Wien – Der Experte für Kommunikationsrecht Hans Peter Lehofer hat die Sideletter von ÖVP und FPÖ sowie ÖVP und Grünen über ORF-Besetzungen in einem Blogbeitrag analysiert. Er und weitere vom STANDARD über den Eintrag befragte, renommierte Rundfunkrechtler beurteilt die Abmachungen deutlich anders als Zivilrechtler Martin Schauer im STANDARD-Interview.

Der Sideletter von ÖVP und FPÖ verweist auf Vereinbarungen der Fraktionssprecher im Stiftungsrat zur Besetzung der ORF-Geschäftsführung (drei ÖVP, zwei FPÖ) und – mit abgekürzten Namen – von Jobs darunter. Die Abmachung zwischen Norbert Steger (FPÖ) und Thomas Zach (ÖVP) wurde dem Koalitions-Sideletter beigefügt.

Der Deal von Steger und Zach (und seine Integration in den Koalitions-Sideletter) gingen "über das gesetzlich Zulässige deutlich hinaus", schreibt Lehofer: "Diese Vereinbarungen zeigen zudem eine Vermischung zwischen Regierungspolitik und Ausübung einer Organfunktion im ORF, die der verfassungsgesetzlich postulierten Unabhängigkeit des Rundfunks widerspricht."

Die Abmachung der Stiftungsräte Norbert Steger und Thomas Zach über ORF-Besetzungen aus 2017 wurde Teil des Koalitions-Sideletters von ÖVP und FPÖ.
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Die Besetzungsliste mit Namenskürzeln für ORF-Funktionen ist für Lehofer "nicht nur eine Überschreitung der dem Stiftungsrat zukommenden Kompetenz, sondern wäre auch insofern gesetzwidrig, als damit vor der zwingend vorzunehmenden Ausschreibung dieser Personen bereits eine Festlegung auf diese Personen – unabhängig vom Ergebnis der Ausschreibung – erfolgen sollte".

Zufällig tatsächlich bestgeeignet

Der damalige ORF-General Alexander Wrabetz erklärte, er habe die Personalwünsche teilweise erfüllt, um eine Zerschlagung des ORF abzuwenden. Lehofer sieht auch ihn hier "zumindest am Rande des gesetzlich Zulässigen": Nur wenn sich die Genannten "zufällig als tatsächlich Bestgeeignete" herausstellen, dürfte er den Wunsch der Räte erfüllen.

Auch Sideletter von ÖVP und Grünen gingen "über das gesetzlich Zulässige deutlich hinaus". Vereinbarungen über den Vorsitz des Stiftungsrats (für die Grünen) und ein Verhältnis von ÖVP- und Grünen-Tickets in der ORF-Führung versuchten "Einfluss auf die Entscheidungen von gesetzlich zur Weisungsfreiheit und Unabhängigkeit verpflichteten Stiftungsratsmitgliedern des ORF zu nehmen, was der verfassungsgesetzlich postulierten Unabhängigkeit widerspricht".

Verfassungsrechtler Heinz Mayer nannte im STANDARD-Gastkommentar die Besetzungsliste eine "klare Verletzung des Bundesverfassungsgesetzes über die Unabhängigkeit des Rundfunks". (fid, 24.7.2022)