksrepubliken Luhansk und Donezk" nur in Anführungszeichen zu nennen.

Pekings Lavieren in der Ukraine-Krise erklärt sich aus übergeordneten machtpolitischen Motiven: Grundsätzlich hat die Kommunistische Partei kein Interesse daran, jegliche Form von Separatismus gutzuheißen. Zum einen will man mit Nachdruck verhindern, dass ethnische Zugehörigkeit als Motiv für Unabhängigkeitsbestrebungen international akzeptiert wird – zu sehr fürchtet man Abspaltungsaktivitäten der autonomen Regionen Tibet und Xinjiang. Gleichzeitig pocht man darauf, dass das seit 1949 de facto unabhängige Taiwan ein Teil Chinas sei und früher oder später mit diesem vereinigt werde.

Peking und Moskau sitzen geostrategisch im selben Boot: Beide streben das an, was sie "multipolare Weltordnung" nennen. Was nach Vielfalt klingt, bedeutet im Endeffekt aber nichts anderes, als dass sie keine Einmischung der USA in ihre inneren Angelegenheiten und Einflusssphären wünschen. Demokratien in unmittelbarer Nachbarschaft werden als Bedrohung der eigenen Herrschaft wahrgenommen. Beide Machtzentralen wollen gerne den Status des US-Dollars als internationale Leitwährung (durch den die USA sich quasi unbegrenzt verschulden können) beenden.

Euro statt US-Dollar

Und während Putins Russland die Hegemonie über ehemalige Sowjetrepubliken wie Belarus oder Kasachstan wünscht, ist die Annexion Taiwans seit Jahren erklärtes Ziel der chinesischen Außenpolitik. Noch vor wenigen Wochen schlossen Peking und Moskau zudem einen Vertrag über Erdgaslieferungen im Wert von 100 Milliarden Euro; dass der Handel in Euro und nicht in US-Dollar abgewickelt wird, ist auch als Affront gegen Washington zu verstehen.

Gleichzeitig will man in Peking das gerade wieder halbwegs reparierte Verhältnis zu Washington nicht aufs Spiel setzen. Während Donald Trump auf mehr Symmetrie und Reziprozität in den Handelsbeziehungen gepocht und so einen Handelsstreit gestartet hatte, hat sich das Verhältnis unter Joe Biden – der über seinen Sohn Hunter Biden auch persönliche Geschäftsinteressen hat – wieder entspannt. Die EU, allen voran Deutschland, ist ohnehin ein für Peking wichtiger Handelspartner.

Ein schmaler Grat

Und schließlich beobachtet man die militärische Entschlossenheit des Westens sehr genau und versucht, daraus Schlüsse zu ziehen, wie sich die USA und Europa im Fall einer Annexion Taiwans verhalten würden.

Peking befindet sich also auf einem schmalen Grat, will es sich mit keiner Seite verscherzen – nicht zuletzt mit der eigenen Bevölkerung, die man durch jahrelange Propaganda auf Antiamerikanismus getrimmt hat. Und in den chinesischen Onlineforen ist die Stimmung eindeutig aufseiten Putins. (Philipp Mattheis aus Schanghai, 23.2.2022)