Scheitern als ästhetische Mission: Die Musikerin Yeule verlegt sich in ihrer Kunst auf Störgeräusche und Fehlermeldungen.

Foto: Wanjie Li

Yeule beginnt ihr Album mit einem kleinen Manifest: Es ist betitelt mit My Name Is Nat Ćmiel – so heißt die aus Singapur stammende Musikerin mit bürgerlichem Namen, Yeule ist ihr Künstlerinnenname. Im Eröffnungslied zählt sie nach der Art von Freundschaftsbüchern auf, was sie gerne tut, wobei es schon bald nicht mehr ganz jugendfrei wird, wenn sie in kleinkindlichem Idiom von ihren "Tits" spricht und davon, dass sie gerne "fucked" und "fucked" wird. Huch.

Zudem klingt der Vortrag, als würde sie in ein altes Faxgerät sprechen, das über ein kaputtes Modem mit ihrer Cloud verbunden ist, die gerade durch Protuberanzen gebeutelt wird. Aufgenommen wird das vom Smartphone im Stromsparmodus. Auch ist Lied dafür ein großes Wort: Es ist ein gesprochener Text, begleitet von elektronischem Piepen und Krachen.

Yeule ist 24 Jahre alt und hat ein paar Semester klassisches Klavier in ihrer Biografie vermerkt sowie eine überlieferte Schwäche für Jazz, insbesondere den von Ella Fitzgerald, und die US-Indie-Stars Pixies. Doch in ihrer Musik findet sich wenig davon, zumindest nicht erkennbar. Yeule ist eine Vertreterin des Glitch, und so nennt sie ihr eben erschienenes Album Glitch Princess.

Glitch ist ein Subgenre der elektronischen Musik und oft nicht einmal das. Das Wort steht für eine Ästhetik des Scheiterns, wobei dieses Rohrkrepieren mit Absicht herbeigeführt wird. Virtuos unvirtuos zu sein, das ist das Ziel.

Elektronische Bonsais

Das kann bis hin zur Unhörbarkeit gehen, doch Yeules Glitch ist durchzogen von Derivaten der Popmusik, besetzt eine Schnittstelle aus Pop und Elektronik, wie sie in den letzten zehn bis 15 Jahren oft zu hören war – meist unter dem weniger speziellen Etikett der experimentellen Elektronik.

Yeules Äpfel fallen da nicht weit vom Pferd. Sie zerdepscht Sounds aus dem koreanischen Radio (K-Pop) und errichtet damit in Lego-Bauweise turmhohe Stücke. Oder kleine elektronische Bonsais mit Firlefanz aus dem Universum des Gamings. Außerdem ist Yeule "twee". Das bedeutet nett, lieb, was im Twee-Pop gern in Richtung Niedlichkeit übertrieben wird, und offenbart sich in diesem Fall als Mädchenstimme im Molltonbereich: Die Welt ist groß, und ich bin klein, so. Dass sie optisch ein zerstochenes Emo ist, das viel Zeit am Schminktisch verbringt, rundet die Kunstfigur ab.

yeule

Die Idee hinter Glitch lässt sich bis zu den Futuristen zurückverfolgen, zum Maler und Komponisten Luigi Russolo (1885–1947), der das Manifest L’arte dei rumori schrieb: die Kunst des Lärms.

Art of Noise

In England gründete sich in den 1980er-Jahren die Band Art of Noise, eine Avantgarde-Formation, die mit manipulierten Sounds, akustischen Collagen und frühem Einsatz des Samplings diese Idee gar in die internationalen Top Ten brachte.

Mit dem zeitgenössischen Glitch hat das nur noch sehr wenig zu tun. Der entwickelte sich in den 1990er-Jahren, als die Studios immer öfter in die Schlafzimmer und Küchen verlegt wurden, in denen neben dem dominierenden Laptop noch andere elektronische Geräte standen, die den Spieltrieb der jeweiligen Musikerinnen und Musiker stimulierten.

Kokettierte man davor eher mit Fehlern oder schob sie imperfekter Manufaktur von analogen Synthesizern oder Drum-Maschinen in die Schuhe, wurde plötzlich bewusst Mist gebaut: Fehlergeräusche wurden den Kompositionen nicht nur eingemeindet, man stellte sie ins Zentrum der Werke – oder beließ sie willkürlich als gimmickhafte Klangspender. Magazine wie das britische Wire ergingen sich darüber in langen Herleitungen und Deutungen für die Zukunft der Musik.

Toleranzgrenzen

Tatsächlich zog Glitch als meist namentlich gar nicht genannter Untermieter in die experimentelle Elektronik ein und taucht, mehr oder weniger präsent, in etlichen Outputs namhafter Labels wie Warp auf – um ein besonders vielseitiges zu nennen. Es rasselt im Dubstep und fand über die Hereinnahme von Autotune Einlass im Hip-Hop: Das kaum je aufpoppende Subsubgenre Glitch-Hop war erschaffen.

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Mit der Selbstbezichtigung Glitch Princess stellt Yeule dieses Nichtgenre nun auf ein Podest. Das Resultat ist ein ferner Pop-Trabant, der trotz historischer Herleitungsmöglichkeit ahistorisch klingt und bewusst auf fast alles verzichtet, was konventionelle Popmusik ausmacht. Ein paar Richtung Indie schielende Momente hat das Album dennoch und getanzt muss natürlich auch werden, die Klavierstunden werden ebenfalls belegt. Hinzu kommt, dass Yeule mit Glitch Princess möglicherweise einen Rekord aufgestellt hat.

Die digitale Version ihres Albums dauert nämlich über fünf Stunden lang. Geschuldet ist das dem vier Stunden und 44 Minuten langen Ambienttrack The Things They Did for Me Out of Love. Auch der ist ein Indiz dafür, dass es bei dieser Musik oft um das Ausloten von Grenzen geht – doch nicht jede Toleranz wird dafür bereit sein. (Karl Fluch, 23.2.2022)