Bei der UN-Generalversammlung zum Thema Ukraine wird Israel "auf der richtigen Seite der Geschichte stehen": So kündigte die israelische Regierung im Vorfeld ihr Ja-Votum in New York für eine Verurteilung Russlands durch eine nichtbindende Resolution an.

Bisher hatte sich der engste Partner der USA im Nahen Osten im Ukraine-Konflikt ziemlich bedeckt gehalten. Zwar verurteilte Außenminister Yair Lapid erst einmal den russischen Einmarsch als "schwerwiegende Verletzung der internationalen Ordnung", und der israelische Botschafter wurde dafür ins russische Außenministerium einbestellt. Aber die ersten Statements von Regierungschef Naftali Bennett, in denen das Wort "Russland" nicht einmal vorkam, beschränkten sich auf die humanitäre Situation in der Ukraine, auf die Israel rasch mit Hilfslieferungen reagiert hat.

Eine israelische an der Seite einer ukrainischen Flagge bei einer Demo vor der russischen Botschaft in Tel Aviv am Samstag.
Foto: JACK GUEZ / AFP

Einer ausdrücklichen Aufforderung der USA auch an jene Staaten, die derzeit nicht im UN-Sicherheitsrat sitzen, eine Russland-kritische Resolution zu unterstützen, kam Israel vergangenen Freitag nicht nach. Die Sicherheitsratsresolution war ja, wie vorauszusehen, am Veto Moskaus gescheitert.

Am Sonntag bot Premierminister Bennett in einem Telefonat mit Wladimir Putin jedoch seine Dienste als Vermittler zwischen Moskau und Kiew an: Das gab der Kreml nach dem 45-minütigen Gespräch bekannt. Dass sich Israel einschaltet, ist ein wiederholt vorgetragener Wunsch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

Israelisches Syrien-Dilemma

Tatsächlich hat Israel einen guten Draht zu beiden Seiten – und befindet sich in einer Zwickmühle. Da sind erstens die großen jüdischen Gemeinden und zahlreiche israelische Staatsbürger beziehungsweise Doppelstaatsbürger sowohl in der Ukraine als auch in Russland. Vor allem aber hat Israel, wie es manchmal ausgedrückt wird, "eine Grenze zu Russland": Gemeint ist jene zu Syrien, wo nur die russische Intervention ab 2015 den syrischen Machthaber Bashar al-Assad vor dem Sturz gerettet hat.

An der Seite Assads in Syrien stehen aber auch der Iran und zahlreiche vom Iran gesponserte Milizen, allen voran die libanesische Hisbollah. Gegen den Transfer von Waffen – besonders von Raketen – vom Iran an die Hisbollah auf syrischem Boden geht Israel regelmäßig mit Luftschlägen vor, zuletzt in der Nacht zum 23. Februar. Damit soll verhindert werden, dass sie in den Libanon transportiert werden und von dort aus Israel bedrohen.

Dazu braucht es die Kooperation Russlands. Die Russen kritisieren zwar hin und wieder die "Verletzung der syrischen Souveränität" durch Israel, gleichzeitig erkennen sie aber auch immer wieder explizit die israelischen Sicherheitsbedürfnisse an. 2018 kam es zu einem schweren Zwischenfall, als die syrische Luftwaffe während eines israelischen Militärschlags versehentlich ein russisches Militärflugzeug abschoss.

Russland hat in Latakia an der Mittelmeerküste sein Raketenabwehrsystem S-400 installiert, das den Syrern jedoch nicht zur Verfügung steht. Am Wochenende versicherte der russische Botschafter in Israel, dass die Abstimmung zwischen der israelischen Luftwaffe und dem russischen Militär in Syrien ungetrübt weitergehen werde.

Kein "Iron Dome" für die Ukraine

Israel hat laut israelischen Medien vergangenes Jahr auch US-Pläne vereitelt, die Ukraine mit dem "Iron Dome" auszustatten: Da es sich bei diesem Raketenabwehrsystem um eine US-israelische Kooperation handelt, bedarf es der Zustimmung beider Staaten. Israel hat sie verweigert. Die israelische Rücksicht auf Russland war jedoch auch bereits anlässlich der Krim-Invasion und -Annexion 2014 zu sehen: Auch damals gab es keine israelische Verurteilung.

Von dem früheren amerikanischen Nahost-Vermittler Martin Indyk war in den vergangenen Tagen ein kritischer Aufruf an Israel erfolgt: Unter den aktuellen Umständen könne sich "keine Demokratie, die sich selbst respektiert", einer Parteinahme enthalten. In Israel hat Russland jedoch überraschende Unterstützer wie den bekannten Politologen und früheren Generaldirektor des israelischen Außenministeriums, Shlomo Avineri, der in einem Interview mit "Yedioth Ahronoth" vorige Woche das Narrativ Putins wiederholte, nach dem die Ukraine eigentlich gar kein richtiges Land sei, sondern historisch ein Gemisch von "Gruppen und Stämmen".

Russland nützt das Vakuum

Abgesehen von der komplizierten russisch-israelischen Gemengelage gibt es jedoch derzeit auch andere Hinweise, dass es Russland gelungen ist, in das Vakuum vorzudringen, das die USA durch ihren langsamen Rückzug aus dem Nahen und Mittleren Osten hinterlassen. Neben Israel, das von den USA mehr Militärhilfe als jedes andere Land weltweit erhält, sind die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) ein Beispiel dafür. Die VAE sind derzeit nichtständiges Mitglied im Uno-Sicherheitsrat.

Die Vereinigten Arabischen Emirate spielen als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat derzeit eine besondere Rolle.
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Die VAE haben sich am Freitag bei der Russland-kritischen Resolution im Sicherheitsrat der Stimme enthalten: Was im Fall von China ein Erfolg für die USA und im Fall von Indien – dessen Armee von russischer Unterstützung abhängig ist – keine Überraschung war, kann man, von den VAE kommend, als Niederlage für Washington bezeichnen.

Die emiratische Botschafterin bei der Uno, Lana Nusseibeh, vermied es in ihrer Rede, Russland in die Nähe eines Aggressors zu rücken, und sprach von "ernsten Entwicklungen in der Ukraine". Und dann enthielt sich Abu Dhabi auch bei dem Votum darüber der Stimme, ob sich die Uno-Generalversammlung mit der Ukraine befassen soll.

Ein Gegengeschäft

Am Tag bevor der russische Einmarsch in die Ukraine begann, hatte der emiratische Außenminister Abdullah bin Zayed Moskau besucht und, ebenfalls ohne die bereits laufende Krise in der Ukraine öffentlich zu nennen, "verstärkte Zusammenarbeit in verschiedenen Feldern" angekündigt. Im Sicherheitsrat hatten die VAE ein – inzwischen gelöstes – konkretes Problem, bei dem sie die Kooperation Russlands brauchten: Es ging um eine Resolution, bei der die jemenitischen Huthi-Rebellen – die zuletzt Abu Dhabi mit Drohnen angegriffen hatten – als "Terrorgruppe" bezeichnet und umfassende Sanktionen gegen die ganze Gruppe in Kraft gesetzt wurden.

Der Resolutionstext wurde zwar etwas abgemildert, aber letztlich stimmte Russland am Montag im Sicherheitsrat sogar mit Ja (bei Enthaltungen von Irland, Norwegen, Mexiko und Brasilien). Für die VAE hat sich die Enthaltung am Freitag also gelohnt.

Die VAE sind nicht nur ein starker und besonders privilegierter Einkäufer von US-Waffen. Im Zusammenhang mit dem Abschluss des "Abraham-Abkommens" mit Israel im September 2020 wurde ihnen von US-Präsident Donald Trump der Verkauf des Kampfjets F-35 zugesagt. Das rief anfangs auch in Israel, dem bisher einzigen Bezieher von F-35 in der Region, teilweise Kritik hervor, das sein von den USA garantiertes QME (Qualitative Military Edge) bedroht sah. Nach einer kurzen Nachdenkpause bei seinem Amtsantritt gab Trump-Nachfolger Joe Biden im April 2021 sein Okay für das 23-Milliarden-Dollar-Geschäft. (Gudrun Harrer, 1.3.2022)