Der Kommunikationswissenschafter Thomas R. Schmidt geht im Gastblog dem Rassismus im US-amerikanischen Journalismus nach.

Seit jeher verfolgt der amerikanische Journalismus hehre Ziele: Er sieht sich als Verteidiger der Wahrheit gegenüber den Mächtigen ("speak truth to power"), er will die Machteliten zur Verantwortung ziehen ("hold the powerful accountable"), er will den Bequemlichen zusetzen und die Geplagten trösten ("afflict the comfortable and comfort the afflicted"). Er sieht sich als Verteidiger der Demokratie, Hüter der Gerechtigkeit und Bewahrer der Gemeinschaft. Doch hinter all der idealistischen Rhetorik versteckte sich nur allzu lange eine hässliche Realität. Angesichts der strukturellen Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerung war der Journalismus vor allem eines: ein willfähriger oder gar williger Komplize.

Weißer Mainstream-Journalismus

Es begann mit der ersten regelmäßig erscheinenden Zeitung, dem "Boston News-Letter", der nur einen Monat nach seinem ersten Erscheinen im Jahr 1704 eine Anzeige für zwei versklavte, afroamerikanische Männer sowie eine Frau und ihr Kind beinhaltete. Der Herausgeber agierte als Zwischenhändler. Es ging weiter nach dem Bürgerkrieg, als Zeitungen in den Südstaaten die weiße Bevölkerung aufhetzten, um eine lokale, von Afroamerikanern geführte Regierung zu stürzen (Wilmington, North Carolina 1898) oder sich an Lynchmorden zu beteiligen. "Die weiße Presse in den Südstaaten", schreibt etwa der "New York Times"-Journalist Brent Staples, "spielte eine Rolle in dem rassistischen Terror im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert, in dessen Folge tausende von AfroamerikanerInnen gehängt, verbrannt, ersäuft oder zu Tode geprügelt wurden."

Erst mit der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er-Jahren zeigte der weiße Mainstream-Journalismus Interesse daran, die Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung zu thematisieren. Doch selbst diese Berichte über Attentate und Bombenanschläge, Polizeigewalt und rassistische Morde verstellte die Sicht auf strukturelle Versäumnisse im ganzen Land, nicht nur im Süden. Als im Jahr 1968 nach der Ermordung von Martin Luther King Unruhen in hunderten Städten ausbrachen, wurde die sogenannte Kerner Kommission eingesetzt, um die Ursachen von Ungleichheiten aufgrund der Hautfarbe systematisch zu erfassen. Die Presse, so stellte die Kommission fest, habe in ihrer Verantwortung versagt, die Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen mit Klugheit, Sensibilität und Expertise darzustellen. Noch dreißig Jahre später schrieb die Journalistin und Wissenschafterin Pamela Newkirk, dass amerikanischer Journalismus auf einer Ideologie der weißen Überlegenheit fuße.

Rassistische Berichterstattung der Vergangenheit

Diese Rolle wird erst seit kurzem in der öffentlichen Debatte aufgearbeitet. Renommierte Zeitungen wie die "Los Angeles Times," der "Kansas City Star" oder der "Orlando Sentinel" veröffentlichten Erklärungen, in denen sie sich für die rassistische Berichterstattung in der Vergangenheit entschuldigten. Zusätzlich verstärkt wurde diese Entwicklung, nachdem vor zwei Jahren der Afroamerikaner George Floyd von einem weißen Polizisten in Minneapolis ermordet wurde. Im Anschluss an Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus mussten sich auch Medienunternehmen intensiver mit der eigenen Verantwortung auseinandersetzen. Beispielhaft dafür ist der angesehene "Philadelphia Inquirer". Dieser hatte sich allerdings auch noch ein blamables Versagen geleistet.

"Buildings Matter, Too" (Gebäude sind auch von Bedeutung) titelte das Blatt in Anspielung an die Black-Lives-Matter-Bewegung, als es zu Zerstörungen bei Protesten nach der Ermordung von Floyd kam. Diese Gleichsetzung von Menschenleben mit Gebäuden löste Entrüstung bei den afroamerikanischen Journalistinnen und Journalisten der Zeitung aus. "Wir sind es leid", schrieben sie in einem Beschwerdebrief, "dass wir die Bürde tragen, um diese Institution nach zweihundert Jahren gegen Widerstände in ein gleichberechtigtes Zeitalter zu führen." Der Protest hatte Erfolg. Der Chefredakteur musste seinen Hut nehmen, und die Zeitung erklärte, strukturellen Rassismus deutlicher zum Thema zu machen.

Vor kurzem nahm sich die Zeitung nun auch selbst in Visier. Sie beauftragte den preisgekrönten Journalisten Wesley Lowery mit einer Aufarbeitung ihrer Vergangenheit. Sein Urteil fiel eindeutig aus: Der "Inquirer" schreibt und schrieb vor allem für die weiße Bevölkerung in Philadelphia, obwohl eine relative Mehrheit der Stadt von Afroamerikanerinnen und Afroamerikanern bewohnt wird. In seinem ausführlichen Artikel mit dem Titel "Schwarze Stadt. Weiße Zeitung" hält Lowery fest, dass der "Inquirer" das Alltagsleben der afroamerikanischen Bevölkerung in Philadelphia weitgehend ignorierte. Ein Grund dafür: das Fehlen von schwarzen Journalistinnen und Journalisten. Bei einer internen Erhebung im Jahr 2020 stellte sich heraus, dass 74 Prozent der Belegschaft weiß waren und nur zwölf Prozent schwarz – in einer Stadt, deren Bevölkerung zu 40 Prozent aus Afroamerikanerinnen und Afroamerikanern besteht. Es sei bezeichnend gewesen, schrieb Lowery, dass an dem Tag, als George Floyd starb, nur ein einziger schwarzer Redakteur in der Nachrichtenredaktion anwesend war.

Bis heute ist der US-amerikanische Journalismus vor allem eines: weiß.
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Rechenschaft ablegen

Die Vergangenheitsbewältigung geht mittlerweile weit über den "Philadelphia Inquirer" hinaus. Allerorts ist die Rede vom "racial reckoning" in der Medienbranche, vom Rechenschaft-Ablegen angesichts der systemischen Ungleichbehandlung von Schwarzen und anderen Minderheiten im Journalismus. Angeführt von prominenten Journalistinnen und Journalisten wie Nikole Hannah-Jones und dem Autor Ta-Nehisi Coates geht es den Aktivistinnen und Aktivisten hierbei vor allem um einen institutionellen Wandel, damit Diversität und Inklusion keine Ausnahme bleiben, sondern zur Regel werden. Finanziert von privaten Stiftungen haben Jones und Coates dafür nun auch eine neue Plattform gefunden: Lehrstühle an der geschichtsträchtigen Howard University in Washington, der Vorzeigeuniversität für die afroamerikanische Elite. Sie wollen damit auch der afroamerikanischen Presse, die im Schatten des weißen Mainstreams zu einer der wichtigsten sozialen Institutionen der schwarzen Bevölkerung wurde, wieder Geltung und Öffentlichkeit verschaffen. (Thomas R. Schmidt, 1.3.2022)