Der aktuelle EU-Entwurf zu Lieferketten berücksichtigt auch Menschenrechtsfragen.

Foto: imago images/Joerg Boethling

Wien – Der EU-Gesetzesvorschlag zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in der ganzen Lieferkette ist aus Sicht der Industriellenvereinigung (IV) nicht umsetzbar. NGOs wie Südwind und Netzwerk Soziale Verantwortung kritisieren hingegen Schlupflöcher für Unternehmen. Positiv seien die Einbindung der ganzen Lieferkette und von Umwelt- und nicht nur Menschenrechtsthemen sowie die zivilrechtliche Haftung. Negativ seien unter anderem Möglichkeiten, die Haftung abzuschieben, und fehlende Einbindung Betroffener.

Die Industriellenvereinigung warnt vor einem drohenden "Bürokratiemonster", das vor allem kleinere und mittlere Unternehmen überfordern könnte, so die IV in einer Aussendung. Unternehmen würden damit "Kontrollpflichten übertragen, die außerhalb ihres Einflussbereichs liegen können". Die Einhaltung von Rechten sei aber eine staatliche Aufgabe.

Verantwortung nicht auf Unternehmen abwälzen

"Die Politik darf sich hier nicht aus der Verantwortung stehlen und diese schon gar nicht auf Unternehmen abwälzen", fordert die IV. "Es ist eine unrealistische Vorstellung, dass man kleinere und mittlerer Unternehmen verpflichten kann, sicherzustellen, dass ein Lieferant in der 5. oder 7. Lieferkettenebene Standards einhält", meint die IV. Das wäre für viele Unternehmen eine unlösbare Aufgabe, die noch dazu die Gefahr berge, dass die Unternehmen "ohne Eigenverschulden an den Pranger gestellt werden". Das würde auch hohe Kosten verursachen. Die Marktmacht liege oft beim Zulieferer. Da sei das deutsche Lieferkettengesetz "wesentlich praktikabler, da es in Kernfragen auf die direkten Geschäftsbeziehungen abzielt".

Die IV warnt auch davor, dass mit solchen Regeln europäische Unternehmen aus Märkten verdrängt würden und andere Anbieter womöglich niedrigere Standards bei Menschenrechten und Umwelt einhalten. Außerdem würden dadurch Arbeitsplätze in Europa verloren gehen.

NGOs sehen guten Ansatz und offene Fragen

Prinzipiell positiver sehen NGOs den Entwurf zum Lieferkettengesetz, auch wenn er ihnen in Teilen nicht weit genug geht. Der Gesetzesentwurf "hat wirklich das Potenzial, ein historischer Meilenstein zu sein", sagte Tina Rosenberger, Geschäftsführerin von Netzwerk Soziale Verantwortung, am Donnerstag in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Südwind, Fairtrade, ECCJ, der Dreikönigsaktion, Arbeiterkammer (AK) und Österreichischem Gewerkschaftsbund (ÖGB). "Nachbesserungsbedarf" gebe es etwa im Fristenlauf – noch ist unklar, wie lange die Diskussion zwischen EU-Parlament und EU-Mitgliedsländern bis zum endgültigen Beschluss der EU-Richtlinie dauert, und danach seien noch zwei bis vier Jahre Übergangsfrist vorgesehen.

Laut Julia Wegerer von der AK sind in Österreich nur 0,06 Prozent der Unternehmen von der neuen Richtlinie betroffen, weil Mindestgrenzen für Mitarbeitende und Umsatz gelten. ÖGB-Expertin Miriam Baghdady weist darauf hin, dass zwar Gewerkschaften bei Verstößen Beschwerde einlegen können, sie aber sonst bei der Risikoanalyse nicht eingebunden seien.

Optimistisch ist Hartwig Kirner, Fairtrade-Chef, dass nicht nur "die allermeisten Menschen" in Österreich, sondern auch die Mehrheit der Unternehmen weder gegen Menschenrechte verstoßen noch die Umwelt schädigen wolle. Allerdings hätten die Betriebe bisher einen Wettbewerbsnachteil gehabt, wenn sie strenge Regeln einhalten. Dass dieser Nachteil wegfallen könnte, sei "ein großer Schritt". Kirner rechnet daher mit einer hohen Akzeptanz des neuen Gesetzes in Österreich. (APA, 24.2.2022)