Corona-Maßnahmenkritik und Verschwörung liegt oft nahe beieinander – nun mischt sich dazu in vielen Fällen auch noch Russland-Fantum.

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"Vergessen Sie nicht, dass Sie von genau den selben Medien über die russische Invasion informiert werden, die Sie auch über Covid informiert haben", hat ein Facebook-Account kürzlich auf sein Profil gepostet. Der Account kommentiert auch – mit fragwürdiger Rechtschreibung und Grammatik – unter österreichische Zeitungsartikel, und verteidigt dort die "russische Sonderoperation". Allein schon das Wording verdeutlicht: Da wird Putins Euphemismus für Krieg blind übernommen, da wird Wahrheit verdreht.

Ein Blick in einschlägige Corona-Telegram-Gruppen und auf die Postings unter Artikeln zum Krieg in der Ukraine zeigt recht rasch: Die Überschneidung zwischen Maßnahmen-Skeptikerinnen und Russland-Fans ist recht groß. Drei Thesen, woran das liegen könnte.

These eins: Russische Trolle schwenken nun um

Schon im März 2020, zu Beginn der Pandemie, berichteten mehrere Medien über ein Dokument, in dem es heißt, Russland habe eine "bedeutende Desinformationskampagne" gegen den Westen gestartet, um die Auswirkungen des Coronavirus zu verschlimmern, Panik zu erzeugen und Misstrauen zu säen. Der Kreml wies die Vorwürfe zurück.

Dass er in der Lage ist, breit angelegte Desinformationskampagnen zu starten, wurde allerdings schon in Studien zur US-Wahl 2016 belegt: Dabei wiesen Forscherinnen und Forscher nach, dass tausende Fake-Accounts aus einer russischen Trollfabrik "der Republikanischen Partei und insbesondere Donald Trump nutzen wollen". Dass diese Trolle – also Accounts, die gegen Bezahlung Meinung verbreiten – nun ihre Inhalte schlichtweg ändern, nachdem sie schon einmal in so vielen Gruppen präsent sind, wäre nicht verwunderlich. "Wir wissen aus Untersuchungen, dass russische Trolle in Online-Medien versuchen, das Meinungsklima pro Putin zu beeinflussen", sagt dazu die österreichische Digital-Expertin Ingrid Brodnig.

Doch wie erkennt man, ob eine Nachricht von einer echten Person oder von einem Troll verbreitet wird? Nur schwer. "Wenn ein Account auffälliges Verhalten zeigt", sagt Broding, "also dass er beispielsweise öfters den Usernamen ändert oder die Location in seinem Profil wechselt, kann das ein Hinweis sein, dass hier jemand ein professioneller Troll ist." Solche Verhaltensmuster seien bei Accounts aufgefallen, bei denen man davon ausgeht, dass sie Pro-Kreml-Trolle sind.

These zwei: Viele informierten sich schon vorher bei russischen Quellen

Beim Blick in Telegram-Gruppen fällt auch auf, dass die deutsche Seite von RT (Russia Today) häufig als Beleg für diverse Aussagen verwendet wird – sowohl zur Ukraine, als auch, was Maßnahmenkritik betrifft. RT wiederum gilt als Propagandamaschine des Kremls, laut dem Thinktank Institute for Strategic Dialogue (ISD) soll Russland allein im vergangenen Jahr 1,2 Milliarden Euro in die Verbreitung seines Programms gepumpt haben.

Das heißt freilich nicht, dass jeder Link von RT durch einen Troll verbreitet wird. Es kann auch bedeuten, dass jene, die sich erst bei russischen Quellen über die Pandemie informierten, sich nun auch bei russischen Quellen über den Krieg informieren. Wenn ein Online-Account nichts anderes macht als über Themen zu posten, "die für Russland politisch relevant sind", dann ist das laut Brodnig zwar ein Warnsignal, aber kein Beweis dafür, dass das kein echter Mensch sei. "Es gibt tatsächlich Menschen, die sehr viel auf Medien im russischen Staatsbesitz mitlesen und diese Sichtweisen online auch eigenständig verbreiten".

Abgesehen davon ist längst bekannt, dass die Corona-skeptische Szene von Rechtsextremen, Verschwörungstheoretikern und Verschwörungstheoretikerinnen unterwandert und instrumentalisiert wird. Und dort, so Brodnig, seien eben viele Meinungsführer schon lange Putin-affin – "sie zeigen auch derzeit auffällig viel Verständnis für Russlands Invasion."

These drei: Themen werden geändert, um Leute bei der Stange zu halten

Was zur dritten These führt: Nachdem die Corona-Maßnahmen demnächst defacto fallen, und auch wegen der Impfpflicht bisher keine Person Strafe zahlen musste, könnte bei den Corona-Skeptikerinnen und -Skeptikern langsam das Feuer ausgehen. Das ist auch bei den Demos sichtbar: Noch vor wenigen Wochen waren da Samstags in Wien 40.000 Menschen auf der Straße, nun sind es nur noch wenige Tausend, wie auch die Polizei dem STANDARD bestätigt.

Neue Themen müssen also her. So etwa in der Telegram-Gruppe der Corona-Querfront, die sich rund um den verurteilten Neonazi Gottfried Küssel formiert hatte. Dort wird zum Beispiel ein Posting geteilt, in dem es um einen Mann namens Bernie Gores geht. Der vermeintliche Journalist wurde laut Screenshots schon in Afghanistan von den Taliban hingerichtet und nun auch laut einem angeblichen Account von CNN Ukraine im Krieg umgebracht. Nur: Das erstgenannte Posting wurde schon vor Monaten als Fake identifiziert, und auch beim zweitgenannten gibt es Gründe an der Echtheit zu zweifeln. Der angebliche Twitter-Account von CNN-Ukraine wurde erst im Februar 2022 erschaffen und ist mittlerweile gelöscht, wie eine einfache Archiv-Recherche zeigt.

Doch der Eindruck bleibt: Da werden Lügen verbreitet, und zwar von offiziellen Medien. Das schürt das Feuer. So finden sich auch Postings von Corona-Demos-Rädelsführer Martin Rutter, der sich mit der Neutralität Österreichs auseinandersetzt und Österreich in dem Zusammenhang als "Schoßhündchen von Great Reset und EU/USA/NATO" sieht. Oder Inhalte der neuen Parte MFG, in denen es zur Ukraine heißt: "Neutralität ja, Parteilichkeit nein".

Für Brodnig passt das ins Bild. Sie sagt: "Für die vehement Corona-skeptische Szene sind neue Themen eine große Chance". Die Szene brauche sie, um sich "als Minderheit zu inszenieren, die die Dinge besonders gut durchschaut hätte". Themen wie Russland – oder aber auch die Klimakrise – würden da eben dazu taugen, "ähnliche Feindbilder" weiter aufrecht zu erhalten. (Gabriele Scherndl, 26.2.2022)