Martin Polaschek sieht die Unis nach den Erfahrungen der Pandemie in einer "wunderbaren Lage", was die Wahl zwischen Präsenzlehre und digitalen Formaten betrifft.

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Dieser Tage beginnt an den heimischen Universitäten das neue Semester, das mittlerweile fünfte in der Corona-Pandemie. Martin Polaschek war die meiste Zeit davon Rektor der Universität Graz, seit Dezember ist der steirische Rechtshistoriker als Minister für Bildung, Wissenschaft und Forschung zuständig. Nach einer gut überstandenen Corona-Infektion sprach er mit dem STANDARD über "Studieren auf Österreichisch", den wegschmelzenden Wert der Studienbeihilfe und Vorlesungen aus der Konserve.

STANDARD: Vor einem Monat hat die WU medienwirksam für das Sommersemester eine 2G-Regel angekündigt, jetzt gilt dort doch 2,5G. An manchen Hochschulen gilt 3G, andere wiederum wollen keine G-Kontrollen mehr durchführen. Wo ist die Logik hinter all dem?

Polaschek: Die Universitäten – aber auch Fachhochschulen – sind autonom und können daher für ihre jeweiligen Bedürfnisse passende Regelungen erlassen und berücksichtigen, was für sie exekutierbar ist. Es ist sinnvoll und auch rechtlich klar festgelegt, ihnen diesen Entscheidungsspielraum zu überlassen. Manche Unis haben verstreute Hörsäle mit vielen Eingängen, wo man schwerer kontrollieren kann als auf einem Campus mit zentralem Zugang. Man sollte daher nicht erwarten, dass man ein Muster über alle Unis drüberlegen kann.

STANDARD: In der Gastronomie, in Clubs und bei Veranstaltungen (außerhalb Wiens) gibt es ab dem Wochenende keine G-Regeln mehr. An den meisten Unis Österreichs schon. Wie passt das zusammen?

Polaschek: In den Hörsälen sitzen viele Menschen recht eng beisammen, es findet ein großer Austausch verschiedener Personengruppen statt. An der Uni Wien treffen zum Beispiel fast hunderttausend Menschen aufeinander. Insofern verstehe ich, wenn Rektorate vorsichtig agieren, damit es nicht zu großflächigen Ansteckungen kommt. Wäre ich noch Rektor (der Uni Graz, Anm.), würde ich wohl auch so handeln.

STANDARD: Aber gerade die angesprochene Uni Wien hat ja keine G-Regeln mehr.

Polaschek: Daher muss eben jede Uni für sich selbst überlegen, welche Regeln sie wo mit vertretbarem Aufwand kontrollieren kann und welche räumliche Situation vorherrscht. Diese Entscheidungen werden vor Ort auf breiter Basis mit Krisenstäben und unter Einbindung der Studierenden gefällt.

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STANDARD: Wenn man sich durch die Vorlesungsverzeichnisse klickt, sieht man, dass eine beträchtliche Zahl – geschätzt 25 Prozent – von Veranstaltungen auch im Sommersemester nicht in Präsenz stattfindet. Finden Sie gut, dass immer noch so viel online bleibt?

Polaschek: Die Fragestellung ist interessant, weil ich zuletzt genau die umgekehrte Version der Frage bekommen habe. Ich sehe es so: Bis vor zwei Jahren haben die Unis sehr, sehr viel vor Ort gemacht, dann musste man plötzlich fast alles auf digital umstellen. Über die Phasen der Pandemie hinweg hat sich das eingependelt. Und jetzt sind die Unis in der wunderbaren Lage, für die jeweilige Situation festzulegen, welches Format sinnvoll ist. Gerade für berufstätige Studierende oder jene mit Betreuungspflichten finde ich es großartig, wenn es digitale Angebote weiterhin gibt. In der Regel sollten Unis dennoch Anwesenheitsinstitutionen sein, weil man sich in Präsenz besser miteinander austauschen kann und die Diskussionen davon profitieren.

STANDARD: Die Chefin der Universitätenkonferenz hat erklärt, dass der Fortbestand digitaler Lehre unabhängig von Corona auch mit den überlasteten Hörsaalkapazitäten zu tun hat. Besteht die Gefahr, dass hier ein verstecktes Sparprogramm bei der Lehre à la "Wir zeichnen die Vorlesung einmal auf und spulen sie dann jahrelang ab" gefahren wird?

Polaschek: Ich würde das anders formulieren. Wenn in Lehrveranstaltungen gewisse Basisinformationen gegeben werden, kann es Sinn ergeben, dass man sie virtuell anbietet, damit Studierende nicht immer extra hingehen müssen. Eine Basisinstruktion, in der man immer das Gleiche herzeigt, kann man gut digital abhalten. Die Zeit vor Ort kann man dann besser für das vertiefende Seminar nützen oder für einen eigenen Forschungsschwerpunkt, den Lehrende mit Studierenden erarbeiten. Anstatt von Einsparung würde ich daher von einer Umschichtung sprechen. Und man muss differenzieren: Vorlesungen zu wissenschaftlich neuen Themen wird man im Sinne der forschungsgeleiteten Lehre sicher nicht aus der Konserve herausspielen können.

STANDARD: Ab kommendem Wintersemester greift erstmals die vieldiskutierte ECTS-Hürde für Studienanfänger. Wer sie nicht erfüllt, wird aus dem Studium für zwei Jahre ausgeschlossen. Die ersten Betroffenen sind gerade aus der Generation an Schulabgängern, die jetzt zwei Jahre wenig erleben konnten und lange im Homeschooling waren. Wäre es angesichts dessen nicht sinnvoll, mal den Druck rauszunehmen und die Hürde vorerst beiseitezulassen?

Polaschek: Ich sehe keine Hürde. Bedenkt man, dass eigentlich 30 ECTS-Punkte pro Semester vorgesehen sind, ist die verpflichtende Mindeststudienleistung von 16 ECTS innerhalb von zwei Jahren durchaus zumutbar für junge Menschen, die gerne studieren wollen. Das sind nur vier, fünf Prüfungen. Man sollte die jetzigen Schulabgänger auch nicht in ein Eck stellen und pauschal so tun, als wären das von Corona Geschädigte, die nicht ordentlich studieren können. Die haben alle keine leichte Zeit gehabt – keine Frage, das Distance-Learning war sicher nicht angenehm. Aber das sind junge, gescheite und leistungswillige Menschen, denen ich die Mindeststudienleistung zutraue.

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STANDARD: Man hört, dass es für die Unis kompliziert werden dürfte, die neue ECTS-Pflicht administrativ umzusetzen, zumal Ausnahmen und Sondersituationen erfasst werden müssen. Manche Studierende könnten sich etwa das Argument zurechtlegen, dass sie nicht in gewünschte Kurse reingekommen sind und daher die Punkte nicht sammeln konnten. Sind die Uni-Systeme vorbereitet?

Polaschek: Selbstverständlich geht das, die Uni-Systeme werden das gut meistern. Das kann ich aus meiner Erfahrung als langjähriger Vizerektor für Lehre garantieren. Die genannten Argumente scheinen mir einfach vorgeschoben. Es wird möglich sein, in genügend Veranstaltungen hineinzukommen.

STANDARD: Der Chef Ihrer Hochschulsektion hat in einem Fachbeitrag den Begriff "Studieren auf Österreichisch" recht negativ konnotiert. Er schreibt, es gebe hierzulande zu wenige Vollzeitstudierende, und bis zum Abschluss bräuchten Studierende im Schnitt zu lange. Teilen Sie den Befund?

Polaschek: Man muss sich fragen: Was ist die Vorstellung der Gesellschaft? Bei uns ist die politische Grundhaltung, dass Studierende zwar die Möglichkeit haben sollen, schnell zu studieren. Aber sie müssen nicht schnell studieren, wir haben keinen Zwang dazu im Studienrecht eingebaut. Es wäre sicher wünschenswert, wenn Studierende schneller zu ihren Abschlüssen kommen. Aber wenn das in ihrer Lebensrealität nicht passt, sei es durch Job oder Familie, soll das so sein. Bei einer Fokussierung auf den Typus Vollzeitstudierender müsste man unser Gesamtsystem auf neue Beine stellen. Eine derartige Entwicklung sehe ich gesellschaftlich nicht, wir haben ein sehr freies System.

STANDARD: Heißt das: Mit Ihnen als Minister wird es keine weitere Verschärfung im Studienrecht geben, etwa indem die ECTS-Pflicht in ein paar Jahren erhöht wird?

Polaschek: Man wird sich anschauen müssen, ob die ECTS-Vorgabe in ihrer jetzigen Form Sinn macht. Ich sehe aber gar keinen Grund, in dieser Legislaturperiode noch Änderungen in die angesprochene Richtung zu machen.

STANDARD: Die Studienbeihilfe wurde zuletzt 2017 nominell erhöht und hat durch Inflation seit dem Jahr 2000 rund ein Viertel ihres realen Werts eingebüßt. Werden Sie entgegensteuern?

Polaschek: Ja, da muss man auf jeden Fall aktiv werden. Mein Vorgänger Heinz Faßmann hat diesbezüglich schon Vorbereitungen getroffen. Wir sind derzeit in Absprache mit dem Koalitionspartner und dem Finanzministerium, um ein Konzept zu entwerfen.

STANDARD: Das Konzept ist doch einfach. Man könnte die Beihilfe jährlich ans Preisniveau indexieren.

Polaschek: Die Details müssen wir uns anschauen. Passen wir es jährlich an, oder erhöhen wir die Beihilfe in größeren Abständen? Man wird sich in der Vergangenheit schon etwas dabei gedacht haben, dass man nicht jedes Jahr valorisiert hat.

STANDARD: Um in der Zwischenzeit was einzusparen.

Polaschek: Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann, obwohl die Kostenfrage sicher eine Rolle spielt. Wir werden jedenfalls in den nächsten Wochen ein Konzept zur Studienbeihilfe vorlegen. (Theo Anders, 3.3.2022)