Keine Fahrer, nur Passagiere: Selbstfahrende Autos scheinen so nah und sind doch noch so fern.

Foto: istock/anyaberkut

Es ist wohl einer der größten Träume, seit es Autos gibt: In ein Fahrzeug steigen, dem Autopiloten das Ziel diktieren und sich schnell und sicher an jeden beliebigen Ort bringen lassen – egal ob man müde, körperlich beeinträchtigt, beschwipst oder führerscheinlos ist. Es wäre eine Welt, in der es nur Passagiere und keine Fahrerinnen und Fahrer mehr gibt.

Doch der Durchbruch, den Unternehmen aus der IT- und Automobilbranche seit Jahren ankündigen, blieb bisher noch aus. Oberklasse-Fahrzeuge können zwar heute schon teilweise automatisiert fahren, doch im Wesentlichen handelt es sich dabei um bessere Spurhalteassistenten. Woran scheitert es derzeit noch?

Technologie: Autopiloten sind Schönwetterfahrer

Wer sich die Werbevideos von Tesla, der Google-Schwester Waymo oder Auto X ansieht, könnte meinen, dass die fahrerlose Autozukunft technisch schon längst die Startlöcher verlassen hat: Da fetzen autonome Fahrzeuge über Highways, überholen vorschriftsgemäß, bleiben an roten Ampeln stehen und befolgen offenbar alle Vorrangregeln – alles, ohne dass jemals ein Mensch Hand anlegen muss.

Insgesamt haben die fahrerlosen Autos schon Millionen an Kilometern Erfahrung gesammelt. Zu sogenannten Disengagements, also Situationen, in denen die automatische Steuerung versagt und der Mensch eingreifen muss, kam es bei manchen Unternehmen laut eigenen Angaben nur alle paar Zigtausend Kilometer. Fehlt den autonomen Autos also nur mehr der politische Startschuss?

Ganz so einfach ist es nicht. Um ihre Umgebung möglichst genau erfassen zu können, brauchen die selbstfahrenden Fahrzeuge eine Vielzahl von Sensoren: Während Kameras die Straßenmarkierung, Verkehrsschilder oder Ampeln erkennen, liefern Lidar- oder Radarsensoren Informationen über die genaue Position von anderen Verkehrsteilnehmern und Hindernissen.

Das funktioniert tatsächlich schon sehr gut – solange es nicht regnet, schneit und dunkel oder nebelig ist. Das macht die Autopiloten derzeit zu Schönwetterfahrern, die oft genau dann ihren Dienst verweigern, wenn man sie am dringendsten brauchen würde. Ob autonome Fahrzeuge bald unterwegs sein werden, hängt zu einem großen Teil an den Entwicklungen der Sensortechnik.

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: GM via REUTERS

Infrastruktur: Muss Wien Chicago werden?

Bisher wurden selbstfahrende Autos vor allem in den USA getestet. Dort verlaufen die Straßen oft gleichmäßig im Schachbrettmuster, sind für große Trucks dimensioniert, es gibt weniger Radfahrer und Fußgänger als etwa in Europa. Ein autonomes Fahrzeug sollte aber idealerweise in einer verwinkelten italienischen Kleinstadt ebenso funktionieren wie im Verkehrschaos von Hanoi.

Muss Wien deshalb Chicago werden, damit fahrerlose Autos hier eine Chance haben? Keinesfalls, aber die Infrastruktur wird in Zukunft wohl mitspielen müssen. Diese ist nämlich derzeit auf Menschen ausgerichtet – und die Grundregel, dass Computer sich mit für Menschen selbstverständlichen Aufgaben schwertun (und umgekehrt), bestätigt sich auch beim autonomen Fahren.

So zeigen Studien, dass sich Spurhalteassistenten, wie es sie heute schon gibt, leicht durch wechselnde Bodenmarkierungen verwirren lassen. Auch Verkehrsschilder und Ampeln müssen autonome Fahrzeuge erst aufwendig mithilfe von Kameras erkennen, um ihre Bedeutung zu verstehen.

Statt Farbe auf der Straße könnten in Zukunft unsichtbare, in die Straße eingelassene Transmitter Fahrzeuge darüber informieren, wo die Straße anfängt und wo sie aufhört. Ampeln und Schilder würden ihre Bedeutung ebenfalls in maschinenlesbarer Sprache direkt an das Auto senden.

Doch dafür müsste man sich zuerst auf einen FunkStandard einigen, der auch für die Kommunikation von Fahrzeugen untereinander, etwa um sich vor Gefahren zu warnen, relevant wäre. Derzeit gilt 5G als heißer Kandidat – während andere das Netz, das gerade erst aufgebaut wird, bereits als zu langsam ansehen.

In einer fernen Zukunft, in der autonome Fahrzeuge der Standard sind, würde unsere Infrastruktur jedenfalls ganz anders aussehen: Weil die Autopiloten exakter lenken, könnten Straßen schmäler sein und – weil die Fahrzeuge näher auffahren könnten – auch weniger Spuren haben. Weil Autos auf Kommando auch leer fahren könnten, müssten die Parkplätze zudem nicht mehr in Wohn- oder Arbeitsnähe gebaut werden.

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Autos von Unternehmen wie Waymo, Tesla oder Cruise haben bereits Millionen Kilometer gesammelt.
Foto: Reuters/Heather Somerville

Ethik: Wer darf leben?

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen hinter dem Steuer eines Autos, das mit vollem Karacho auf vier Erwachsene und ein Kind zufährt, welche bei Rot die Straße überqueren. Selbst mit Vollbremsung ginge sich das nicht mehr aus – aber Sie könnten das Auto gegen eine Leitplanke aus Beton lenken, was wiederum Ihr eigenes Leben und das der Insassen beenden könnte.

Entscheidungen wie diese müssen Versuchspersonen in der "Moral Machine", einem Online-Experiment des Massachusetts Institute of Technology (MIT), treffen. Die Forschenden wollen herausfinden, wie Menschen in Extremsituationen handeln. Egal, wie sie sich entscheiden – es gibt kein Richtig und kein Falsch. Sollten wir tatsächlich in eine solche Situation kommen, handeln wir spontan.

Eine Maschine kennt allerdings keine Spontaneität und keinen Affekt, sondern befolgt Anweisungen im Code. Wie diese Anweisungen aussehen sollen, wird wohl für immer eine unzufriedenstellende Lösung sein. Trotzdem müssen einheitliche Regeln her – auch um zu verhindern, dass ein VW Polo anders handelt als ein Audi A8 oder ein autonomer Lkw oder Schulbus.

Doch nicht bei jedem Dilemma, das selbstfahrende Fahrzeuge aufwerfen, geht es um Leben und Tod. In Zukunft würde auch die Routenführung automatisch bestimmt werden, wobei jedes Fahrzeug eine andere Route zugewiesen bekommt, um Staus zu vermeiden. Doch wer entscheidet, welches Auto den schnelleren Weg nehmen darf?

Bild nicht mehr verfügbar.

Das vollkommen autonome Auto, wie hier auf einem Konzept von GM, ist noch weit entfernt.
Foto: GM via REUTERS

Der Mensch: Zwischen Angst und Überschätzung

Doch angenommen, alle technischen, ethischen und rechtlichen Hürden wären ausgeräumt: Würden wir diesen Gefährten überhaupt trauen? Umfragen zeigen, dass es noch Vorbehalte gegen autonomes Fahren gibt.

Doch konfrontiert man Menschen mit der Technologie, nehmen diese oft schnell ab, sagt Martin Baumann. Er forscht an der Universität Ulm zur Psychologie des autonomen Fahrens. Experimente hätten gezeigt, dass Menschen dazu neigen, dem System im Laufe der Zeit immer mehr zu vertrauen und dessen Ratschläge ungeprüft zu befolgen. Auf Youtube kursieren etwa bereits Videos, in denen Insassen während der Fahrt schlafen oder sich auf die Rückbank zurückziehen.

Bei der fünften und letzten Stufe des autonomen Fahrens würde es gar kein Lenkrad mehr geben – doch diese ist noch absolute Zukunftsmusik. Bei allen Abstufungen davor müssen Menschen aber eingreifen können – je nach Autonomiegrad unterschiedlich schnell. Man wisse aus anderen Bereichen der Psychologie, dass Menschen sehr schlechte Dauerüberwacher sind, sagt Baumann. "Sie können auch nicht jemanden acht Stunden vor den Röntgenscanner am Flughafen setzen, weil die relevanten Ereignisse sehr, sehr selten sind", so der Psychologe.

Derzeit experimentiert man deshalb damit, den Innenraum je nach Sicherheit der Automatik in unterschiedliche Farben zu tauchen. Grünes Licht würde bedeuten, dass der Autopilot einwandfrei funktioniert, bei Orange wäre Vorsicht angebracht, bei Rot müsste Fahrerin oder Fahrer eingreifen. So müsste der Blick nicht immer auf dem Armaturenbrett weilen.

Auch die Kommunikation zwischen autonomem Auto und anderen Verkehrsteilnehmern wirft Probleme auf: Kinder lernen heute von klein an, dass der Augenkontakt zum Autofahrenden beim Queren einer Straße essenziell ist. Aber was, wenn dieser in Zukunft gerade ein Buch liest oder gar schläft? Dann müssten Fußgänger und Auto auf andere Art kommunizieren.

Gleichzeitig dürften aber autonome Fahrzeuge nicht immer nachgeben. Als Beispiel nennt Baumann das Treiben zur Mittagszeit auf einer Straße zwischen Universität und Mensa. Würde der Autopilot bei jeder querenden Person stehen bleiben, würde die Passage beinahe ewig dauern. "Manchmal muss sich auch das Fahrzeug durchsetzen und nicht nur defensiv warten", sagt Baumann. (Philip Pramer, 6.3.2022)