Der Weltschmerz ist bei vielen groß, die Bewältigungsstrategien sind individuell.

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Es ist in etwa so, wie wenn man versucht, sich die Unendlichkeit des Universums vorzustellen: Das menschliche Gehirn gerät an seine Kapazitätsgrenzen. Ähnlich verhält es sich im Moment beim Blick auf das Weltgeschehen. "Was aktuell passiert, ist im wahrsten Sinne des Wortes unvorstellbar", sagt Alexandra Marold-Sattler, Klinische Psychologin mit Spezialisierung in Neuropsychologie. Gründe für Verzweiflung gibt es viele: Klimakrise, Pandemie, Krieg in Europa.

Im Gehirn löst ein Blick auf die Nachrichten in Tagen wie diesen vor allem eines aus: Stress. Hormone wie Adrenalin und Noradrenalin werden ausgeschüttet und lähmen unsere Emotionen. "Viele stellen sich die Frage, was man persönlich jetzt tun kann", berichtet die Psychologin. Und die Antwort ist erst einmal ernüchternd: "Unsere üblichen Problemlösungsstrategien greifen beim Blick aufs Weltgeschehen nicht mehr, das führt zu Hilflosigkeit." Ein Gefühl, mit dem wir in der Regel nicht gut umgehen können. "Wir Menschen haben gerne die Kontrolle und mögen es, Situationen beeinflussen zu können. Wenn uns das genommen wird, kostet das massiv emotionale Ressourcen", erklärt Marold-Sattler.

Der Glaube an das Gute

Wenn so viele Belastungsfaktoren auf uns einprasseln, sei es umso wichtiger, an positiven Dingen festzuhalten. Das mag banal klingen, ist aber essenziell für unseren Energiehaushalt: "All die negativen Nachrichten kosten uns sehr viel Kraft. Man fokussiert von einer negativen Schlagzeile zur nächsten und kommt zu keiner Erholung mehr."

Dabei sind die Erholungsphasen jetzt umso wichtiger, irgendeine Art von Zuversicht brauchen wir zum Leben. Zuversicht, aus dem Mittelhochdeutschen zuoversiht, das ist der feste Glaube daran, dass etwas Positives geschehen wird.

Wie wichtig Zuversicht ist, wissen wir aus der Medizin. Der Placeboeffekt ist das beste Beispiel dafür, dass Zuversicht tatsächlich bei der Heilung hilft. In Zeiten wie diesen fällt der Glaube an das Gute aber besonders schwer, die Nachrichtenlage ist für viele zermürbend. Wie erträgt man den Weltschmerz, ohne in Verzweiflung zu versinken und depressiv zu werden?

Informationen achtsam konsumieren

Positiv denken fällt gerade nicht nur besonders schwer, es ist auch nicht zufriedenstellend: "Jetzt jemandem zu sagen, dass man nur positiv denken müsse, damit es einem besser geht, ist wie zu jemandem mit Depression zu sagen, dass alles schon wieder gut werden wird. Es ist zu unkonkret", ergänzt die Klinische Psychologin.

Viel eher bräuchten wir zu ermutigenden Worten auch entsprechendes Werkzeug an die Hand, das uns hilft, durch die psychisch schwierige Zeit zu navigieren. Im ersten Moment sei für die meisten erst einmal wichtig, die Anspannung zu lösen, das heißt, "den Informationskonsum so groß wie nötig, aber so gering wie möglich zu halten", rät die Psychologin. Und: Gefühle anerkennen – auch wenn beim Blick auf das große Ganze die Gefühle der Verzweiflung aus einer privilegierten Position heraus entstehen. "Man darf sich trotz all dieser Schwierigkeiten, die das Weltgeschehen mit sich bringt, erlauben, sich auch mal auf sich selbst zu konzentrieren."

Wie das konkret aussieht, ist ganz unterschiedlich, Bewältigungsstrategien sind individuell. Manche brauchen Rückzug, andere suchen den Austausch. "Dabei spielt persönliche Erfahrung eine große Rolle", erklärt Marold-Sattler. Die Wahl der Bewältigungsstrategie ist demnach auch eine Generationenfrage: "Ältere, die einen Krieg erlebt haben, werden sich jetzt womöglich anders verhalten als Junge. Es kann helfen, sich generationenübergreifend auszutauschen."

Individuelle Strategien

Die einen kommen durch Geldspenden aus dem Gefühl der Ohnmacht heraus, den anderen kann die Teilnahme an Demonstrationen helfen, um Emotionen nicht länger nur mit sich selbst auszumachen: "Es kann helfen, die Wut auf die Straße zu tragen, sie zu äußern und sichtbar zu machen." Dabei sei es wichtig, Wut nicht mit Aggression gleichzusetzen. Viel eher gehe es darum, Gedanken zu verbalisieren und durch die Teilnahme an friedlichen Demonstrationen sein Mitgefühl auszudrücken. "Man hat sich dann aktiv beteiligt, das reduziert das Gefühl der Hilflosigkeit", weiß die Expertin.

Wieder andere seien ängstlicher und fühlen sich sicherer, wenn sie die Nachrichten von zu Hause aus genau im Blick behalten – oder sich von Informationen komplett abwenden.

Kurzum, was für einen selbst funktioniert, muss nicht zwingend für andere funktionieren. Es sei wichtig, Diskrepanzen in Bewältigungsstrategien zu erlauben: "Alles sollte bis zu einem gewissen Grad in Ordnung sein. Es gibt hier kein Richtig oder Falsch", stellt die Neuropsychologin klar und räumt ein: "Es ist im Moment aber auch wirklich ganz besonders schwierig, positiv zu bleiben – vor allem für jene, die ohnehin schon depressive Tendenzen haben." Schließlich hätten alle Gefühle Berechtigung, auch wenn es vielleicht nur ein Gefühl der Akzeptanz ist. Akzeptanz, dass es gerade nicht gelingt, positiv zu bleiben. (Magdalena Pötsch, 25.2.2022)