Käfer meets Schmetterling: Der links sitzende Vierbindige Schmalbock (Leptura quadrifasciata) und das Landkärtchen (Araschnia levana) rechts daneben. Ist eine der beiden Arten im Aufwind, bedeutet das nicht zwingend gute Nachrichten für die andere Art, wie Forschende herausfanden.

Foto: Oliver Thier

Wer den Tag am liebsten mit einer Tasse Robusta-Kaffee beginnt, verdankt diesen Genuss nahezu exklusiv den Wildbienen. Diese oft in Miniaturgröße daherkommenden Verwandten der Honigbiene garantieren nicht nur den morgendlichen Koffein-Kick, sondern global auch artenreich blühende Landschaften. Etliche Wildblumen haben derart kleine und versteckte Blüten, dass sie nur von ebenso kleinen Insekten bestäubt werden können.

Viele Wildpflanzen können ohne Insektenbesuche keine Samen ansetzen, während das Erbmaterial selbstbestäubender Arten durch den fehlenden Genaustausch verarmt. Weltweit sind mehr als 350.000 blühende Pflanzenarten für die Reproduktion, die Produktion von Früchten oder Samen und auch den genetischen Austausch auf die Interaktion mit unterschiedlichen Insekten angewiesen. Der Stellenwert von Wildbienen, Schmetterlingen, Käfern und Fliegen für die Bestäubung wird dabei in den vergangenen Jahren stetig nach oben korrigiert.

Alarmierender Rückgang

Im Jahr 2017 rückte eine ernüchternde Erkenntnis den teils schlimmen Zustand der Insektenwelt ins öffentliche Bewusstsein. In weniger als 30 Jahren sank die Biomasse an fliegenden Insekten alleine in westdeutschen Naturschutzgebieten um mehr als 75 Prozent. "Es ist alarmierend, dass ein solcher Rückgang vor unseren Augen passiert und niemand gesehen hat, dass er an ganz vielen Orten gleichzeitig stattfindet", sagt Roel van Klink, Postdoktorand am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU). Das zeige, "wie wichtig es ist, unsere Umwelt zu überwachen."

Anlass für dieses Urteil ist eine groß angelegte Metastudie unter Leitung von van Klink und dem iDiv, die die Bestandsentwicklungen im Reich der Insekten unter die Lupe nahm. Beteiligt waren neben iDiv und MLU auch die Friedrich-Schiller-Universität Jena und das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Die Frage war, ob sich vom Schwinden einer Insektengruppe auch auf den Rückgang anderer schließen lässt.

Wie es um den Insektenbestand steht, ist weltweit Gegenstand von Studien. Erst konkrete Zahlen machen zielgenauen Schutz möglich. Im Bild: der Feldmaikäfer (Melolontha melolontha).
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Konträre Trends im Insektenreich

Auf der Suche nach Antworten konnten die Forschenden auf einen reichen Datenfundus zurückgreifen: Seit 2018 entwickeln Forschende unter Federführung von iDiv, MLU, Universität Jena und UFZ eine Datenbank, die hunderte internationale Studien und Langzeitstudien zur Häufigkeit verschiedener Insekten bündelt. Die beteiligten Wissenschafterinnen und Wissenschafter analysierten die Langzeitdaten von mehr als 9000 Standorten und publizierten ihre Ergebnisse im Fachblatt "Biology Letters".

Wie sich zeigte, lässt der Rückgang einer Insektengruppe keine Rückschlüsse darauf zu, wie es um andere Insekten im selben Lebensraum steht. Während sich der Bestand einiger Insektengruppen in bestimmten Regionen ähnlich entwickeln kann, stellen sich die Trends in anderen Gebieten oft völlig gegensätzlich dar. Geht es etwa Heuschrecken in einem gewissen Habitat schlecht, heißt das noch nicht, dass auch Fliegen, Schmetterlinge oder andere Insekten gleichermaßen leiden.

Komplexe Überwachung im Mini-Universum

Für die Überwachung der weltweiten Insektenbestände bedeutet diese Erkenntnis insbesondere eines: mehr Aufwand. Das Monitoring von Schmetterlingen, Käfern und Co kommt an sich schon einer Herkulesaufgabe gleich. Die Vertreter unterschiedlicher Arten sind teils winzig klein, zudem ist die schiere Menge der rund um den Globus vorkommenden Arten schwer zu überblicken. Insekten gelten als die artenreichste Klasse im Tierreich, knapp eine Million Spezies wurde bisher beschrieben.

Zweipunkt-Marienkäfer (Adalia bipunctata) im Familienverband. Das Monitoring der Käfer und anderer Insekten wird durch die Menge an Arten erschwert. Dass viele Vertreter winzig klein sind, erleichtert das Unterfangen nicht.
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Wissenschaftlich habe bislang noch niemand untersucht, ob der Zustand einer untersuchten Gruppe auch etwas über den Zustand anderer Insektengruppen aussagt, schreibt das Forschungsteam. Dabei hätte es durchaus Vorteile, wenn bestimmte Trends etwa im Schmetterlingsbestand auch Aussagen über Heuschrecken oder Käfer zulassen würden. Der Wissenschaft stünden damit tierische Indikatoren zur Verfügung, um Schlussfolgerungen sowie Schutzempfehlungen für andere Insekten abzuleiten.

Zu divers für Rückschlüsse

Hinweise auf solche Indikatorarten konnte die Gruppe um van Klink jedoch kaum aufspüren. Vielmehr zeigen die Bestände unterschiedlicher Artengruppen häufig gänzlich entgegengesetzte Trends. Zwar korrelierten Zu- oder Abnahmen im Bestand von Käfern und Schmetterlingen noch am ehesten, doch auch bei ihnen waren Korrelationen gering. Heuschrecken machen dagegen "komplett ihr eigenes Ding, ihre Bestandsveränderungen korrelieren mit keiner anderen Artengruppe", sagt van Klink.

Damit unterstreicht die Studie einmal mehr die Notwendigkeit eines gleichzeitigen Monitorings vieler Insektengruppen sowie deren Zu- oder Abnahme. Erst dieser genaue und differenzierte Blick erlaube es, die Natur zielgerichtet und wirkungsvoll zu schützen. "Insekten sind keine homogene Gruppe, die alle weltweit einem dramatischen Rückgang unterliegen, wie uns manche Schlagzeilen glauben lassen", sagt dazu Senior-Autor Jonathan Chase. Man könne nicht eine Gruppe von Insekten beobachten und davon ausgehen, dass alle anderen die gleiche Entwicklung durchlaufen. Denn: "Die Natur ist nicht so einfach wie wir es gerne hätten", sagt van Klink. (Marlene Erhart, 27.2.2022)