Ein Drittel der österreichischen Wahlberechtigten beklagt, zu wenig politische Mitsprache zu haben. Nur drei Prozent stimmen der Aussage zu: "Ich habe genügend Mitsprache in politischen Fragen."

Linz – Ein Drittel der österreichischen Wahlberechtigten beklagt, zu wenig politische Mitsprache zu haben. Nur drei Prozent stimmen der Aussage zu: "Ich habe genügend Mitsprache in politischen Fragen." Es sind vor allem die weiblichen, die älteren und die in Städten lebenden Befragten, die sich besonders von politischer Mitsprache ausgeschlossen fühlen – und der Vergleich mit einer ähnlichen Umfrage vom Dezember 2020 zeigt, dass das Gefühl mangelnder Mitsprache in den vergangenen Monaten noch zugenommen hat.

Sieht man sich die Antworten der Parteigänger einzelner politischer Richtungen an, so sehen sich Grün- und ÖVP-Anhänger noch am relativ wenigsten von politischen Entscheidungen ausgeschlossen – Freiheitliche und MFG-Gefolgsleute dagegen in besonders hohem Maße.

Diese Erkenntnisse stammen aus der aktuellen Market-Umfrage im Auftrag des STANDARD. Dabei wurden den Befragten verschiedene Aussagen vorgelegt, denen sie mit Schulnoten von eins bis fünf mehr oder weniger stark zustimmen konnten.

Breitester Konsens besteht dabei darüber, dass Politiker besonders genau beobachtet würden und sich daher keine Fehler leisten dürften – hier geben 70 Prozent die Noten eins oder zwei – Durchschnittsnote 2,01. Mit der Note 3,99 besonders gering ist dagegen die Zustimmung zu der Aussage, dass man sich mit einem Anliegen an einen Politiker oder Parteifunktionär wenden würde – das wird mit einem Vierer weitgehend abgelehnt. Allerdings sind Männer stärker als Frauen, Landbewohner stärker als Städter zu Interventionen geneigt – ebenso Wähler von SPÖ, ÖVP und mit kleinem Abstand auch der FPÖ.

Interventionen für die falschen Leute

Politikern wird zwar zugestanden, dass sie Mitarbeiter und Beamte um sich brauchen, denen sie politisch vertrauen können – etwa gleich stark ist aber die Zustimmung zu der Aussage, dass Politiker und Funktionäre "ihren Einfluss bei Postenbesetzungen für die falschen Leute" verwendeten. In der politischen Diskussion war dieser Vorwurf vor allem der ÖVP gemacht worden – deren Wähler stimmen diesem Vorwurf in besonders geringem Maß zu, die Freiheitlichen dagegen in besonders hohem.

Market-Institutsleiter David Pfarrhofer findet besonders bedenklich, dass die österreichische Bevölkerung kaum Vertrauen in die Politiker hat: "Wir haben die Aussage bewerten lassen, ob die meisten Politiker, egal von welcher Partei, gute Absichten haben. Dem stimmen nur vier Prozent voll zu – aber 16 Prozent sagen eindeutig, dass die meisten Politiker eben keine guten Absichten hätten. Und diese überwiegend negative Einschätzung wird auch von Leuten geteilt, die angeben, dass sie persönlich einen Politiker oder eine Politikerin auf Gemeinde-, Landes- oder Bundesebene kennen."

Konsens geht vor Wählerinteresse

Dieses negative Politikbild hängt auch mit der seit Beginn der Zweiten Republik etablierten Sehnsucht nach Konsens zusammen, sagt Pfarrhofer: Vor die Wahl gestellt, ob man eine Partei wählen würde, die Kompromisse auch zum Nachteil ihrer eigenen Wähler schließen würde, behaupten sieben von zehn Wahlberechtigten, dass sie das Gesamtinteresse der Gesellschaft über das der Wähler stellen würden. Nur 16 Prozent sagen, dass sie eine Partei wählen würden, die die Interessen ihrer Wähler in den Vordergrund stellt und wenig Kompromisse macht. Und diese (behauptete) Haltung zieht sich durch die Wählerschaften aller Parteien.

Auf die Nachfrage, ob "in der österreichischen Politik so alles in allem versucht wird, die Herausforderungen bestmöglich für Österreich zu lösen" oder eher die Interessen der jeweiligen Wähler im Vordergrund stehen, sagen 57 Prozent, dass die Parteien die Wählerinteressen in den Vordergrund stellten, nur 26 Prozent meinen, dass die bestmögliche Lösung gesucht werde. Lediglich die ÖVP-Wählerschaft meint mehrheitlich, dass die Sachpolitik im Vordergrund stünde.

Umgekehrt gefragt: "Welche Parteien sind Ihrer Meinung nach am Finden von guten Lösungen für Österreich bei aktuellen Herausforderungen interessiert, welche Parteien stellen eher die Interessen der eigenen WählerInnen in den Mittelpunkt?" Da wird noch am ehesten SPÖ, Neos und Grünen (mit jeweils 34 bis 36 Prozent) zugetraut, sich um Lösungen im Gesamtinteresse zu bemühen – aber bei jeder einzelnen Partei sagt die Mehrheit, dass sie die Interessen ihrer Wähler in den Vordergrund stelle.

Pfarrhofer: "Die meisten Leute halten Parteipolitik für schlecht, obwohl die Parteien in einer Demokratie ja dazu da sind, die Interessen ihrer Wähler zu vertreten. Wenn die Parteien tun, wofür sie gewählt werden, wird das mehrheitlich abgelehnt. Das kann man damit erklären, dass die Parteienlandschaft ziemlich fragmentiert ist: Die Wählerschaft der ÖVP meint, ihre Partei sei konsensorientiert, die Wählerschaft der SPÖ sagt ebenso überzeugt, dass ihre Partei zum Konsens neigt und so weiter. Und den jeweils anderen Parteien wird mehr oder weniger deutlich vorgeworfen, sich nur um die eigenen Leute zu kümmern. Dieser Vorwurf ist auf der Bundesebene besonders hoch – während man in der Kommunalpolitik, in Wien haben wir das für die Bezirke gefragt, doch überwiegend Sachorientierung wahrnimmt."

Mehrheit rät von Engagement ab

Würde man einem jungen Menschen empfehlen, sich dennoch in der Politik zu engagieren? Zu einer solchen Empfehlung sind nur 37 Prozent bereit – am ehesten Sozialdemokraten und Grüne. 44 Prozent aber sagen, dass sie von einem politischen Engagement eher abraten würden.

Schließlich ließ DER STANDARD fragen, welches Engagement auch etwas bewirken könnte. Darauf sagen nur sieben Prozent, dass politisches Engagement gar nichts bringen würde, registriert Pfarrhofer: "Man sieht auch bei dieser Frage, dass Kommunalpolitik mit 47 Prozent die höchste Wertschätzung genießt – noch vor einem Engagement in einer Rettungsorganisation oder im Betriebsrat, was 39 beziehungsweise 37 Prozent für wirkungsvoll halten." 31 Prozent halten ein Engagement in der lokalen Organisation einer Partei für lohnend – dass man als einfaches Parteimitglied (also ohne weiteres Engagement) etwas bewirken kann, glauben nur elf Prozent. (Conrad Seidl, 7.3.2022)