Selbst gravierende Einschnitte wie die Corona-Pandemie haben auch ihre positiven Seiten. So rückte etwa die psychische Gesundheit in den Mittelpunkt, was auch ihren Stellenwert in der Gesellschaft steigerte.

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Zwei Jahre im Zeichen von Covid-19 haben mitunter tiefe Spuren hinterlassen. Die gravierenden Einschnitte und negativen Konsequenzen sind dabei besonders deutlich sichtbar. Doch es gibt auch positiven Effekte, die aus der Krise folgen.


Ein Scheinwerfer auf die Psyche

Mehr Probleme, aber auch mehr Hilfe

Angesicht der psychischen Lage der Nation mag es grotesk klingen, doch der Stellenwert der psychischen Gesundheit war noch nie so hoch wie heute. "Natürlich gibt es sehr viel zu tun, aber endlich ist angekommen, dass es keine körperliche Gesundheit ohne psychische Gesundheit gibt", sagt Beate Wimmer-Puchinger, Präsidentin des Berufsverbands Österreichischer Psycholog:innen. Anlass ist das Projekt "Gesund aus der Krise", ein Hilfspaket für die psychosoziale Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Umfang: 13 Millionen Euro. Den politischen Schulterschluss sieht die Psychologin als wichtigen ersten Schritt. Nun gelte es, weiter zu enttabuisieren. Das Positive der Pandemie sei, "dass wir seelische Not endlich sehen dürfen". Nicht offen mit psychischen Problemen umgehen zu können, sei eine große Hürde, um Hilfe bereitzustellen sowie Hilfsangebote anzunehmen.

Die starke psychische Belastung der Krisensituation stellt auch Traumaspezialist Andreas Maercker nicht in Abrede. Er schätzt allerdings, dass 95 Prozent der betroffenen Bevölkerung die einhergehenden psychischen Probleme überwinden werden, wenn die Pandemie vorübergeht. Für jene, die Unterstützung benötigen, müssen dann Hilfsangebote bereitstehen. "Als klinische Psychologinnen und Psychologen können wir sofort adäquate Hilfe leisten", sagt Maercker. Es brauche aber auch sichtbare niederschwellige Angebote. Ebenso dürfe die Aufmerksamkeit für die seelische Gesundheit nicht wieder verlorengehen.

Neben ersten Hilfspaketen hat die Krise auch den Einfallsreichtum vieler Fachkräfte und Forschender gezeigt. Am ersten Tag des ersten Lockdowns stellte ein Team der Universitätsklinik für Psychiatrie II an der Med-Uni Innsbruck Therapieanleitungen und selbstgedrehte Informationsvideos online. Kurze Zeit später war die App Help@Covid verfügbar. Sie soll auch den Mangel an leistbaren Therapieplätzen ausgleichen.


Raus aus dem Hamsterrad

Die Arbeitswelt neu denken und gestalten

Abrupter hätte der Bruch kaum sein können, den der erste harte Lockdown in etlichen Berufsbranchen verursachte. Wie eine Erhebung des Austrian Corona Panel Project zeigte, ließ dieser Einschnitt viele Österreicherinnen und Österreicher ihre Arbeitssituation überdenken. In einer im August 2020 publizierten Befragung äußerte mehr als die Hälfte der Teilnehmenden den Wunsch nach einer Arbeitszeitreduktion. 30 Prozent gaben an, ihre Arbeitswoche gar um einen Tag verkürzen zu wollen. "Kaum jemand, der im Zuge der Corona-Krise weniger gearbeitet hat, möchte in Zukunft seine Arbeitszeit erhöhen", schrieb das interdisziplinäre Forschungsteam der Uni Wien.

Die mit Corona einhergehenden Umbrüche kamen am Rande auch dem Klimaschutz zugute. 2020 fiel die Zahl geschäftlicher Flugreisen um mehr als 80 Prozent, und sie blieb auch 2021 unter dem Niveau der Vorkrisenzeit. Airlines prophezeien zwar die vollständige Erholung dieses Marktes, viele Unternehmen und Institutionen haben aber ihrerseits die Notwendigkeit mancher Flugreise überdacht. Auch in der Wissenschaft zeigten Videomeetings, dass die gemeinsame Arbeit an Publikationen oder das Abhalten von Fachkonferenzen auch virtuell zu bewerkstelligen sind.

Ob Gemüsekisterl oder Ab-Hof-Laden: Die Pandemie hat die Nachfrage nach regionalen Produkten gesteigert.
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Das Gute liegt oft nah

Regionalität hat an Stellenwert gewonnen

Bereits im Frühjahr 2020 war es oft ein Ding der Unmöglichkeit, noch ein zur Haustür geliefertes Gemüsekisterl zu erstehen. Dass sich regionale Produkte plötzlich immenser Beliebtheit erfreuten, wundert Christoph Teller von der Universität Linz nicht. "In Krisenzeiten suchen Menschen Nähe, das betrifft auch die Wahl von Produkten und Geschäften", sagt der Leiter des Instituts für Handel, Absatz und Marketing. Mit einer Analyse des Kaufverhaltens im März und April 2020 fassten er und sein Team den Trend zur Regionalität in Zahlen. Dafür fragten die Forschenden österreichische Konsumentinnen und Konsumenten zwischen 18 und 75 Jahren nach ihren aktuellen und zukünftigen Präferenzen im stationären und im Online-Handel.

Das Angebot regionaler Produkte werde stärker als in Vorkrisenzeiten bestimmen, in welchen Lebensmittelgeschäften eingekauft werde, so die Ergebnisse. Für 33 Prozent wird die Wahl österreichischer Betriebe auch beim Online-Einkauf eine größere Rolle spielen. "Der Wunsch nach Nähe überträgt sich nicht nur auf die Produkte, sondern meint auch die tatsächliche Distanz zum Geschäft oder Ab-Hof-Laden", sagt Teller. Was wir kennten, sei in der Krise besonders attraktiv, doch: "Nun muss sich zeigen, ob sich dieser Trend auch mittel- und langfristig halten wird."

Während der Lockdowns hieß das Motto und das Rezept für Erholung für viele Menschen: Raus in die Natur
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Der Wert grüner Erholungsräume

Wie uns die Pandemie die Natur näherbrachte

Die Wogen der Entrüstung gingen hoch, als im ersten Lockdown im März 2020 die Tore der Bundesgärten in Wien geschlossen blieben. Wer konnte, fuhr aufs Land, um Zeit im eigenen Garten oder in der Natur zu verbringen. Ein Zugewinn für die Psyche, wie etliche Studien belegen.

Naturkontakt beugt Depressionen und Schlafstörungen ebenso vor wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zeit im Grünen fördert den Abbau des Stresshormons Cortisol, senkt Blutdruck, Puls sowie Blutzuckerspiegel. Eine halbe Stunde Natur pro Woche könne die Zahl von Depressionen um sieben Prozent verringern, berechneten Forschende der University of Brisbane. Sogar der bloße Anblick grüner Umgebungen wirkt positiv: In Schule und Universität steigt dadurch die Konzentrationsfähigkeit, in Büros sinken die Klagen über Kopfschmerzen, Unwohlsein und Stress.

Wie sich der Stellenwert grüner Erholungsräume verändert hat, untersuchte ein Forschungsteam der Universität für Bodenkultur Wien. Der Fokus der Gruppe des Instituts für Landschaftsentwicklung, Erholungs- und Naturschutzplanung lag dabei auf Wien und den Umlandgemeinden. Knapp 70 Prozent der Befragten gaben an, dass es für sie seit Beginn der Sars-CoV-2-Pandemie wichtiger geworden sei, Zeit im Grünen und in der Natur zu verbringen. Rund 90 Prozent empfinden den Aufenthalt in Grünräumen als wichtig oder sehr wichtig für ihre mentale Gesundheit. Zwar verbringen die Menschen im Schnitt nicht mehr Zeit in der Natur als vor der Pandemie, "aber sie messen dem Aufenthalt in Grünräumen eine andere Bedeutung bei", schreiben die Forschenden. Ihre Studie zeige, dass vielen Menschen in der Pandemie der Stellenwert von Grünräumen und Freiräumen in Wohnortnähe für Erholung und Gesundheit bewusst wurde.

Die Pandemie hat die Hemmschwelle der Nutzung digitaler Gesundheitsangebote sinken lassen.
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Innovationen und Revolutionen

Vormarsch der digitalen Medizin

Gurgeln vor der Laptop-Kamera oder QR-Codes zwecks Registrierung scannen: Viele gesundheitlich relevante Angebote erlebten durch die Pandemie einen Digitalisierungsschub. Ersten Befürchtungen zum Trotz zogen weite Teile der Gesellschaft bei zahlreichen digitalen Gesundheitsangeboten mit.

Covid-19 wirke als Beschleuniger der digitalen Gesundheit, hielt ein deutsches Forschungsteam im Dezember 2021 fest. "Der Einsatz modernster Technologien wird in den folgenden Jahren Routinediagnostik und Therapieansätze revolutionieren", schreibt die Gruppe, die darin positive Vorzeichen für die Medizin der Zukunft sieht.

Die nötige gesellschaftliche Akzeptanz sei nun gefestigt. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz und Big Data sei ein Meilenstein im Aufbau digitaler und intelligenter Gesundheitssysteme. Dadurch bleibe mehr Zeit für Gespräche zwischen medizinischem Personal und Patientinnen und Patienten, was wiederum das Vertrauen in die Medizin stärke. Bis 2025 werde sich darüber hinaus die Zahl digitaler Gesundheitsangebote verdoppeln. Auch medizinische Remote-Systeme wie Online-Sprechstunden kämen der Patientenschaft vielfach entgegen. (Marlene Erhart, 3.3.2022)