Es sah alles so normal aus, zum ersten Mal nach zwei Jahren Pandemie, nach all den digitalen Shows und Reisebeschränkungen. Die Temperaturen in Mailand frühlingshaft, die Stimmung zuversichtlich. 60 Modeschauen hatte die Camera della Moda für die Herbstkollektionen angesetzt, fast so viele wie vor Corona. Selbst Bottega Veneta und Gucci, die beiden wichtigen Kering-Marken, hatten sich nach einigen Saisonen Abwesenheit wieder brav eingereiht in den Modeschauenkalender.

Gucci tat sich mit der deutschen Sportmarke Adidas zusammen
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Doch dann war von einem Tag auf den anderen nichts mehr normal. In der Nacht vom 23. auf den 24. Februar marschierte Russland in die Ukraine ein. Ein Krieg in Europa –und viele aus der Branche fragten sich plötzlich: Können wir einfach so weitermachen? In den Social-Media-Netzwerken hissten Modejournalisten, Prominente und Influencerinnen reihenweise die ukrainische Flagge. Vor Ort ging die Modewoche weiter, kommentarlos. Auf den Laufstegen galt business as usual. Bis der 87-jährige Giorgio Armani in seiner Show am Sonntag den Ton abdrehte, "als Zeichen des Respekts". Die weitgehende Sprachlosigkeit der Marken und Luxuskonzerne, sie war erwartbar. "Made in Italy" ist in Russland gefragt, jährlich werden italienische Luxusgüter im Wert von rund 1,2 Milliarden Euro exportiert: Nach Corona fürchtet sich die Industrie nun vor den Einbußen, die den Sanktionen gegen Russland folgen werden. Gerüchte, dass sich Premier Mario Draghi für Ausnahmen starkgemacht haben soll, wurden dementiert.

Giorgio Armani reagierte auf die Geschehnisse in der Ukraine: Er drehte seiner Show am Sonntag den Ton ab.
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Doch nicht alle blieben still. In der Stadt waren Protestierende präsent, vor und nach den Schauen oder auf der Piazza del Duomo. Sie demonstrierten mit blau-gelben Flaggen, Blütenkränzen im Haar und Kartonschildern mit Statements wie "Stand with Ukraine" oder "No Putin". Die Branche hingegen war fest entschlossen, dort anzuknüpfen, wo man vor dem Virus aufgehört hatte. Und so waren aus den USA internationale Stars eingeflogen worden. Sharon Stone lächelte vor der Dolce-&-Gabbana-Show im Metropol-Theater in die Kameras, Kim Kardashian sorgte vor der Fondazione Prada für Gekreische, die hochschwangere Rihanna zeigte bei Gucci ihren blanken Babybauch.

Kim Kardashian besuchte die Show von Prada
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Das Zusammenrücken

Erstmals rückte man wieder enger zusammen, im wahrsten Sinne des Wortes. Sogar der vorsichtige Giorgio Armani, der vor genau zwei Jahren die erste Show ohne Gäste abgehalten hatte, hatte diesmal zusätzlich 400 Mitarbeiter in seine Schauen eingeladen, als Dank für ihr Engagement.

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Pastellfarben bei Emporio Armani
Foto: REUTERS/Alessandro Garofalo

Kaum ein Blatt Papier passte bei vielen Präsentationen zwischen die Gäste, so manche Maske wurde der Fotos wegen unter das Kinn geschoben. Viele Einkäuferinnen und Journalisten waren zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder nach Italien gereist, auch jene aus Russland.

Und so ließ sich die Branche all den Newstickern aus der Ukraine zum Trotz ablenken. Gleich zu Beginn zeigte der belgische Designer Glenn Martens für Diesel eine junge, dekonstruierte Jeans-Kollektion. Anlässlich seiner ersten Show während der Mailänder Modewoche flanierten die Models durch ein Set aus sich räkelnden, aufgeblasenen Puppen, natürlich in unterschiedlichen Körpergrößen.

Glenn Martens reanimiert die Denim-Marke Diesel
Foto: Diesel

Miuccia Prada und Raf Simons, deren Zusammenarbeit sich auch als ökonomisch erfolgreich erwiesen hat und ins zweite Jahr geht, ließen ihre Gäste in die moosgrünen Sessel, die normalerweise im Kinosaal der Fondazione stehen, sinken. Sie setzten auf ein tragbares Miteinander aus weißen Unterhemden, mit Federbüscheln besetzten Mänteln, breitschultrigen Sakkos und gegürteten, mit Blüten bestickten Bomberjacken und einsichtigen Schlauchkleidern.

Model Kaia Gerber eröffnete im Unterhemd die Show von Prada
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Reihenweise Unterleiberln

Das Spiel mit der Transparenz, auch bei Arthur Arbesser (mit fein gestrickten Röcken) oder Fendi (wo Höschen und BHs durch Kleider blitzten), war in Mailand ganz groß. Nicht nur Pradas Unterleiberln (und die Pyjama-Einladungen des Modehauses) signalisierten in Mailand eine neue Lust am fragilen Untendrunter: Domenico Dolce und Stefano Gabbana hatten ihren Einladungen als Appetithappen Strapse beigelegt.

Fein gestrickte Röcke bei Arthur Arbesser
Foto: Arthur Arbesser/ Henrik Blomqvist

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Blazer und Wäsche bei Dolce & Gabbana
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Über den Laufsteg schickten sie sowohl Blazer als auch schwarze Wäsche. Bei Fendi zeigte Designer Kim Jones Korsagenoberteile, Gucci tat sich mit der deutschen Sportmarke Adidas zusammen und verband die drei Streifen mit transparenter Spitze. Bei Marni geisterten angerissene Satinkleider, die Courtney Love gefallen könnten, durch die Dunkelheit einer Lagerhalle. Auch der Belgier Matthieu Blazy, der mit Spannung erwartete neue Kreativchef bei Bottega Veneta, schmuggelte in seinem Debüt Unterhemden und pastellfarbene Lingerie-Kleider zwischen Intrecciato-Elemente wie die ledergeflochtenen Overknee-Stiefel und Miniröcke. Mit der smarten Eleganz seiner Kollektion setzte er sich klar von der Coolness seines Vorgängers ab.


Ausflug in eine Lagerhalle mit Marni
Foto: giovanni_giannoni_photo

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Der Designer Matthieu Blazy feierte bei Bottega Veneta sein Debüt
Foto: AP Photo/Antonio Calanni

Es war dann Jeremy Scott, der bei Moschino zeigte, wie Eskapismus geht. Der Designer ließ in der Via Paresi das Schlafzimmer von Kubricks Science-Fiction-Klassiker 2001: Odyssee im Weltraum nachbauen.

Moschino-Designer Jeremy Scott betrat im Raumanzug den Laufsteg
Foto: MIGUEL MEDINA / AFP

Die Kollektion? Eine Aufeinanderfolge surrealer Einfälle. Zum Schluss betrat der Designer in einem Raumanzug das Set. So mancher Gast beneidete ihn drum. (Anne Feldkamp, 1.3.2022)