Österreich hat seine Wirtschaftsbeziehungen zu Russland und zur Ukraine vertieft. Nun fliegen die Funken.

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Wien – Alle stehen unter Schock. Keiner hat damit gerechnet, dass Russland dazu fähig ist." Hermann Pfanner suchte Donnerstagfrüh den Kontakt zu seinen Mitarbeitern in der Ukraine. Dann riss die Internetverbindung ab. Der Vorarlberger Fruchtsafthersteller produziert in der Stadt Bar rund 250 Kilometer südöstlich von Kiew Saftkonzentrat. Seit 20 Jahren ist Pfanner in der Ukraine mit seinen Plantagen für Obst und Getreide vertreten. 30 Millionen Kilo Äpfel baut er für den lokalen Markt und die Verarbeitung an.

Er sei mit dem Land verwurzelt, habe dort Höhen und Tiefen erlebt, erzählt Pfanner. Der Angriff Russlands habe seine 200 Mitarbeiter völlig überrascht. "Sie sehnen sich nach höherem Lebensstandard, nach geregelter Arbeit. Keiner will politische Schachfigur werden."

Der Unternehmer schickte seine Mitarbeiter nach Hause. Prognosen für die Zukunft der Fertigung wagt er nicht, dafür sei die Lage zu undurchsichtig. "Vielleicht bin ich bald nicht mehr Besitzer meiner eigenen Firma." In den nächsten Wochen gehörten die Felder bearbeitet. Planen lasse sich aber nur noch von Tag zu Tag. Pfanner erzielt in der Ukraine gut ein Zehntel des Umsatzes von 300 Millionen Euro.

Gestoppt hat die Produktion in der Ukraine am Donnerstag auch Mayr Melnhof Karton. Der Konzern stellt 200 Kilometer südlich von Kiew Verpackung für Konsumgüter her. Die 200 Mitarbeiter wurden angehalten, zu Hause zu bleiben, sagt ein Konzernsprecher. Wie in der Ukraine produziert Mayr Melnhof auch in Russland für den lokalen Bedarf.

Hunderte Niederlassungen

Österreichische Unternehmen haben in Russland 650 und in der Ukraine 200 Niederlassungen. Bisherige Sanktionen gegen Moskau kosteten ihnen jährlich rund 400 Millionen Euro an Wertschöpfung. Nun sind neue, weitaus härtere Strafmaßnahmen geplant.

Für die Metallverarbeitungs- und Maschinenbauindustrie ist der Krieg in der Ukraine der blanke Horror. Russland gehört für die wichtigste Industriebranche Österreichs zu den Top Ten der Exportpartner, das Exportvolumen belief sich allein 2020 auf 800 Millionen Euro. Es ist damit bedeutender als für das Gros anderer europäischer Länder. In den vergangenen Jahren haben sich die Wirtschaftsbeziehungen vertieft, warnt man beim Fachverband der Metalltechnischen Industrie.

Frage der Finanzierung

Als essenziell sehen Branchenkenner die Finanzierung in Russland, die nun kaum noch zu stemmen sein werde. Projektfinanzierungen waren längst problematischer als die eigentlichen Sanktionen. Der Bau von Wasserleitungen und Bewässerungsanlagen werde ebenso undurchführbar wie Projekte mit Kunststoff- und Metallrohrleitungen, die von österreichischen Unternehmen ausgeführt werden.

Schon der wirtschaftliche Einbruch im Zuge der ersten Sanktionswelle nach der Krim-Annexion durch Russland sei drastisch gewesen. Die weitere Verschärfung werde die von mittelständischen Betrieben geprägte Branche hart treffen. Aus der Ukraine wird jährlich Stahl um 18 Millionen Euro bezogen.

Die Stahlindustrie ist in Donezk zu Hause, Probleme sind programmiert. Im Lichte der Lieferkettenprobleme lasse sich dieser Import auch nicht so einfach diversifizieren.

Die Ukraine selbst ist ein wichtiger Markt für Österreich. Das Exportvolumen der metalltechnischen Industrie wird auf 130 Millionen Euro taxiert, allen voran die Beschlagsindustrie, Maschinenbau mit Landmaschinen, Nahrungsmittelmaschinen und Bautechnik.

Andritz hat vergangene Woche alle internationalen Mitarbeiter aus der Ukraine herausgeholt. Das Geschäftsvolumen in Russland und der Ukraine betrage drei Prozent des Gesamtumsatzes, rechnet ein Sprecher vor. Das Zahlungsrisiko bei größeren Aufträgen sei durch Exportfinanzierungsagenturen abgesichert.

Porsche auf Notbetrieb

Die Salzburger Porsche Holding, Generalimporteur des VW-Konzerns, hat Geschäftstätigkeiten ihrer Tochtergesellschaften in der Ukraine auf Notbetrieb umgestellt.

Der Salzburger Kranerzeuger Palfinger ist in Russland mit drei Werken und zwei Joint Ventures vertreten, in der Ukraine mit Vertriebsniederlassungen. "Alle eigenen Mitarbeiter, die wir in der Ukraine hatten, haben wir zurückbeordert", sagt CEO Andreas Klauser.

In Russland beschäftigt er 1300 Mitarbeiter. Den Anteil der dortigen Produktion am Gesamtumsatz des Unternehmens von 1,84 Milliarden Euro beziffert er mit sechs bis sieben Prozent. Man fahre "auf sehr kurze Sicht".

Gaslieferungen laufen nach Plan

Eine starke und langjährige Verbindung mit Russland hat Österreichs größtes Industrieunternehmen, die OMV. Hier sind in erster Linie Gaslieferungen zu nennen. An die 80 Prozent des österreichischen Bedarfs, der zwischen acht und neun Milliarden Kubikmeter pro Jahr schwankt, kommt per Pipeline aus dem Osten. Österreich war das erste Land in Westeuropa, das 1968 einen Liefervertrag mit Russland abgeschlossen hat. Zahlreiche weitere sind gefolgt, sie sind erst vor knapp vier Jahren bis 2040 verlängert worden. "Die Lieferungen verlaufen korrekt nach Vertrag", sagte ein OMV-Sprecher am Donnerstag.

Der zweite Konnex zu Russland ergibt sich über Nord Stream 2, die umstrittene und mittlerweile auf Eis gelegte Ostseepipeline. OMV hat das federführend von der russischen Gazprom durchgezogene Leitungsprojekt als einer von fünf westlichen Finanzierungspartnern mit knapp 730 Millionen Euro unterstützt. Im vergangenen Jahr hat es erstmals Zinszahlungen von russischer Seite gegeben. Wie dies bei einem Abschneiden Russlands vom internationalen Finanzsystem, das im Raum steht, funktionieren soll, steht in den Sternen. Eine Entscheidung, wie mit der Finanzierungssumme umgegangen wird, steht seitens der OMV noch aus.

Der dritte Anknüpfungspunkt zu Russland ist das Gasfeld Juschno Russkoje, an dem sich die OMV 2017 für umgerechnet 1,7 Milliarden Euro zu knapp einem Viertel beteiligt hat. Damit kam OMV in den Besitz von förderbaren Reserven in Höhe von 580 Millionen Fass (159 Liter) Öläquivalent. Ein weiterer geplanter Einstieg in ein Gasfeld, Achimov, der bereits vor einiger Zeit auf Eis gelegt worden ist, dürfte nicht zuletzt durch die jüngste Aggression Russlands endgültig vom Tisch sein. In der Ukraine ist die OMV nicht engagiert.

Embargo für Lebensmittel?

Aber auch Unternehmer wie Erwin Kotányi sind nervös. Der österreichische Gewürzhersteller ist in Russland in seiner Branche im Lebensmittelhandel Marktführer. 50 Millionen Umsatz hat er dort zuletzt verbucht, ein Viertel des Gesamtgeschäfts. 100 Mitarbeiter von Moskau bis Nowosibirsk steuern den Vertrieb an Ort und Stelle. Die Logistik über die Ukraine und Weißrussland war bereits seit längerem gestört. Am Donnerstag liefen die Telefone bei Kotányi heiß, um Exporte über andere Grenzübergänge zu ermöglichen.

Kotányi hofft, mit seinen Waren auf keiner Embargoliste zu landen, zumal Gewürze nicht von strategischem Interesse seien. Kopfzerbrechen bereitet ihm die massive Abwertung des Rubels. Diese verteuere seine Produkte erheblich, was wiederum hart auf die Wertschöpfung in Österreich durchschlage.

Je nach Lage und Situation passt Agrana die Produktion im Werk Vinnitsa, 300 Kilometer südwestlich von Kiew, an. 550 Mitarbeiter verarbeiten dort Früchte. In Serpuchow in Russland sind 280 Leute beschäftigt. Von Sanktionen sieht man sich nicht bedroht, da man bei Rohstoffen auf Nicht-EU-Länder wechseln könne, also Kirschen aus Serbien statt aus Polen, Pfirsiche aus Asien statt aus Spanien.

Ein schwarzer Tag

Für die Raiffeisen Bank International war es ein schwarzer Tag. Das Kreditinstitut ist sowohl in der Ukraine selbst, als auch in Russland und Belarus stark engagiert. Die RBI-Tochter in Russland zählt laut der Zentralbank in Moskau zu den 13 systemrelevanten, also besonders großen Instituten im Land. Die RBI hat allein in Russland eine Bilanzsumme von mehr als 18,7 Milliarden Euro, die Bank verfügt in Russland über 132 Geschäftsstellen mit 9300 Mitarbeitern. Auch in der Ukraine ist die Raiffeisen Bank Aval eine Lokalmacht: Mit 390 Geschäftsstellen und gut 4000 Mitarbeitern zählt sie zu den zehn größten Instituten.

Für die Raiffeisen ergeben sich mehrere Probleme aus dem russischen Überfall auf die Ukraine: Fast die Hälfte ihres Gewinnes von 1,372 Milliarden Euro erwirtschaftet die RBI in den drei genannten Ländern. Die börsennotierte RBI gehört zu fast 59 Prozent ihrerseits den Raiffeisen-Landesbanken, die wesentlich von den Dividenden der Mutter profitieren. Damit könnte der Ukraine-Krieg also auch Landesbanken zusetzen.

Schuldnern fehlt Geld

Sogar wenn westlichen Sanktionen und russischen Gegenmaßnahmen die RBI nicht direkt treffen sollten, wird der Krieg in der Ukraine zum Problem für die Bank. Angesichts der Krise werden viele Schuldner ihre Darlehen nicht abzahlen können wie sonst.

Sollten die Sanktionen die RBI direkt treffen, wird es noch heikler. Die RBI ist an sich gut kapitalisiert, sie hat über die vergangene Jahre Polster aufgebaut. Auf die russische Tochter entfallen allein 2,4 Milliarden Euro oder rund 18 Prozent des gesamten Eigenkapitals. Mit welchem Wert die RBI ihre Moskauer Tochter in den Büchern stehen hat, wird nicht veröffentlicht. An der Börse wurde RBI-Aktien dennoch verkauft: Die Aktie fiel im Tagesverlauf am Donnerstag um 18 Prozent. Einen solchen Absturz gab es seit der Finanzkrise nicht mehr. (Verena Kainrath, Günther Strobl, András Szigetvari, Luise Ungerboeck, 25.2.2022)