Lange wurde angenommen, das Material der Venus stamme aus der näheren Umgebung ihres Fundorts in Niederösterreich. Neue Analysen zeichnen ein anderes Bild.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Die Venus von Willendorf wurde aus Gestein gefertigt, das höchstwahrscheinlich aus Norditalien, womöglich aber auch aus dem Donezbecken in der Ukraine stammt, berichtet ein Team um Gerhard Weber vom Department für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien. Die Steinzeitjägerinnen und -sammler hatten demnach schon eine weite Fußreise mit der berühmten Figur zurückgelegt, bevor sie in der Wachau verloren ging und rund 30.000 Jahre später, im Jahr 1908, ausgegraben wurde. Die Studie wurde im Fachjournal "Scientific Reports" veröffentlicht.

Die knapp elf Zentimeter große Frauenfigur war wohl ein Fruchtbarkeitssymbol, das nicht nur in seiner Machart besonders ist, sondern auch was das Material betrifft. Während andere bekannte Venusfiguren meist aus Elfenbein oder Knochen, manchmal auch aus verschiedenen Gesteinen gefertigt sind, wurde für die Venus von Willendorf sogenannter Oolith verwendet, ein auch Eierstein genanntes poröses Sediment. Den Forschenden zufolge ist das einzigartig für solche Kultobjekte.

Venus im CT

Für die aktuelle Studie durchleuchtete das Forschungsteam die Venus nun mittels hochauflösender Mikro-Computertomografie (Micro-CT). "Wir entdeckten dabei, dass ihr Inneres sehr ungleichmäßig ist", sagt Weber. "Das ist eine besondere Eigenschaft, die man benutzen konnte, um ihre Herkunft zu bestimmen."

Micro-CT-Blick in die Venus: Links ist das Muschelfragment zu sehen (blau), das sich auf der rechten Seite des Kopfes der Figur befindet.
Foto: Gerhard Weber/Universität Wien

Zunächst konnten die Wissenschafterinnen und Wissenschafter durch einen glücklichen Zufall eine Herkunft aus dem Wiener Becken ausschließen, wo Oolithe vorkommen. Im Inneren der Venus entdeckten sie ein eingelagertes Stück Muschelschale. Dabei handelte es sich um ein zweieinhalb Millimeter kleines Fragment des Muschelschlosses, das Paläontologen zufolge charakteristisch für Muscheln aus dem Zeitalter des Jura ist, der vor 145 Millionen Jahre endete. Die Wiener Oolithe stammen dagegen aus dem Miozän und sind somit höchstens 23 Millionen Jahre alt.

Aufwendiger Vergleich

Im nächsten Schritt besorgten die Geologen Alexander Lukeneder und Mathias Harzhauser von der Geologisch-Paläontologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums (NHM) Wien, wo die berühmte Figurine ausgestellt ist, Vergleichsproben von 33 Steinbrüchen nicht nur in Österreich und Tschechien, wo man die Herkunft bisher vermutete, sondern auch aus weiter Ferne: von Frankreich im Westen bis zur Ukraine im Osten, von Deutschland im Norden bis Sizilien im äußersten Süden. In detektivischer Kleinstarbeit wurden die inneren Gesteinsstrukturen der Venus dann mit denen der anderen Proben verglichen.

"Dabei wurde die Größe der Körner vermessen, mehrere Tausend davon mit Bildverarbeitungsprogrammen automatisch oder manuell markiert und die Strukturen verglichen", schreibt das Forschungsteam. Schnell zeigte sich: Keine der Proben aus einem Umkreis von 200 Kilometern passte auch nur annähernd. Das gilt auch für eine Probe des 136 Kilometer von Willendorf entfernten Steinbruchs Stránská skála bei Brünn (Tschechien), der anhand von äußerlichen Vergleichen als Ursprungsort des Venusgesteins vermutet worden war. Weber zufolge stammt das Material definitiv nicht von dort.

Weiter Weg

Stattdessen stammt das Gestein mit großer Wahrscheinlichkeit aus der Nähe des Ortes Ala unweit des Gardasees in Norditalien, erklärt Weber. Die Proben von dort waren statistisch nicht von jenen der Venus zu unterscheiden. Demnach hat die Figurine, oder zumindest ihr Material, eine hunderte Kilometer weite Reise mitgemacht. Vermutlich hat diese Wanderung viele Jahre oder sogar Generationen gedauert, sagt Weber: Die damaligen Menschen waren Jäger und Sammler, die abhängig vom jeweiligen Klima und der Beutetiersituation von einem günstigen Standort zum nächsten zogen. "Vorzugsweise folgten sie den Flüssen", sagt der Wissenschafter.

Möglicherweise kam die Venus um die Alpen herum über die Pannonische Tiefebene in die Wachau. Es könnte aber auch über die Alpen entlang der Flussläufe der Etsch, des Inns und der Donau geschehen sein. Dieser Weg wäre zwar gut 730 Kilometer lang, würde aber größtenteils (außer einem kurzen Stück beim Reschensee) unterhalb von 1.000 Metern Seehöhe liegen.

Sollte der Venus-Ursprung doch nicht in Italien liegen, wäre die nächstpassende Alternative bei Isjum in der Ostukraine. Dieser Ort liegt aber 1.600 Kilometer Luftlinie von Willendorf entfernt, außerdem stimmen die dortigen Proben nicht so gut wie jene aus Italien mit dem Venusgestein überein, berichten die Forscher.

Blick ins Innere

Die Vergleichsanalyse brachte auch weitere Informationen über das Innenleben der Venus ans Licht: "Der Oolith besteht aus lauter kleinen, zusammenklebenden Steinchen", erklärt Weber. Die einzelnen Steinchen wiederum entstanden durch Kalkanlagerungen an winzige Körnchen. Durch die Jahrmillionen haben sich beim Venusgestein diese inneren Körnchen aufgelöst. Dadurch sei es sehr porös und leichter mit Stein- oder Knochenwerkzeug zu bearbeiten.

"Zwischen diesen Ooiden befinden sich in der Venus nebst Muschelresten auch sechs sehr dichte größere Körnchen, sogenannte Limonite", berichten die Forschenden. Bisher ebenfalls rätselhafte halbkugelförmige Vertiefungen an der Oberfläche der Figurine haben den gleichen Durchmesser wie die inneren Limonite. "Sie sind vermutlich dadurch entstanden, dass dem Schöpfer der Venus die harten Limonite beim Schnitzen herausgebrochen sind", sagt Weber. "Beim Nabel hat er dann offenbar aus der Not eine Tugend gemacht." (red, APA, 28.2.2022)