Nur wenige Stunden nach dem Angriff russischer Truppen auf die Ukraine hat die westliche Welt in breiter Front auf den von Präsident Wladimir Putin geführten Angriffskrieg reagiert. USA, Großbritannien, die G7 und die 27 Mitgliedsländer der Europäischen Union setzten ein vorbereitetes Paket harter Wirtschaftssanktionen in Gang.

Bei den Europäern ist die Diplomatie zwar in Schockstarre wegen des ungeheuerlichen Bruchs des Völkerrechts. Daneben liefen jedoch umfassende humanitäre Maßnahmen für die Leidtragenden des Krieges und die ersten ankommenden Flüchtlinge an. Immerhin.

Selbst asylfeindliche Länder wie das von Viktor Orbán geführte Ungarn sind bereit, großzügig Flüchtlinge aufzunehmen. Hilfslieferungen sind auf dem Weg. Regierungen der EU-27 überschlugen sich mit Solidaritätsadressen an die Regierung in Kiew und die 44 Millionen Menschen im umkämpften Land. Die Sanktionen gegen das Putin-Regime fielen nicht so stark aus, wie Präsident Wolodymyr Selenskyj erbeten hatte. Insgesamt, so scheint es, stehen die EU-Partner aber voll hinter der Ukraine.

Werden EU, Nato und USA alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um Putin am Erfolg zu hindern?
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Bedeutet das alles, dass "der Westen" die Ukraine als freies, demokratisches Land keinesfalls preisgeben will? Dass EU, Nato und USA alles in ihrer Macht Stehende unternehmen werden, um Putin am Erfolg zu hindern? Daran sind bereits jetzt Zweifel angebracht.

Putin will Land und Leute unterwerfen, die Regierung in Kiew durch ihm genehme Vasallen wie in Belarus ersetzen. Nur der britische Premier Boris Johnson sagte klipp und klar, dass der russische Präsident nicht gewinnen dürfe, man ihn aus der Ukraine vertreiben müsse. London ist auch zu Waffenlieferungen an die Ukrainer bereit.

Sicherheitspolitische Schwäche

Bei den EU-Staaten schimmert durch, dass sie sich im Grunde damit abgefunden haben, dass Russland über die Zukunft der Ukraine bestimmt – nicht das ukrainische Volk. Das Wichtigste, was ein Land für Widerstand gegen einen Aggressor brauchen würde, wäre militärische Hilfe. Die wurde lange verweigert, beim EU-Gipfel ist keine Rede davon.

Es ist diese prinzipielle militärische und sicherheitspolitische Schwäche der Europäer, die Putin nützt. Und das trifft sich ganz mit der Linie, die US-Präsident Joe Biden für sein eigenes Land wie auch für die Nato indirekt vorgegeben hat: Das transatlantische Militärbündnis schützt nur Mitglieder. Die USA würden keinesfalls Soldaten in den Kampf um die Ukraine schicken. Deshalb werden die gemeinsamen Truppenkontingente in den potenziell gefährdeten Nato-Staaten in Osteuropa aufgestockt. Die Ukraine hingegen bleibt auf sich allein gestellt.

Und Putin diktiert das Geschehen. Mitten im Angriff auf Kiew lud er Selenskyj zu Verhandlungen – nach Minsk, zu Alexander Lukaschenko! Eine makabre Volte des Ex-KGB-Agenten, der nun eine neutrale Ukraine ins Spiel bringt. Ohne dass es ausgesprochen wird, scheint aufseiten von EU und USA klar: Mit einem Nato-Beitritt des Landes, den die Ukrainer in der Verfassung als Ziel anstreben, ist es auf unabsehbare Zeit vorbei.

Das gilt auch für einen EU-Beitritt. Vor zehn Jahren hätte es vielleicht ein Fenster gegeben, der Ukraine einen echten Beitrittsprozess anzubieten. Das wollte man in der Gemeinschaft aber nicht. Deshalb wurde die "Östliche Partnerschaft" erfunden – für Nichtmitglieder. Jetzt ist es zu spät dafür. Putin wird sich freiwillig nicht mehr zurückziehen. (Thomas Mayer, 25.2.2022)