Die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv behielt bei Antonín Dvořáks "Totenmesse" ihren Stil der straffen Leitung bei.

In einem sturmgebeutelten Februar, im seelischen Dunkelgraubereich zwischen abklingender Pandemieangst und anschwellendem Kriegslärm erscheint ein Requiem fast als passende Begleitmusik zur eigenen Gemütslage. Das ORF-RSO Wien brachte Antonín Dvořáks Totenmesse unter der Leitung von Oksana Lyniv sowie unter schallkräftiger Mitwirkung der Wiener Singakademie und eines hochkarätigen Solistenquartetts am Mittwochabend zur Aufführung.

Das erst zum zweiten Mal im Konzerthaus aufgeführte Requiem ist zwar nicht ganz so sterbensnah und seelenvoll wie jenes von Mozart oder so effektvoll wie das von Verdi, originell und abwechslungsreich ist das 1891 in Birmingham uraufgeführte Großwerk aber auf jeden Fall.

Oksana Lyniv ist eine Dirigentin, die klare Linien, Transparenz und eine straffe Führung bevorzugt, und so wunderte es kaum, dass sich die ehemalige Musikchefin der Grazer Oper der Totenwelt mehr mit dem Seziermesser als mit dem Weihrauchkessel näherte. Bewundernswert, dass die gebürtige Ukrainerin in dieser für sie sicherlich belastenden Zeit einen klaren Kopf behielt.

Als Zeichen der Solidarität trug Lyniv beim Konzert eine Schärpe in den ukrainischen Nationalfarben. Die 44-Jährige ist mit ihrer Heimat eng verbunden, Lyniv hat 2017 das ukrainische Jugendsymphonieorchester gegründet sowie in Lwiw, dem ehemaligen Lemberg, ein Kulturfestival. In den Nachrichten sollte am Morgen nach dem Konzert von kriegerischen Handlungen in der Westukraine in der Nähe von Lwiw berichtet werden.

Stimme aus Gold

Doch zurück zum Mittwochabend in den großen Konzerthaussaal, in dem ein exzellentes Solistenquartett für kurze Zeit die Welt und ihr erschreckendes Getriebe vergessen machte. So etwa Maximilian Schmitt, der wahrscheinlich wundervollste Tenor der Welt, mit seiner Stimme aus Gold. Oder Gerhild Romberger, deren Alt in ihrem Wohlfühloktavraum an edler, klarer Kraft kaum zu überbieten war.

Und auch Kateřina Kněžikovás adretter Sopran und der machtvolle Bass von Jongmin Park machten Freude. Respekt nötigte auch die Marathonleistung der Singakademie ab, die Heinz Ferlesch etwa für die Fuge im Offertorium bestens präpariert hatte. Frisch, federnd und gefühlvoll auch das RSO Wien. Beglückter Beifall für ein Requiem, das an diesem Abend nicht nur in die Vergangenheit wies, sondern leider auch in die nahe Zukunft. (Stefan Ender, 25.2.2022)